Wirtschaft
anders denken.

»…damit die Wirtschaft florieren kann«: Ralph Brinkhaus und die Wirtschaftspolitik der Union

26.09.2018
Tobias Koch Ralph Brinkhaus am 19.10.16 in Berlin im Deutschen Bundestag.

Wofür steht Ralph Brinkhaus wirtschaftspolitisch? Und kommt jetzt in Sachen Finanzen, Euro und Ordnungspolitik eine Kurswende der Union? Der neue Fraktionschef gilt als das, was man hierzulande »wirtschaftsfreundlicher« nennt. Ein Überblick am Tag nach der Überraschungswahl, an dem auch der Industrieverband der Regierung die Leviten las.

Wer am Tag danach die Zeitungen liest, wird mit mehr oder weniger überzeugenden Antworten auf Fragen wie »Ist die Wahl von Ralph Brinkhaus der Anfang vom Ende der Ära Angela Merkels« beglückt. Es geht viel um parteipolitische Haltungsnoten, weniger um Inhalte. Hat aber der Wechsel an der Spitze der Unionsfraktion womöglich Folgen für die wirtschaftspolitische Ausrichtung der Regierung? 

Es ist jedenfalls nicht nur ein zeitlich zufälliges Zusammentreffen, dass die für viele überraschende Brinkhaus-Wahl an dem Tag Schlagzeilen macht, an dem der Industrieverband BDI »der Regierung eine zögerliche Wirtschaftspolitik« vorwirft, wie es hier heißt. Die Lobbyisten der Unternehmen drängen schon länger darauf, etwa im globalen Standortwettbewerb die Steuer zu senken oder mehr öffentliche Gelder in die Verbesserung der Akkumulationsbedingungen zu lenken, zum Beispiel durch mehr staatliche Förderung in Sachen Digitalisierung.

Die Wahl von Brinkhaus wird denn auch in der Wirtschaftspresse in einen Zusammenhang mit den Forderungen der diversen Kapitalfraktionen gebracht. »Der Union im deutschen Parlament könnte er wieder mehr wirtschaftspolitisches Profil verleihen, das ihr in den vergangenen Jahren abhanden gekommen ist«, heißt es in der »Börsenzeitung«, welche die Personalie Brinkhaus als Chance für die CDU/CSU sieht, »nicht mehr mit sozialpolitischen Wohltaten den Wähler vermeintlich zu beruhigen. Sie kann sich auf das Besinnen, für das sie einmal stand: Wirtschaftswunder und wirtschaftspolitischer Sachverstand«. Genau dies habe auch Industriepräsident Dieter Kempf der Union als Auftrag mitgegeben: »dass der Markt das Bestimmende ist und das Soziale und die Wettbewerbssicherung notwendige Eingrenzungen sind«. 

Die CDU stellt derzeit ohnehin ihre Suche nach einer neuen wirtschaftspolitischen Orientierung unter die Losung »mehr Markt«. Das soll enttäuschte Wirtschaftsliberale befrieden und das Profil unter anderem gegen die SPD schärfen. In der FAS malt unlängst Annegret Kramp-Karrenbauer das Bild einer »Welle des Sozialpopulismus« an die Wand, der sich die CDU als eine Art Buhne entgegenstellen möchte. »Auch in dieser Frage erleben wir ein Roll-Back. Wir führen die Debatte über unser Wirtschaftsprogramm vor dem Hintergrund einer gegenläufigen Bewegung.« Der Parteitag im Dezember soll nun »Auftakt einer umfassenden Diskussion über unsere grundsätzliche programmatische Ausrichtung« werden.

Erfolg für den Wirtschaftsflügel der Union

Vor diesem Hintergrund lässt sich Brinkhaus Wahl deuten. Der »Tagesspiegel« etwa schreibt, »seit Jahren kommt Kritik an Merkel gerade vom Wirtschaftsflügel der Union, vor allem dem Parlamentarischen Kreis Mittelstand. Dieser verbucht den Dienstag als Erfolg, denn es hatte vor der Fraktionssitzung Abstimmungen unter den Mitgliedern gegeben. Dabei hatte sich ein deutlicher Vorzug für den Finanzexperten und harten Haushälter Brinkhaus gezeigt. Nun gibt es die Hoffnung, dass die neue Unions-Fraktionsführung sich in der großen Koalition wirtschaftsfreundlicher aufstellt – und auch steuerliche Entlastungen energischer angeht.«

Brinkhaus Positionen lassen sich beispielhaft an dieser Rede aus dem März ablesen. Ja zum Kurs der Koalition, ein paar Forderungen, die über die Kompromisse mit der SPD hinausgehen. Schwarze Null, ein Verständnis von »guter Wirtschaftspolitik« als eine Art öffentliche Dienstleistung für privates Unternehmertum, bei der es darum geht, »die Rahmenbedingungen zu schaffen, die notwendig sind, damit die Wirtschaft florieren kann«. 

Eine Reaktion von der Kapitalseite gab es bereits – der Verband der Familienunternehmer hat die Wahl von Brinkhaus »als zukunftsweisend begrüßt«, wie es in der »Rheinischen Post« heißt. Der Hauptgeschäftsführer des Unternehmerverbandes, Albrecht von der Hagen, wird dort mit den Worten zitiert, »Deutschland verliert gegenüber vielen Industrieländern an Wettbewerbsfähigkeit, mit Brinkhaus könnte sich das ändern«. Brinkhaus solle »persönlich gegensteuern«, wo »ein weiterer Verlust der wirtschaftlichen Wettbewerbsfähigkeit« drohe, den von der Hagen als »ein gefährliches Konjunkturprogramm für alle Nationalisten und Sozialisten« bezeichnet. Dies passt zu Brinkhaus eigener Agenda, »die Rahmenbedingungen in Deutschland müssen stimmen – für die Wirtschaft im Kreis Gütersloh, die maßgeblich von vielen Mittelständlern und Familienunternehmen getragen wird, heißt das vor allem faire Steuern und möglichst wenig Vorschriften und Bürokratie«.

