Wirtschaft
anders denken.

»Das Feuer hat nicht auf die Krise gewartet«

03.08.2018
Grafik: Common.eG

Viele Dutzend Menschen sind Opfer der Waldbrände nahe Athen geworden. Wie stark der Austeritätskurs eine Mitschuld am Ausmaß der Katastrophe hat, bleibt umstritten. Ein Blick auf unterschiedliche Zahlen und deren Interpretation.

»Was haben eigentlich die griechischen Sparmaßnahmen und die anhaltende Große Depression im Land mit der ineffektiven Reaktion auf die Katastrophe zu tun?«, fragt Yanis Varoufakis – und der frühere griechische Finanzminister gibt die Antwort gleich mit: »Feuerwehren, Bürgerschutzbüros, Rettungsdienste und Krankenhäuser sind extrem unterbesetzt. Die Brände hätten zwar auch nicht gestoppt werden können, wenn wir dreimal so viele Feuerwehrleute und Löschflugzeuge gehabt hätten – aber von einem Land, in dem die öffentlichen Dienste, die Gemeinschaft und die Moral seit zehn Jahren systematisch geschwächt werden, kann man kaum erwarten, dass es sich auf eine Katastrophe, die vom Klimawandel noch verschlimmert wird, gut vorbereiten kann.«

Schon vor einer Woche haben ähnliche Äußerungen Schlagzeilen gemacht aber auch Kritik hervorgerufen. »Vor allem im Ausland«, so formulierte es die »Frankfurter Allgemeine«, habe die Diskussion darüber begonnen, »ob nicht die Gläubigerländer Griechenlands« mit ihren Sparauflagen »die Hauptschuld hätten an der Katastrophe, den unzureichenden Rettungsmöglichkeiten und mangelnden Vorkehrungen«. Verwiesen wurde unter anderem auf die italienische Zeitung »Corriere della Sera«, in der es heißt, »Kürzungen im Katastrophenschutz waren Teil des Austeritätspakets«. Noch im Frühjahr 2018 seien die Ausgaben für den Brandschutz demnach um 34 Millionen Euro gekürzt worden.

»Ist das wahr?«, fragt Andrew Watt vom Institut für Makroökonomie und Konjunkturforschung der gewerkschaftsnahen Hans-Böckler-Stiftung, und kommt zu anderen Zahlen: Unter Berücksichtigung von Eurostat-Daten mit detaillierten Aufschlüsselungen der öffentlichen Ausgaben zeichnet Watt die Entwicklung der Ausgaben für Brandschutzdienste (fire-protection services) nach: Diese lagen nach diesen Zahlen 2009 bei 663 Millionen Euro und wurden dann 2010 auf 503 Millionen Euro sowie 2011 auf 456 Millionen Euro drastisch gekürzt. Bis 2016 wuchs dieser Ausgabenbereich laut Eurostat dann wieder auf 510 Millionen Euro an, ein Wert, der aber immer noch unter dem der Vorkrisenjahre 2007 (531 Millionen) und 2008 (536 Millionen) liegt.

Watt verweist auf Faktoren wie die Inflation, die auf solche Nominalwwerte natürlich Einfluss haben. Die Teuerungsrate lag in Griechenland bis 2011 mit Ausnahmen bei recht hohen Werten bis über 4 Prozent und drehte erst 2013 in den negativen Bereich. Der Böckler-Ökonom vergleicht deshalb die Entwicklung des Anteils der Brandschutz-Ausgaben an den gesamten öffentlichen Ausgaben – die Lagen bis 2009 bei Werten um 0,5 Prozent (mit den Ausnahmejahren 2006 und 2008: 0,44), und gingen dann ab dem Krisenjahr 2010, in dem die Auflagen der Gläubiger wirksam wurden, auf 0,42 Prozent zurück. 2015 war der Anteil aber wieder auf 0,51 Prozent gestiegen, 2016 lag er bei 0,59 Prozent – also höher als vor der Krise und auch klar über dem EU-Durchschnitt.

Die Frage ist: Was sagen diese Zahlen aus? Watt schreibt, die von ihm »diskutierten Zahlen beziehen sich auf die Ausgaben im ganzen Land und sagen nichts über die Effizienz der griechischen Feuerwehren aus, weder vor noch seit Beginn der EU-geführten ›Programme‹ im Land. Viel weniger geben sie Aufschluss darüber, wie die politischen Entscheidungen über Ausgabenkürzungen und Steuererhöhungen zustande kamen. Sie zeigen, dass die Gesamtausgaben für den Brandschutz trotz erheblicher absoluter Kürzungen im Zuge der Krise (zumindest auf Basis der Daten von 2016) historisch gesehen eher hoch sind.«

Für das griechische Analyseportal macropolis.gr hat Georgia Nakou die möglichen Zusammenhänge zwischen Austeritätsauflagen und Brandschutzmängeln untersucht. Sie arbeitet mit einer anderen Datengrundlage, laut der der Feuerwehr-Haushalt (fire service budget) 2011 bei rund 328 Millionen Euro lag und seither um eine Linie schwankend auf rund 367 Millionen Euro angewachsen ist.

