Wirtschaft
anders denken.

Das Ende – der Anfang – ein Versuch

Fabian Scheidler, Mitgründer von Kontext TV, über sein Buch »Das Ende der Megamaschine. Geschichte einer scheiternden Zivilisation«, das sich auf eine Spurensuche zu den Ursprüngen ökonomischer Macht begibt.

19.05.2016
Fabian Scheidler hat Geschichte und Philosophie an der Freien Universität Berlin und in Frankfurt/Main Theaterregie studiert. Er arbeitet seit 2001 als freischaffender Autor für Printmedien, Fernsehen, Theater und Oper. 2009 gründete er zusammen mit David Goeßmann das unabhängige Fernsehmagazin Kontext TV.

Haben sie gewusst, dass ihr Buch Das Ende der Megamaschine für ein solches Thema megagut laufen würde?

Fabian Scheidler: Ich konnte natürlich nicht wissen, ob es ein Erfolg wird, aber angelegt ist es auf eine breite Leserschaft. Es ist der Versuch, sehr komplexe historische Zusammenhänge spannend zu erzählen.

Aber das haben doch sicher schon viele vor Ihnen versucht?

Ich wollte Geschichte anders erzählen. Nicht aus Sicht der Sieger, nicht aus der Perspektive jener vielleicht zwanzig Prozent der Weltbevölkerung, die vom System profitieren, sondern aus Sicht der Mehrheiten, die unter all diesen Entwicklungen gelitten haben. Der Begriff Megamaschine ist eine Metapher für ein System, das vor rund 500 Jahren in Europa entstanden ist und das nun an zwei Grenzen gelangt: Seit etwa vierzig Jahren steuert die globale Ökonomie in eine strukturelle Krise, die nicht mehr mit den üblichen Konjunkturzyklen zu erklären ist. Diese Krise wird durch stetig wachsende Verschuldung kaschiert und bietet immer weniger Menschen einen sicheren Lebensunterhalt. 200 Unternehmen vereinen etwa 25 Prozent des Weltsozialproduktes auf sich, beschäftigen aber nur 0,75 Prozent der Weltbevölkerung. In fast allen Ländern der Erde wächst die Kluft zwischen Arm und Reich. Das führt zu sozialen, politischen, wirtschaftlichen Krisen. Die zweite Grenze liegt in der Biosphäre unseres Planeten begründet, die bereits in weiten Teilen verletzt oder gar zerstört ist. Das Zusammenwirken dieser Grenzen führt uns langfristig in eine Phase von systemischen Umbrüchen hinein, mit ungewissem Ausgang. Die Megamaschine ist nicht das erste System, das scheitert, aber das größte, komplexeste und gefährlichste.

»Das Ende der Megamaschine« ist ein pessimistisches Buch – zumindest bis Seite 205.

Ich bin nicht optimistisch, aber auch nicht komplett pessimistisch. Die Gefahr, dass wir neue autoritäre Verhältnisse bekommen, ist groß. Ich skizziere im letzten Kapitel des Buches aber auch Ansätze der Hoffnung, der Gegenwehr, der praktischen Vernunft, die der destruktiven Logik endloser Akkumulation etwas entgegensetzen. Wenn man eine Chance haben will, müssen diese Inseln über sich hinauswachsen.

Wie soll das gehen?

Ende des vergangenen Jahrhunderts haben viele verstanden, dass es nicht hilft, auf vertikale Strukturen zu bauen – das hat der real existierende Sozialismus gezeigt. Inspiriert durch die Zapatisten hat dann die globalisierungskritische Bewegung versucht, horizontale Strukturen aufzubauen: ein Mosaik verschiedener Bewegungen, die dort, wo es Schnittmengen gibt, gemeinsam handeln. Ich glaube, das Potenzial für Emanzipatorisches ist groß. Es fehlt allerdings an Plattformen, auf denen sich die verschiedenen Bewegungen verbinden können. Das Europäische Sozialforum konnte diese Rolle in Europa nicht erfüllen, also brauchen wir dazu etwas anderes. Aber die Zeit wird knapp …

Das klingt nach einem wahnsinnigen Wettlauf. Aber alles, was mit Pluralität zu tun hat, braucht viel Zeit. Und Diktatur ist eine so viel einfachere Regierungsform, schnell errichtet, effizient.

Meine Hoffnung nährt sich aus der vorhandenen Vielfalt. Aber in der Tat glaube ich auch, dass wir einer gewissen Chaotik in der Übergangsphase nicht entkommen werden. Die Idee einer geplanten, geordneten sozialökologischen Transformation ist schön, scheint aber nicht zu funktionieren. Die herrschenden Eliten sind bereit, ihre Privilegien und ihren Reichtum mit immer härteren Bandagen zu verteidigen. Es wird also chaotischer und kämpferischer werden.

Die herrschenden Eliten sind bereit, ihre Privilegien und den Reichtum mit immer härteren Bandagen zu verteidigen.

