Wirtschaft
anders denken.

Das ist erst der Anfang

15.06.2017
Foto: Chatham House / flickr CC BY 2.0Jeremy Corbyn steht zu seinen Idealen und kämpft um die Abgehängten.

In Britannien wird nach dem Wahldesaster für Theresa May nichts mehr so sein wie vorher. Die Hoffnung steht links. Und Jeremy Corbyn gibt nicht auf. Pit Wuhrer analysiert, wie der Labour-Chef für seine Ziele auch UKIP-Wähler zurückgewinnt.

Es geht also auch anders. Seit bald vierzig Jahren, seit Margaret Thatchers Durchmarsch in den 1980er-Jahren, gilt die neoliberale Doktrin des Staatsabbaus, der Privatisierungen, der Sozialkürzungen als gesellschaftlich akzeptierte Maxime. Widerstand dagegen, das wurde den Menschen über Jahrzehnte hinweg eingebläut, ist zwecklos, schadet der Wirtschaft und führt schnurstracks ins Abseits. Auf das Individuum kommt es an, auf sonst niemanden.

Und jetzt sind die Grundfesten dieser Ideologie innerhalb weniger Wochen kollabiert. Mit einem furiosen Wahlkampf haben Jeremy Corbyn und sein Team gezeigt, dass es Alternativen zur von oben verordneten rigiden Sparpolitik gibt, dass eine Politik der Umverteilung eine Massenbasis hat, dass soziale Gerechtigkeit kein Ladenhüter ist.

Und so stellt sich die Frage: Was bedeutet der unerwartete Erfolg des vielfach geschmähten Labourvorsitzenden? Kann er anderswo wiederholt werden?

Alles auf Anfang

Sicher ist, dass die vielen, vornehmlich jungen LabouraktivistInnen, nicht so schnell klein beigeben werden. Sie sind von Haus zu Haus gerannt, haben an Türen geklopft, klebten Plakate, streiften sich T-Shirts mit Labours Slogan »For the many, not the few« über, besuchten zu Tausenden Corbyns Wahlveranstaltungen, produzierten Songs und Videos, die schnell Verbreitung fanden. Sie werden einen »harten Brexit« nicht hinnehmen. Sie werden weiter – wie zuletzt im Mai 2017 – für den Erhalt des Nationalen Gesundheitssystems NHS auf die Straße gehen und auch Corbyns parteiinterne GegnerInnen nicht in Ruhe lassen, die in ihren Wahlkreisen ebenfalls von der Basisrevolte profitierten.

Rückkehr der Hoffnungslosen

In Britannien wird nichts mehr so sein wie vorher. »Die Hoffnung steht links«, hatte Corbyns politischer Mentor Tony Benn immer wieder betont, und wenn sie einmal da ist, stirbt sie nicht so schnell. Das zeigt das Wahlergebnis. Alle hatten erwartet, dass die bisherigen WählerInnen der EU- und fremdenfeindlichen United Kingdom Independence Party (UKIP) zu den Konservativen abwandern würden. Mit dem Brexit-Votum im Juni 2016 hatte UKIP ihren Daseinszweck erfüllt. Doch von den 3,8 Millionen BritInnen, die 2015 noch für der Partei gestimmt hatten – darunter viele Arme und Hoffnungslose in den deindustrialisierten Regionen des Landes – votierten rund vierzig Prozent für Labour. Weil Corbyn mit seinem Programm (Rücknahme der Sozialkürzungen, Stärkung des NHS, Anhebung des Mindestlohns, Verbot der Nullstundenarbeitsverträge, Wiederverstaatlichung von Bahn, Post, Trinkwasser, Energiebetrieben, Wiederherstellung der von Margaret Thatcher geschleiften Arbeitsrechte, Erhöhung der Reichen- und Unternehmenssteuern und so weiter) ein gesellschaftliches Gegenmodell offerierte. Solide durchgerechnet und von angesehenen WirtschaftswissenschaftlerInnen akzeptiert.

Selbst politisch desorientierte, nach rechts neigende Bevölkerungsgruppen, die sich allein gelassen fühlen, können zurück gewonnen werden. Wenn sie sich und ihre Sorgen ernst- und wahrgenommen fühlen.

Keine Blaupause für Sozialdemokratie

Corbyns Stärke und Mobilisierungskraft hat freilich auch mit der Schwäche der Konservativen zu tun. Die Tories führten einen ganz auf Theresa May zugeschnittenen Wahlkampf, der die Kommunikationsunfähigkeit der Premierministerin offenbarte. Und so verloren sie selbst Wahlkreise wie in der Bischofsstadt Canterbury, die seit hundert Jahren konservativ dominiert war.

Eine Blaupause für die notleidende europäische Sozialdemokratie ist Corbyns Erfolg gleichwohl nicht. Zwar wanzt sich SPD-Chef Martin Schulz momentan gehörig an den Labour-Star heran (den er vor wenigen Wochen nicht einmal mit der Beißzange angefasst hätte), zwar wittern viele SozialdemokatInnen auf dem Kontinent Morgenluft – doch einen so geradlinigen, bescheidenen und kämpferischen Politiker gibt es nicht überall. In der SPD etwa wäre einer wie Corbyn längst weggebissen worden; das klappte bei Labour übrigens nur deswegen nicht, weil ihn das Mehrheitswahlrecht schützt: Corbyn wird seit 1983 von den Delegierten seines Wahlkreises London-Islington nominiert und stets wiedergewählt.

The fight goes on. Corbyn kämpft weiter.

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Was bleibt, ist die Erkenntnis: Beharrlicher Widerstand gegen die neoliberal-kapitalistische Demontage der Gemeinwesen findet dann eine Basis, wenn nicht bloß da und dort ein bisschen herum geschraubt wird, hier eine kleine Rentenerhöhung, dort ein Reförmchen. Sondern wenn eine über eine in sich schlüssige Alternative abgestimmt werden kann. Dann können nicht einmal die überwiegend rechtskonservativen Medien – mit ihrer Dauerkampagne gegen Corbyn – eine Wirkung entfalten.

Dass vor allem die Jungen für Corbyn mobilisierten – rund siebzig Prozent der 18- bis 25-Jährigen wählten Labour, vor zwei Jahren war es nicht einmal die Hälfte –, verspricht eine bewegte Zukunft. Corbyn wird jedenfalls nicht lockerlassen. »Das ist erst der Anfang. The fight goes on«, sagte er am Morgen nach der Wahl.

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