Ein Problem dieser Darstellung: Es fehlt eine Vergleichszahl mit den Vorkrisenwerten. Die Nachrichtenagentur AFP meldete dieser Tage, Griechenlands Feuerwehren hätten ein Jahresbudget von 354 Millionen Euro im Jahr 2017 zur Verfügung gehabt, dieser Etat habe im Vorkrisenjahr 2009 noch bei 452 Millionen Euro gelegen, was einer Kürzung von über 20 Prozent entspricht. Auf welche Ausgabenbereiche sich die AFP-Zahlen genau beziehen, ist nicht ersichtlich, sie liegen zwar näher an den Macropolis-Zahlen als an den Eurostat-Zahlen, müssen aber eine andere Basis haben.

Hinter den unterschiedlichen Zahlen für die jeweiligen Gesamtbudgets verbirgt sich aber noch eine andere Frage: Wie verteilen sich die Veränderungen auf bestimmte Posten des Feuerwehretats. Bei macropolis.gr erfährt man dazu, dass zwischen 2011 und 2017 der für Ausrüstungen und Zubehör vorgesehene Betrag von 8,64 Millionen Euro auf 3,4 Millionen Euro mehr als halbiert worden ist. Hinzu kämen Rückstände in den staatlichen Geldflüssen an die Feuerwehr, die 2017 einen Stand von fast 6 Millionen Euro erreicht hätten.

Vor allem aber scheint dieser Punkt wichtig: Den allergrößten Teil der öffentlichen Ausgaben in diesem Bereich machen die Personalkosten aus. Laut Georgia Nakou wuchsen diese von 268,6 Millionen Euro im Jahr 2011 auf gut 312 Millionen Euro im Jahr 2017 an. Allerdings, so ihre Einschränkung, dürfte dieser Zuwachs eher auf die »Umstrukturierung des öffentlichen Rentensystems als auf den Personalaufbau zurückzuführen sein«. Und insgesamt betrachtet habe die Erhöhung der Personalkosten für Gehälter und Renten dafür gesorgt, dass im Feuerwehretat »an anderer Stelle Einschnitte vorgenommen« wurden.

Nakou schreibt, »im Laufe der Jahre hat Griechenland in einen kostspieligen und ineffizienten Feuerwehr-Apparat investiert, der unter dem Druck der Haushaltsdisziplin zusammenbricht«. Interessant sind dazu auch die Ausführung über strukturelle Änderungen in der Vergangenheit, etwa der Wechsel der Verantwortung bei Waldbränden vom Forstdienst auf die Feuerwehr, der Kosten erhöht und Effizienz gemindert hat. An anderer Stelle war bereits auf die Einschränkungen bei den Freiwilligen Feuerwehren hingewiesen worden, die auch eine Rolle gespielt haben dürfte.

»Finanzierungsengpässe mögen bei den tragischen Ereignissen in Mati eine Rolle gespielt haben«, schreibt Nakou, weist aber zugleich anderen Faktoren wie der schlechten Koordination der Verwaltung und dem Problem mit dem illegalen Bauen eine größere Rolle zu. Es sei zum Beispiel fraglich, ob mehr Feuerwehren in der nötigen kurzen Frist zu den Bränden hätten vorstoßen können, da enge Straßen von Flüchtenden verstopft waren.

Die Agentur AFP zitiert den Waldexperten Nikos Bokaris mit den Worten, »das Feuer hat nicht auf die Krise gewartet, um anzufangen zu brennen. Aber sicher hat ein Austrocknen der öffentlichen Mittel nicht geholfen«. Wie oben mit den Zahlen demonstriert werden konnte, genügt es dabei nicht, nur die Gesamtbudgets in den Blick zu nehmen, Folgen von Sparzwang oder Umstrukturierungen machen sich eben auch auf verschlungene Weise bemerkbar. »Geld ist ein Thema, aber vielleicht nicht in der Art und Weise, wie es vereinfacht dargestellt wird.«

In den griechischen Medien wird zudem auf mangelnde Vorsorge, fehlende Alarmsysteme und Evakuierungsroutinen hingewiesen. Die mangelnde Beseitigung von Büschen, die Feuer begünstigen, das Fehlen von Brandschneisen, das die Ausbreitung verhindern hilft und Rettungswege ermöglicht, sind ebenso Thema. Die Universität von Athen hat inzwischen einen vorläufigen Bericht über die Brände vorgelegt, in dem es vor allem um örtliche Aspekte, die Bebauung, die spezielle Physik des Feuers an jenem Tag und so fort geht.

Yanis Varoufakis hat daran erinnert, dass es in Griechenland »immer schon zerstörerische Waldbrände« gab – und zwar vor und nach dem Beitritt zur EU und dem Einstieg in den Euro. 2007 hatte es die bis dahin schwersten Feuer gegeben, auch damals starben Dutzende Menschen. »Für die Brände oder für 70 Jahre Umweltzerstörung durch die griechische Gesellschaft« könne die Europäische Union »nicht verantwortlich gemacht werden«, so Varoufakis. Für ihn stehe aber »außer Frage«, dass in den vergangenen Jahren die Gläubiger »dem griechischen Staat aktiv Ressourcen und Fähigkeiten entzogen hat, die er bei solchen Krisen brauchen würde«.

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