Das Klima, der Wandel, die Verdrängung
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»Man glaubt gar nicht, wie schwer es oft ist, eine Tat in einen Gedanken umzusetzen!« (Karl Kraus)
Der US-amerikanische Philosoph Timothy Bloxam Morton beschreibt den Klimawandel als ein »Hyperobjekt«. Ein so großes Konzept also, dass niemand es vollständig erfassen kann. Vor allem, da es in zeitlicher Dimension völlig überfordere, denn die schlimmsten Auswirkungen jetzigen Handelns träten erst so viel später ein, dass wir geneigt seien, dem Problem sozusagen seine Existenz abzusprechen. Wir sind, was der Humangeograf Andreas Malm »apokalypseblind« nennt. Das Wetter von heute ist in der Vergangenheit entstanden, der Langstreckenflug, um die Korallenriffe zu bewundern, die es bald nicht mehr geben wird, zeitigt seine negative Wirkung erst in der Zukunft. Den Flug aus Scham nicht zu buchen, würde nur dann etwas ändern, wenn ein solches Verhalten in Politik mündete. Davon aber kann in dieser Gegenwart nicht die Rede sein.
Ende Juli 2023 meldete sich der Ozeanograf Stefan Rahmstorf zu Wort, er arbeitet am Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung. Physikalisch sei es zwar noch möglich, unter dem Wert von 1,5 Grad Erderwärmung (bezogen auf das vorindustrielle Niveau) zu bleiben. Politisch jedoch nicht. Es fehle zwar nicht an Lösungen und der notwendigen Technologie, aber an politischem Willen.
Man merkt den Wissenschaftler:innen an, wie müde und wie leid sie es wahrscheinlich sind, politische Entscheidungsträger:innen immer wieder wissen zu lassen und ihnen alle notwendigen Fakten dafür zu liefern, dass sie handeln MÜSSEN. Konsequent, schnell, gemeinsam und vor allem möglichst ohne das Kalkül kurzfristiger Wahlerfolge oder bloßen Machterhalts.
Wo der politische Wille zumindest in Ansätzen vorhanden scheint, auch das ist eine Erfahrung der Gegenwart, sorgen die Bevölkerungen dafür, dass die Strafe der Untergang ist. Wer öffentlich sagt: »Wir können nicht mehr auf die Art und Weise produzieren, wachsen und verbrauchen, wie wir es bisher getan haben«, wird von jenen Parteien, die lügen: »Natürlich können wir das!«, und mit Unterstützung großer Teile der Verdrängungsgesellschaften vom Spielfeld geschmissen.
Die Lüge hat es leicht. Sie kann dummdreist daherkommen, wie der bayerische Vize-Ministerpräsident Hubert Aiwanger unter Beweis stellte, als er Anfang des Jahres nach ein paar Schneefällen im Sonderfall Bayern, das dem Klimawandel, glaubt man Freien Wählern und CSU, wahrscheinlich am längsten standhalten wird, den Grünen triumphierend zurief: »Natürlichen Schnee gibt es ja nach eurer Ideologie nicht mehr.« Nun aber habe Petrus die Schneekanone wieder eingeschaltet.
Die Lüge kann verkürzen, Fakten weglassen oder verdrehen, Versprechen geben, die nicht gehalten werden können, und Behauptungen aufstellen, die kaum jemand mehr überprüfen mag, weil es so unglaublich bequem ist, ihnen zu glauben. »Die erstbeste Art, Realität auszuweichen«, schreibt Guillaume Paoli in seinem Buch »Geist und Müll«, »ist die schlichte Verneinung. Es gebe keine menschengemachte Klimaerwärmung, es gebe keine Pandemie, es gebe gar kein Problem, das Leben gehe wie gehabt weiter. Die Leugnung hat einen Vorteil: Sie ist mit jener ökonomischen Denkart konsistent, in der Endlichkeit jeder Art, das Versiegen von Rohstoffen etwa, prinzipiell ausgeschlossen wird.« Allerdings sei die sekundäre Form der Verdrängung die »Verniedlichung des Entsetzlichen« (Günther Anders, Philosoph). Hier werde das Desaster keineswegs geleugnet, sogar dramatisch überhöht, jedoch werde das Ausmaß des Desasters sukzessiv verkleinert, »zunächst auf die Klimakrise, dann quantitativ auf die CO2-Emissionen, dann auf die Energiewende, bis schließlich die Weltrettung an einem Wahlzettel und dem Kauf eines Elektrorollers hängt. Die sekundäre Verdrängung besteht also darin, das Desaster in einem ersten Schritt anzuerkennen, um es dann in sein Gegenteil umzudeuten.«
Wer in diesem Augenblick an die Grünen denkt, hat noch keinen Beweis erbracht, aber es lohnt sich, von hier aus weiterzugehen. Keine Partei verkörpert das beschriebene Dilemma so sehr wie diese, deren Entstehung die Anerkenntnis des »Hyperobjekts« Klimawandel und die Kritik am Umgang mit den Folgen einer versprochenen »strahlenden« Zukunft mit stetig steigendem materiellen Wohlstand war. Strahlend wird die Zukunft bleiben, auch dann, wenn ein halbwegs taugliches Endlager gefunden ist. Das mit dem materiellen Wohlstand steht auf einem anderen Blatt.