Westfälisches Trio, liberale Wirtschaftspolitik

Anderswo ist man zurückhaltender in der Interpretation. »Die Wahrheit ist allerdings, dass viele gar nicht wissen, was von Brinkhaus zu erwarten ist«, hießt es auf Spiegel online. »Der bisherige Fraktionsvize gilt als konservativ, aber er ist bislang vor allem als Fachmann für Finanzpolitik aufgefallen. In diesem Bereich hat er sich einen guten Ruf unter seinen Kollegen erworben.« Angemerkt wird, dass sich Brinkhaus »gut mit seinen beiden westfälischen Fraktionskollegen Jens Spahn und Carsten Linnemann« verstehe – »beide wollen einen deutlich liberaleren Kurs in der Wirtschaftspolitik«.

Auch in der »Frankfurter Allgemeinen« wird versucht, den Unterschied zu Vorgänger Volker Kauder auf dem wirtschaftspolitischem Feld zu beleuchten:  Ein bisschen Hoffnung auf eine marktradikalere Kurswende macht sich Heike Göbel, die die Abwahl Kauders zwar als »gute Nachricht« lobt, aber auf dem engeren Feld der Wirtschaftspolitik keine großen Änderungen erwartet. »Eine offene Streitkultur gab es in der Unionsfraktion auf wichtigen Feldern schon lange nicht mehr, jetzt hat die schweigende Mehrheit der schwarzen Parlamentarier unter dem Eindruck schrumpfender Umfrageergebnisse den ersten Ausweg genutzt, der sich bot.« 

Brinkhaus wird hier also eher als allgemeine Gelegenheit betrachtet, Merkel und der Führungskultur Kauders einen Denkzettel zu verpassen. Allerdings »vertraut sich« die Unionsfraktion mit Brinkhaus »ausgerechnet einem Mann des Wirtschaftsflügels« an, der laut Göbel »allerdings weder ein liberaler Hardliner oder überzeugter Ordnungspolitiker noch ein exponierter Merkel-Kritiker« ist. Es müssten daher Zweifel angemeldet werden, ob »jene, die Brinkhaus unterstützen, damit tatsächlich eine klar definierte inhaltliche Neuausrichtung verbinden, womöglich zu einer stärker marktwirtschaftlichen Politik«.

Auch der FAZ-Kollege Manfred Schäfers fragt: »Wächst mit dem Ökonomen Brinkhaus an der Fraktionsspitze der Einfluss der Wirtschaftspolitiker auf die Arbeit der schwarz-roten Koalition? Oder zugespitzt: Gibt es künftig mehr Merz und weniger Merkel? Wer hofft, dass nun die Koalition einen völlig anderen Kurs nehmen könnte, dürfte sich täuschen.« Brinkhaus habe stets, wenn mitunter auch zähneknirschend, mit Merkel gestimmt. Eine seiner jüngsten Reden zum Bundeshaushalt habe das übliche Sowohl-als-auch gezeigt, einerseits mehr Markt anzumahnen, andererseits auch umverteilungspolitische Minischritte mitzutragen.

Die europapolitische Dimension

Spiegel online verweist darauf, dass die Wähler von Brinkhaus allerdings schon einige inhaltliche Erwartungen mitbringen und darauf setzen, dass er »eigene Akzente setzt. Das wird er vor allem in der Wirtschafts- und Finanzpolitik, aber auch in der Europapolitik versuchen. Ob das für Merkel zum Problem wird, hängt auch von ihrer Flexibilität ab und davon, wie weit Brinkhaus im Konflikt zu gehen bereit ist«.

Auch die FAZ erinnert an die europapolitische Dimension von Brinkhaus’ bisherigem Wirken. »Hier und da wird es neue Akzente geben«, heißt es dazu, Brinkhaus habe bei diesem Thema »im Frühjahr schon Pflöcke eingerammt. Stichworte waren: kein Umbau des europäischen Stabilitätsmechanismus zu einem weiteren EU-Finanztopf, kein vorschneller Rückgriff auf diesen Krisenfonds bei Bankenabwicklungen, keine gemeinsame Einlagensicherung. Der Spielraum für Merkel ist enger geworden.«

Auch aus Brüssel hörte man bereits den Hinweis, Brinkhaus sei ein unbeschriebenes Blatt, was dort zu ihm einfällt ist seine deutliche Absage an den von Frankreichs Präsident Emmanuel Macron vorgeschlagenen Weg einer Reform in der EU. 

Die »Süddeutsche Zeitung« schreibt dazu, »im April dieses Jahres sorgte Brinkhaus sogar einmal über die Grenze seiner Fraktion hinaus für Furore. Damals formulierte er die Reaktion der Unionsabgeordneten auf die Vorschläge des französischen Präsidenten zur Zukunft Europas. Das Papier, das Brinkhaus zusammen mit zwei Kollegen schrieb, geriet kritischer, als es Merkel recht war, gefiel aber vielen Unionsabgeordneten.« Das verweist auf die Gegnerschaft einer nicht unbeträchtlichen Gruppe in der Unionsfraktion was mögliche Kompromisse mit Paris in der Sache angeht. »Das Papier von Brinkhaus & Co erregte deshalb großes Aufsehen, es wurde als Beschränkung der politischen Beinfreiheit der Kanzlerin bei Gesprächen mit Macron wahrgenommen.«

Foto: Tobias Koch

Geschrieben von:

Svenja Glaser

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