Das Geschäft mit der Humanität
In Istanbul treffen sich zum humanitären Weltgipfel, Staats- und Regierungschefs, und VertreterInnen der Privatwirtschaft. Die OrganisatorInnen fordern eine Reformierung der humanitären Hilfe.
Weltweit sind über 83 Millionen Menschen auf humanitäre Hilfe angewiesen. Die »Flüchtlingskrise« hat die dramatische humanitäre Situation von Menschen aus Krisengebieten an die Grenzen Europas und damit in das Blickfeld der EuropäerInnen gebracht. Ob in Zelten in Idomeni, entlang der Balkanroute oder in Flüchtlingslagern in der Türkei. Überall versuchen Hilfsorganisationen eine Versorgung der Geflüchteten sicherzustellen.
Der finanzielle Bedarf hat sich laut dem Verband Entwicklungspolitik und Humanitäre Hilfe (Venro) in den letzten Jahren vervierfacht, die Zuwendungen durch Geberländer haben sich jedoch nur verdoppelt. Außerdem dauert die Anlieferung von Hilfsgütern nach Ansicht von Venro in der Regel zu lange. Ein Umstand, der im schlimmsten Fall Leben kostet. Oft verhindert eine unflexible starre Hilfsagenda die Hilfe, die vor Ort wirklich benötigt wird.
Das ist die eine Seite. Organisationen, die versuchen, notleidende Menschen über eine Erstversorgung hinaus zu unterstützen. Die andere Seite sind Unternehmen, die Decken, Zelte und Nahrungsmittel liefern. Diese sehen humanitäre Hilfe vor allem als Geschäft. Sie bietet nicht nur einen verlässlichen Absatzmarkt, schließlich ist irgendwo immer Krieg, eine Naturkatastrophe oder eine Krise. Die Unternehmen sehen die Krisenregion als zukünftigen Absatzmarkt. Liefern sie in einer Krise Autos, sind sie in einer stabileren Lage schon da und können auf einen größeren Marktanteil hoffen.
Humanitäre Hilfe ist zu einem Markt geworden. Ein Markt, der Gemeinwohl und Hilfsbereitschaft ignoriert. Hilfsorganisationen müssen entscheiden, wie viele Produkte sie im Land oder in Nachbarländern der Krisenregion kaufen. Eine Entscheidung, die den Markt in der ganzen Region verändern kann. Preise vor Ort müssen gegen den Transport von weit her abgewogen werden. Die Hilfsorganisationen müssen auch berechnen, inwieweit Einkäufe von ihnen die Produkte auf dem Markt verteuern. Oft sehen sie sich auf den Märkten höheren Preisen als üblich ausgesetzt, weil Marktakteure schnelles Geld wittern. Hilfe und Krisen dienen dem Markt. Je länger die Krisen dauern, desto lukrativer das Geschäft.
Ein Geschäft, an dem viele verdienen wollen. Hilfsorganisationen müssen Schmiergelder bezahlen, um Hilfsprodukte ins Land zu bringen. Die Schätzungen für eine solche »Steuer« liegen zwischen 20 und 80 Prozent. Mit diesem Geld kann auch Krieg weiterfinanziert werden.
Und auch die Konkurrenz unter den Hilfsorganisationen gleicht den realen Verhältnissen auf dem Markt. Um Hilfe und damit um Geld wird konkurriert. Hilfsorganisation leben vom Geschäft mit der Krise. Sie helfen eher nicht dabei, Selbsthilfe zu erlernen. Denn wer möchte schon gerne sein eigenes Existenzrecht und damit seine Arbeit verlieren. Hilfe funktioniert aus der klassischen eurozentristischen Sicht: Wir helfen euch, weil ihr es nicht alleine könnt.
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