Seit Beginn der Industrialisierung ist die globale Durchschnittstemperatur um etwa 1,2 Grad gestiegen, in Europa liegt der Wert dreimal so hoch. Das hat sich Europa hart erarbeitet und verdient, als Wiege der Industrialisierung und als Meister der Verdrängung, wenn es darum geht, den eigenen Anteil an dem Desaster anzuerkennen. Eine Untersuchung der ETH Zürich belegt: Heute ist das Wetter an keinem einzigen Tag so, wie es ohne Klimawandel wäre. »Kommt nach Bayern«, würde Aiwanger den Forscher:innen wahrscheinlich zubrüllen. »Mia san mia, und ’s bleibt alles, wie es ist. Bei uns hat’s im Winter sogar hin und wieder Schnee!« Aber selbst wenn es sichtlich nicht bleibt, wie es ist, tut das dem »Weiter so!« nur wenig Abbruch.
Während auf dem einen Teil der Insel Rhodos die Ferienflieger landeten, wurde der andere Teil durch Waldbrände in Asche gelegt. Das Bild könnte gut als Gleichnis für die Gegenwart herhalten. Bei dem Gigafeuer 2020 in Australien starben Schätzungen zufolge rund eine Milliarde Tiere. Dies sei, schreibt Paoli, »eine Brandopfergabe an die Wirtschaftsgöttin« gewesen. Als Bild dafür, das uns ein paar Sekunden lang in Bann hielt, wählten die Medien ein verkohltes Känguru, das in einem Stacheldrahtzaun hing. Ein paar Jahre zuvor hatte dies ein kleiner toter Flüchtlingsjunge, vom Mittelmeer an den Strand gespült, geschafft. Und nun zum Wetter, die Tagesschau meldet sich wieder um 22.45 Uhr.
In einem Diskussionspapier aus dem Jahr 2022 stellte der Soziologe Jens Beckert (Max-Planck-Institut für Gesellschaftsforschung) die Frage: »Warum reagieren Gesellschaften so zögerlich auf die Gefahr des Klimawandels?« Seine These lautet: »Die Steuerungsmechanismen moderner kapitalistischer Gesellschaften weisen Macht- und Anreizstrukturen auf, die die Lösung des globalen Kollektivgutproblems Klimawandel verhindern. Dies lässt sich für Wirtschaft, Staat und Gesellschaft zeigen.«
Was die Wirtschaft anbelangt, hat sich diese Zeitung sieben Jahre lang bemüht, zu erklären, warum eine Produktionsweise nicht die Lösung sein kann, die durch stetige Landnahme und Einbeziehung von allen und allem in diese Landnahme – also auch sozialen Beziehungen, Körpern und jeglichen Commons – geprägt ist und ausschließlich dem Zweck der Gewinnerwirtschaftung folgt. Beziehungsweise nur bei Strafe ihres Untergangs die Lösung sein könnte. Kapitalistische Ökonomie folgt dem Expansionsparadigma. Tut sie das nicht, ist sie nicht länger kapitalistisch. »Kapitalistische Märkte haben keinen eingebauten Mechanismus der Berücksichtigung ökologischer Schäden«, schrieb Beckert.
Ende der Geschichte? An dieser Stelle ließe sich der Vorschlag unterbreiten, dem Kapitalisten exogen einen solchen Mechanismus aufzudrücken. »Regulatorische Umweltschutzauflagen, politisch geschaffene Quasimärkte, wie insbesondere Märkte für Verschmutzungsrechte, oder veränderte Konsumentenpräferenzen ermöglichen die Internalisierung externer Effekte durch politischen Eingriff oder kulturellen Wandel« (Beckert). Das adressiert also die Politik. Die nationalen wie internationalen Politiken. Allerdings liegt der Befund nahe – bleibt man mal beim Nationalen –, dass Parteien nicht (mehr) fähig sind, generativ zu handeln. Dies war insofern einmal anders, als eine Partei – egal welcher Couleur sie war – stets ein Wachstums- und Wohlstandsversprechen im Gepäck haben konnte. Und zwar völlig unabhängig davon, ob dieses Wohlstandsversprechen für eine Oberschicht, eine Mittelschicht, die sozial Abgehängten oder gar alle galt. Jedes Versprechen basierte darauf, dass es Wachstum geben und aus diesem Wachstum Wohlstand erwachsen würde. Da machten auch die Grünen keine Ausnahme, ebenso wenig die Linken. Selbst wenn die Verteilung der Wachstumsgewinne höchst ungerecht (FDP oder CDU) nach oben erfolgen sollte, ging damit das Versprechen einher, dass für alle etwas abfallen und sich in mehr Konsum niederschlagen würde. Dass die warenförmige Welt für alle ein paar Segnungen vorhält.
