Wirtschaft
anders denken.

Das BAMF, das Prinzip »Zahlen vor Menschen« und Politik per Untersuchungsausschuss

30.05.2018
Nico Hofmann, Lizenz: CC BY-SA 3.0Hauptsitz des BAMF in Nürnberg

Die Bremer Ex-BAMF-Chefin Ulrike B. hat sich zu Wort gemeldet – gut so. Denn ihre Worte rücken das eigentliche Problem ins Zentrum: die Folgen eines Umbaus von Behörden entlang ökonomischer Kriterien, bei dem aus Menschen Zahlen werden, und Effizienz vor Rechtsstaat geht. 

Wer die Nachrichten verfolgt, muss den Eindruck bekommen, das größte Problem in der Bundesrepublik sei das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge. Wobei man dazu noch ergänzen muss: Meist wird das Problem als eines der Migration beleuchtet, es soll falsche Bescheide gegeben haben, wobei »falsch« hier in der Regel auch nur diejenigen meint, mit denen Asyl gewährt wurde. Bis in die Linkspartei hinein radikalisiert sich die Rhetorik: Es gehe »offenkundig um organisierte Kriminalität und schwerwiegenden Betrug«, befand aus der Ferne deren Fraktionsvorsitzende. Und bekommt dafür klares Contra. Doch dazu später.

Jetzt hat sich die Bremer Ex-BAMF-Chefin Ulrike B. zu Wort gemeldet – zum Glück, denn das könnte dazu beitragen, die Debatte geradezurücken. Worum geht es eigentlich? Ihr sei es bei ihrer Arbeit stets darum gegangen, dass Menschen in Not zählten, nicht blanke Zahlen, sagte die Frau der »Bild«. Es sei von ihr kein Geld genommen worden, der Vorwurf der Korruption daher absurd.

Worauf Ulrike B. versucht hinzuweisen, ist der eigentliche Knackpunkt: »Mit dem Amtsantritt von Ex-BAMF-Chef Frank-Jürgen Weise sei es in der Asylbehörde nicht mehr um die menschlichen Schicksale gegangen, sondern nur noch um Fallzahlen und Bearbeitungszeiten, sagte B. Auf Wunsch der Regierung habe Weise das Amt auf Tempo und Effizienz getrimmt«, so fasst es die »Frankfurter Rundschau« zusammen. »Dabei hätten alle Beteiligten gewusst, dass die massiv erhöhte Zahl von Anträgen mit dem vorhandenen Personal nicht ordnungsgemäß abgearbeitet werden konnte.«

Vergleich Nummer 1: Der Wirbel dreht sich darum, dass die Bremer Bamf-Außenstelle zwischen 2013 und 2016 in mindestens 1.200 Fällen Asylanträge zu Unrecht bewilligt haben soll. Allerdings wurden auch bereits über 32.500 Fehleintscheidungen zu Ungunsten Geflüchteter von Gerichten wieder einkassiert, 4.500 Fehlentscheidungen hat das BAMF von sich heraus korrigiert.

Vergleich Nummer 2: »Es gibt einen Zusammenhang zwischen der Situation von Erwerbslosen und Flüchtlingen«, sagt der Politikwissenschaftler Maximilian Pichl: »Beiden Gruppen wird durch den neoliberalen Umbau der Bundesagentur für Arbeit und des BAMF, durch Hartz IV und Asylrechtsverschärfungen, Rechte verwehrt.« Die Politik habe »in beiden Fällen Unternehmensberatungen engagiert, um rechtsstaatliche Verfahren gemäß ökonomischer Kriterien auszuhöhlen. Damit ging auch eine Delegation von Verantwortung durch die Politik einher.« Das Recht auf Asyl und das Recht auf ein menschenwürdiges Leben seien »untrennbar miteinander verknüpft. Es geht darum wie eine Gesellschaft mit den Schwächsten umgeht.« Und als Gruß Richtung derer, die nun per Untersuchungsausschuss Politik machen wollen und dabei Ressentiments schüren, schreibt Pichl: » Eine autoritär-neoliberale Politik spaltet diese Gruppen. Eine progressive Politik erkennt ihre Zusammenhänge und führt den Kampf gemeinsam.«

Was sagt Frank-Jürgen Weise dazu? Der hat sich bereits »gegen Kritik des Personalrats der Behörde an seinem Führungsstil und seinen damaligen Reformen zur Wehr gesetzt«, wie es die »Rheinische Post« formuliert. Es ist die Verteidigung eines politisch gewollten Kurses, der Zahlen vor Menschen stellt. Weise weist den Begriff »Fließband«, der vom Personalrat in Zusammenhang mit den beschleunigten Asylverfahren kritisch benutzt wurde, als »falsch und auch böswillig« zurück. Und er verweist zweitens »auf eine Zielvereinbarung mit dem Innenministerium und auch eine Übereinstimmung über alle Parteien, wonach die Bearbeitung der Asylverfahren Priorität hätte haben müssen«.

