Wirtschaft
anders denken.

Das haben wir geschafft

22.09.2017
Geralt / Pixabay

Freude ist bekanntlich nur ein Mangel an Informationen. Am Sonntag wird gewählt und es steht niemandem zu, anderen reinzureden, was sie mit der Gelegenheit anfangen. Aber schön ist, wenn man wählen geht und ein bisschen was über die vergangenen vier Jahre weiß, also vor allem darüber, was die Große Koalition getan hat und wie wir nun ob dieses Tuns dastehen.

Bereits im April 2017 gab das Institut für sozial-ökologische Wirtschaftsforschung München e.V. (isw) die Wirtschaftsinfo 51 zur Bilanz dieser vier Jahre unter schwarz-roter Führung heraus. Und da lässt sich gut nachlesen, was uns Segensreiches und Katastrophales zuteil wurde. Zumal die Wahlplakate – wir hoffen alle, dass sie schnell aus dem Straßenbild verschwinden werden – an politischer Lyrik und Denken ins Ungewisse fast unübertroffen sind. Aber mit Wahlplakaten ist es wie mit den Sommern: Jedes Jahr denken wir: So beschissen war es noch nie. Und wenn wir in die Annalen der Wetterdienste schauen, müssen wir feststellen, dass unser Eindruck trügt. Es war fast immer schon mal schlimmer und – wie ein Wahlplakat auf der Berliner Karl-Marx-Allee verspricht: »Die Hoffnung stirbt zuletzt. Aber sie stirbt.«

Es gab Aufschwungjahre bei der Reallohnentwicklung, die sieben Mal in Folge gestiegen sind. Zuvor waren sie acht Jahre lang mit einer Ausnahme um insgesamt fast sechs Prozent gesunken, aber das ist lange her, nicht wahr? 2015 betrug der unbereinigte Gehaltsunterschied zwischen Männern und Frauen 21 Prozent (in den neuen Bundesländern übrigens nur acht Prozent, weil hier alle irgendwie schlechter verdienen). Wir nennen das Gender Pay Gap und den wird es geben, so lange es den Kapitalismus gibt.

Eine sehr gute Entwicklung haben in der Zeit der GroKo die Vorstandsbezüge und Boni genommen. 2014 betrugen sie zehn Prozent mehr, 2015 waren es 11,4 Prozent mehr, die Zahlen für 2016 sehen auch schön aus, waren zum Zeitpunkt der Publikation aber noch nicht öffentlich. Im Durchschnitt verdiente ein DAX-Vorstandsvorsitzender einschließlich Boni 6,1 Millionen Euro – VW-Chef Winterkorn, der mit dem Dieselproblem, natürlich viel mehr. In vielen Aufsichtsräten sitzen GewerkschafterInnen und ArbeitgeberInnen, die allerdings ebenfalls ein gutes Geld für die vielen Sitzungen bekommen, in denen sie sitzen und beraten müssen. Also waren sie alle nicht sehr an einer Mäßigung interessiert. Die Regierung war es – außer verbal – auch nicht. Sie hatte übrigens auch kein Interesse daran, eine vernünftige Karenzzeitregelung zu beschließen, nach der PolitikerInnen mit ihrem Herrschaftswissen und ihren guten Kontakten nicht so schnell in die viel besser bezahlende Wirtschaft wechseln dürfen. Stattdessen herrschte ein munteres Kommen und Gehen.

In diesem Zusammenhang ist auch zu sagen, dass es weiterhin nicht möglich ist, den legislativen Fußabdruck eines Gesetzes nachzuvollziehen. Ob Kanzleien großer Konzerne, WirtschaftsexpertInnen mit ganz eigenen Interessen oder Beamte eines Ministeriums ein Gesetz geschrieben haben, bleibt auch künftig ein Geheimnis. Fast so undurchschaubar, wie das Wahlrecht, dessen Reform nicht gewollt und deshalb gescheitert ist, was uns zwingt, darüber nachzudenken, ob wir einer kleinen, aber an der 5-Prozent-Hürde scheiternden Partei, die wir aber gut finden, unsere Stimme zu geben, die dann später den Gondelköpfen einer Koalition, die wir nicht wollten und nicht gewählt haben, zugerechnet wird. Alles ein Drama.

2016 waren die Unternehmens- und Vermögenseinkommen um 3,1 Prozent gegenüber dem Vorjahr auf 746 Milliarden Euro gestiegen. Die Gewinne der Kapitalgesellschaft um 3,8 Prozent auf 553 Milliarden, die Profite der DAX-Konzerne (Huch!) um 49,2 Prozent auf 74 Milliarden Euro und die Dividenden um 8,9 Prozent auf 31,8 Milliarden Euro. Da lesen sich die 2016 um 2,2 Prozent gestiegenen Reallöhne schon ganz anders, zumal noch 0,5 Prozent Inflationsrate abgezogen werden müssen. Aber das trifft ja auch auf die Dividenden zu, ist also vergleichsweise gerecht.

Die Staatsausgaben – der Staat tut ja eine Menge – stiegen 2016 gegenüber dem Vorjahr um 4,2 Prozent, so viel war es seit 1992 nicht mehr (wir erinnern uns: Deutsche Einheit). Die Statistik meint, der Zuwachs 2016 sei wie 1992 auf die hohe Zahl der Zuwanderer zurückzuführen, sprich: Die Ausgaben für Geflüchtete. Das heißt, die Zuwanderung treibt die Konjunktur an, das Wachstum steigt. Zu Recht schreibt die isw-wirtschaftsinfo an der Stelle, dass dies all jene widerlegt, die uns weismachen wollen, dass die Aufnahme von Geflüchteten finanziell nicht zu bewältigen sei.