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Die 500 vergangenen Jahre, über die Sie in ihrem Buch schreiben, waren geprägt von einer gewaltigen Militarisierung. Waffen und Militär sind seit jeher in der Hand der herrschenden Eliten. Muss da nicht begonnen werden?

Weltweit werden jährlich mehr als 1,7 Billionen US-Dollar für das Militär ausgegeben. Und die modernen Überwachungssysteme bieten, wie Wikileaks-Gründer Julian Assange treffend gesagt hat, alles, was es für einen schlüsselfertigen totalitären Staat braucht. Das ist eine enorme Herausforderung, denn jede Idee von gesellschaftlicher Transformation muss sich mit dieser waffenstarrenden Welt auseinandersetzen. Eine Entmilitarisierung der Gesellschaft ist daher zentral. Damit können wir in Deutschland, dem drittgrößten Waffenexporteur der Welt, gleich anfangen.

Sie sagen, es sei immer hilfreich, sich der Geschichte zu erinnern.

Wir sollten uns daran erinnern, dass die positiven Errungenschaften der letzten Jahrzehnte und Jahrhunderte hart erkämpft werden mussten. Nichts wurde friedlich hergegeben. Aber ich sage auch: Chaos muss nicht unbedingt mit Gewalt einhergehen. Viele Revolutionen in der Geschichte hatten mit Staatspleiten zu tun, die ein Fenster für Veränderung öffneten. Wenn soziale Bewegungen darauf vorbereitet sind, wenn Ideen da sind, Organisation, dann können sie solche Situationen auch positiv nutzen. Wenn nicht, sind es meisten die herrschenden Eliten, die Krisen für eine »Schocktherapie« zu ihren Gunsten nutzen, etwa in der Eurokrise.

Viele Revolutionen in der Geschichte hatten mit Staatspleiten zu tun, die ein Fenster für Veränderung öffneten.

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Sie sprechen in Ihrem Buch von den vier Tyranneien, die letztlich zu einem System geführt haben, das geeignet ist, nicht nur sich selbst, sondern geradezu das Leben auf der Erde zu zerstören.

Die physische Macht sehen wir oft in Form von Waffengewalt, etwa im militarisierten Staat; die strukturelle Gewalt erleben wir in Form ökonomisch-sozialer Macht, zum Beispiel durch Eigentumsverhältnisse, Geldsysteme und Schulden; die ideologische Macht kann man von der Beherrschung der Schrift bis zur Kontrolle moderner Massenmedien verfolgen – wobei diese Macht dazu dient, die beiden anderen Mächte zu legitimieren oder gar unsichtbar zu machen.

Das sind drei Tyranneien.

Die vierte erwächst aus diesen dreien. Es ist die Tyrannei des linearen Denkens, das auf der Annahme beruht, dass sich die Welt nach berechenbaren Gesetzen von Ursache und Wirkung verhält und demzufolge beherrschbar ist.

Klingt zwar unlogisch, aber irgendwie auch wünschenswert einfach.

In der Welt der unbelebten Materie, etwa in der klassischen Mechanik, ist lineares Denken durchaus nützlich. Wendet man es allerdings auf lebendige Systeme an, hinterlässt das eine Verwüstungsspur auf unserem Planeten. Es gibt aber längst auch wichtige Ansätze für ein anderes Verständnis von Technik, das auf Kooperation mit der Natur setzt, anstelle von Kontrolle und Beherrschung.

Eines der optimistischen Kapitel Ihres Buches heißt »Die Suche nach echter Demokratie«, umfasst aber auch nur zwei Seiten.

Das Buch ist ja in erster Linie eine historische Herleitung, wie wir an den Punkt kommen konnten, an dem wir jetzt sind. Aber ich halte es für notwendig und möglich, über die repräsentative Demokratie hinauszugehen – ohne sie dabei preiszugeben. Die etablierten Parteien haben nicht nur erheblich an Glaubwürdigkeit verloren, sie sind tatsächlich aufgrund der kurzen Wahlzyklen und der eingebauten Filterprozesse nicht der Lage, systemische Fragen zu stellen, geschweige denn zu beantworten. Daher ist es wichtig, Demokratie von unten neu aufzubauen und die große Politik zu dem systemischen Wandel zu zwingen, den sie von sich aus nicht einleiten wird. Der Atomausstieg ist ein Beispiel dafür, wie so etwas gehen kann. Was wir brauchen, ist ein Ausstieg aus der Megamaschine, während sie noch läuft. Und das bedeutet auch: eine andere Logik des Wirtschaftens, die dem Gemeinwohl verpflichtet ist und nicht dem Profit.

Fabian Scheidler: Das Ende der Megamaschine. Geschichte einer scheiternden Zivilisation. Promedia Verlag, Wien 2015, Informationen finden sie hier.

Das Interview führte:

Kathrin Gerlof

OXI-Redakteurin

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