Soll heißen: Um die vielen Anträge abzuarbeiten, sei eine auf Effizienz getrimmte Bearbeitung nötig gewesen. »Dass es durch viele neue Mitarbeitende auch zu Fehlern kommen kann, war klar, aber im Rahmen der Risikoabwägung das kleinere Übel«, so Weise. Der Punkt hier ist: Das »kleinere Übel« sind eben nicht nur Antragsnummern, sondern es geht um Menschen. Und wo Weise die Bescheide im Kopf haben mag, die nun zu der angeheizten BAMF-Aufregung beitragen, sind es vielmehr die fehlerhaften Entscheidungen, mit denen die Rechte von hierher Fliehenden beschnitten werden, etwa durch falsche Ablehnungen.

Noch ein Aspekt dieser Ebene: Die Linkspolitikerin Ulla Jelpke sagte, »hier geht es vor allen Dingen um die gesamten Qualitätsmängel bei den Asylverfahren selbst, aber auch beispielsweise beim Personal«. Die BAMF-Behördenchefin Jutta Cordt habe »davon gesprochen, dass bei den 8.000 Menschen, die beim BAMF arbeiten, etwa 80 Prozent befristete Verträge haben und dass man jetzt ungefähr bei 2.000 Verträgen entfristet.«

Weise hat nun Kritik der Beschäftigten des BAMF als »durchsichtigen Versuch, zu alten Strukturen zurückzukehren« denunziert. Auf die Idee, die Durchsetzung ökonomischer Denke in einem öffentlichen Bereich, der nach anderen Maßstäben funktionieren müsste, könne das Problem sein, kommt Weise nicht. »Dabei hätten alle Beteiligten gewusst, dass die massiv erhöhte Zahl von Anträgen mit dem vorhandenen Personal nicht ordnungsgemäß abgearbeitet werden konnte«, wird Ulrike B. wiedergegeben. Das »Systemversagen« besteht hierin, nicht in einer kleinen Prozentzahl von Bescheiden, die möglicherweise fehlerhaft zu Gunsten von Geflüchteten ausfielen.

In der Linkspartei führt das derweil zu einer Kontroverse. »Wenn zwei rechte Parteien, AfD und FDP, einen Untersuchungsausschuss fordern, um rechtspopulistische Stimmungsmache zu betreiben, sollte die Linke ihnen nicht die Stimmen dafür besorgen«, sagte die Vorsitzende Katja Kipping. »Es geht offenkundig um organisierte Kriminalität und schwerwiegenden Betrug. Diese Vorgänge müssen schleunigst aufgeklärt werden«, hatte zuvor Wagenknecht erklärt und hinzugefügt, wenn Bundesinnenminister Horst Seehofer nicht »unverzüglich für Klarheit« sorgen könne, »müssen auch andere Maßnahmen diskutiert werden«.

Die »Morgenpost« interpretierte das so: »Linke öffnet sich für Bamf-Untersuchung im Bundestag«. Worauf viele Linkspolitiker dementierten: »Wir wollen nicht«, dass sich die Linksfraktion gemeinsam mit der AfD »für Untersuchungsausschuss stark macht. Merkel von rechts kritisieren ist nicht links«, twitterte der schleswig-holsteinische Landessprecher Lorenz Gösta Beutin. Das habe die Linken-Spitze »auch nochmal bekräftigt. Gut so!« Kipping sagte zudem: »Natürlich muss es Sachaufklärung geben, da steht das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge in der Pflicht. Aber es muss auch Aufklärung über die vielen Fehlentscheidungen zuungunsten Geflüchteter geben.«

Foto: Nico Hofmann / CC BY-SA 3.0

Geschrieben von:

Svenja Glaser

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