Generatives Handeln war insofern ein leichtes Spiel, denn es bedeutete schlicht und einfach, zu behaupten, es werde den Kindern der jetzigen Wähler:innen einmal besser gehen. Und so ist es ja auch lange gekommen. Hier, im reichen Globalen Norden, also nicht nur in Deutschland. Nun stehen Parteien eigentlich vor der Aufgabe, zu vermitteln, dass es einer Entkopplung unseres Verständnisses von Wohlstand und Lebensqualität von ökonomischem Wachstum bedürfte. Diesen Diskurs hat noch keine Partei zu führen gewagt. Und führte ihn eine Partei, wäre die Strafe ihr Untergang. Medial begleitet und unterstützt. Keine Partei, auch nicht die Linke, hat sich bislang die Mühe gemacht, über einen anderen, neuen Wohlstandsbegriff nachzudenken. Das tun die Wirtschaftsethiker:innen Evangelischer oder Katholischer Akademien, die nicht gefragt werden, die Pluralen Ökonom:innen, die nur selten in Expert:innenkommissionen berufen werden, Klimaaktivist:innen, von denen kaum jemand etwas hören möchte. Und wenn Letztere zu radikal sind, sperrt man sie lieber weg und erklärt sie zu Terroristen.
Unser politisches System basiert darauf – und die Bevölkerungen der Vergangenheit und Gegenwart sind darauf konditioniert worden –, dass bei Wahlen keine Partei aus dem Topf »Sonstige« herauskommt, deren Versprechen lautet, einen Plan, eine Idee für eine angemessene politische Reaktion auf die weltumspannende biophysikalische Bedrohung und Existenzkrise zu haben. Denn dieser Plan, diese Idee bräche in den sogenannten Wohlstandsgesellschaften mit allem, was der überwiegende Teil der Menschen bislang zur Grundlage einer Wahlentscheidung gemacht hat. ES MUSS BESSER WERDEN! Und »BESSER« ist von den Parteien, über die wir reden, bislang immer mit »MEHR« beschrieben worden. Jetzt kommen noch allerorten Parteien dazu, die »BESSER« mit Faschismus, Autokratie, Abschottung, Blut-und-Boden-Ideologie und ungehemmtem Rassismus übersetzen. Und damit Wahlerfolge einfahren.
Was im Umkehrschluss bedeutet: Mit ausreichend Stimmen wird gewählt, wer behauptet, es ginge auch ohne einen solchen Plan. Oder wer zusammenlügt, es ließe sich eine stacheldrahtbewehrte Insel des Wohlstands bewahren, auf die das Klima der nahen Zukunft nicht wird flüchten können.
Blieben also die Staatsvölker (oder Bevölkerungen), um jene in die richtige Richtung zu drängen, die in Stellvertreterdemokratien das Zepter in der Hand halten. Auch hier ist Pessimismus angesagt, was nicht gleich in Resignation münden muss. »Gesellschaften laufen sehenden Auges in die Klimakrise, reagieren mit partiellen Maßnahmen und werden sich letztlich notdürftig an die Folgen anpassen«, schrieb Beckert.
Aber: Kaum jemand wird behaupten, die Politik und die von ihr protegierte Wirtschaftsweise – durch politische Vorleistungen im Sinne eines diese Art des Wirtschaftens schützenden Staates ermöglicht – hätten von ihm oder ihr das Mandat erhalten, den Planeten zu zerstören, künftige Generationen zu diskontieren, deren Zukunft aufs Spiel zu setzen und im Ergebnis dessen mit Machterhalt und Profiten belohnt zu werden. Der daraus entstehende Groll, das wissen wir, lässt sich nach rechts in den Abgrund missbrauchen, kann aber auch in ein konstruktives »Nein!« (griechisch: »Oxi!«) gewendet werden. Die Frage ist, über wie viele Reserven die Demokratien und ihre Bevölkerungen verfügen.
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