Schaut man hingegen auf die Staatsausgaben im Bereich Wohnungsbau, fällt einer nur noch die Antwort von Karl Valentin auf die Frage »Haben Sie keinen Anstand?« ein: »Hab keinen!«

Der Bund förderte mit einer Milliarde Euro den Bau von vielleicht 10.000 Sozialwohnungen. Die Bundesbauministerin Hendricks spricht von einem jährlichen Bedarf von rund 350.000 neuen Wohnungen, andere sagen, 500.000 sind nötig. Die Lücke beträgt also wahlweise 340.000 oder 490.000 Wohnungen. Daran kann sich die nächste Koalition abarbeiten, wird sie aber wahrscheinlich nicht machen.

Wir haben es ja Rot-Grün und Gerhard Schröder zu verdanken, dass der Spitzensteuersatz auf Einkommen gesenkt wurde (von 53 auf 42 Prozent). Aber auch die Große Koalition hat nichts getan, um Deutschlands miesen Ruf als Paradies für Steuerhinterzieher und Geldwäscher zu verbessern. Immerhin stehen wir auf Platz 8 der Steueroasen, das muss man als Land der Leitkultur erst mal bringen und angesichts dessen, was der Finanzminister anderen Ländern so gepredigt hat in den vergangenen Jahren, fragt man sich, ob wir das Wort »Anstand« nicht einfach aus dem Duden streichen sollten.

Der Lobby-Organisation deutscher Familienunternehmen in Zusammenarbeit mit der Koalition verdanken wir dann auch, dass es mit der Reform der Erbschaftssteuer nicht wirklich was geworden ist. Bereits Helmut Kohl, Gott sei seiner Seele gnädig, hat die direkte Vermögenssteuer abgeschafft. Damals betrug sie ein Prozent des steuerpflichtigen Vermögens und dieses eine Prozent hätte Unternehmen wie Quandts wahrscheinlich auf Dauer in den vollständigen Ruin getrieben. Gäbe es jetzt aber wieder dieses eine Prozent, könnte der Bund laut Deutschem Wirtschaftsinstitut (DIW) zwischen zehn und 20 Milliarden Euro zusätzlich an Steuern einnehmen. Müsste das reichste ein Prozent der Haushalte, dem 32 Prozent des Nettovermögens gehören, nur fünf Prozent Vermögenssteuer bezahlen, wären das 140 Milliarden Euro im Jahr.

Aber lassen wir die Reichen reich sein, sie werden es auch unter der nächsten Koalition bleiben.

Von 2006 bis 2015 sank die Arbeitslosenquote erfreulicherweise von 10,8 auf 6,4 Prozent. Im gleichen Zeitraum stieg die Armutsquote von 14 auf 15,7 Prozent. Das mag paradox erscheinen, ist es aber nicht. Der Niedriglohnsektor, Renten, von denen man nicht leben, aber auch nicht gut sterben kann (die Beerdigungskosten sind irre hoch), ein viel zu niedrig bemessener Regelsatz ALG II und noch einige andere Faktoren machen aus dem Paradoxon eine logische Entwicklung. Seit dem Jahr 2000 hat sich die Anzahl der sogenannten atypischen Beschäftigungsverhältnisse (befristete Beschäftigung, Leiharbeit, Teilzeitarbeit, geringfügig Beschäftigte) um 61 Prozent erhöht, ihr Anteil an den Erwerbstätigen stieg von 28,7 auf 42,5 Prozent. Dieses Jobwunder hat Gerhard Schröder unter anderem mit seiner »Reform des Arbeitnehmerüberlassungsgesetzes« eingeleitet und die GroKo hat es dankend ausgebaut.

Das alles ließe sich fortführen, aber nun bleiben nur noch ein paar Stunden bis zur Wahl. Und irgendwie muss man ja auch zu einer Entscheidung kommen. Wir könnten noch darüber reden, dass die Große Koalition alles abgelehnt hat (Martin Schulz hätte es sicher schwer, da zu argumentieren, aber zum Glück befasst er sich damit gar nicht), was die direkte Demokratie gestärkt, also Teilen von Macht bedeutet hätte: Das Parlament gibt ab, die BürgerInnen bekommen. Die dreistufige Volksgesetzgebung wollte niemand, Wahlrecht für alle seit mindestens fünf Jahren hier lebende Menschen bleibt utopisch, ein verbindliches Transparenzregister, damit wir endlich wissen, wer welches Geld für welche möglichen Gefälligkeiten bekommt, ist weiterhin Zukunftsmusik.

Die Große Koalition hat nicht geschlafen. Ihre Bilanz kann sich schon sehen lassen. Und für einige ist sie sogar großartig. Nur halt nicht für die Mehrheit. Und schon gar nicht für viele europäische Nachbarn, die unter dem starken und protektionistischen Exportweltmeister Deutschland (wir sind weiterhin Weltmeister) leiden. Dabei haben wir noch gar nicht über die ganz großen Themen gesprochen: Klimaschutz, Bayer-Monsanto, Rüstungsexporte… Machen wir noch. Erst mal wählen gehen.

 

Die isw-wirtschaftsinfo 51, bekommt man für eine Schutzgebühr von 5 Euro und bestellt sie unter www.isw-muenchen.de

Geschrieben von:

Kathrin Gerlof

OXI-Redakteurin

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