Wirtschaft
anders denken.

Was ist eigentlich das Problem mit Negativzinsen?

Die Senkung des Leitzinssatzes durch die EZB hat heftige Reaktionen provoziert. Aber warum eigentlich? Wozu sind die Negativzinsen gut, und wer profitiert? Hermann Adam über ein umstrittenes geldpolitisches Instrument.

21.04.2016
Professor Hermann Adam lehrt Politikwissenschaft am Otto-Suhr-Institut der Freien Universität Berlin. Der Diplom-Volkswirt und Politikwissenschaftler arbeitete in den 1970iger Jahren beim Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Institut des Deutschen Gewerkschaftsbundes (WSI) und danach beim Deutschen Sparkassen- und Giroverband. Sein Einführungswerk »Bausteine der Wirtschaft« ist eines der erfolgreichsten Ökonomielehrbücher jenseits des wirtschaftswissenschaftlichen Mainstreams.

Die Senkung des Leitzinssatzes durch die EZB hat heftige Reaktionen provoziert. Aber warum eigentlich? Wozu sind die Negativzinsen gut, und wer profitiert? Hermann Adam über ein umstrittenes geldpolitisches Instrument.

Was sind Negativzinsen?

Adam: Bei Negativzinsen müssen die Geschäftsbanken für Geld, das sie kurzfristig bei der Notenbank anlegen, Zinsen bezahlen statt – wie üblich – Zinsen zu erhalten.

In welcher wirtschaftlichen Situation werden Negativzinsen eingesetzt?

Das ist eine Situation allgemeiner Nachfrageschwäche: Die privaten Haushalte, die privaten Unternehmen und der Staat geben zu wenig Geld aus beziehungsweise nehmen zu wenige Kredite auf. Dadurch kommt die Wirtschaft nicht ausreichend in Schwung, und die Banken »schwimmen im Geld«, das sie nicht verleihen können.

Sind sie in den letzten Jahrzehnten häufig eingesetzt worden, oder ist das die absolute Ausnahme?

Bisher war das die absolute Ausnahme.

Was sollen sie bewirken?

Sie sollen vor allem bewirken, dass die Unternehmen mehr investieren und dafür Kredite aufnehmen. Auch private Haushalte, die sich das leisten können, sollen weniger sparen und mehr kaufen. Die EZB will außerdem den hochverschuldeten südeuropäischen Ländern ermöglichen, ihre fälligen Altschulden zu tilgen, indem sie dafür neue Schulden aufnehmen, für die sie weniger Zinsen zahlen müssen als für die alten.

Sparer, Konsumenten, Unternehmer, Bankmanager, Beschäftigte, Pensionäre – wer profitiert von Negativzinsen?

Wer jetzt als Konsument einen Kredit aufnimmt, um sich ein Haus, ein neues Auto oder neue Möbel zu kaufen, profitiert von den historisch niedrigen Zinsen. Ebenso jedes Unternehmen, das seine Investitionspläne jetzt umsetzt. Aber Vorsicht: Vor einer Kreditaufnahme sollte jeder Konsument genau durchrechnen, ob er ihn auch abbezahlen kann. Und Unternehmen sollten genau abwägen, wie stabil ihre Umsätze sind.

Was die anderen Gruppen angeht: Bankmanager, speziell von Sparkassen und Volks- und Raiffeisenbanken, machen sich große Sorgen, ob sie ihren Sparern die versprochenen Guthabenzinsen noch zahlen können. Das wird auf Dauer schwierig, wenn sie für neue vergebene Kredite nur geringe Zinsen verlangen können. Ein Beschäftigter, der eine private oder betriebliche Altersversorgung hat, wird am Ende eine viel geringere Zusatzrente bekommen als ursprünglich erwartet. Pensionierte Beschäftigte im öffentlichen Dienst sind besser dran. Denn ihre Pensionen werden aus Steuereinnahmen finanziert, und die sprudeln im Moment.

Wem schaden sie?

Sie schaden allen, die sich aus ihren Ersparnissen ein bescheidenes und vor allem sicheres Vermögen aufbauen wollen, um sich für ihr Alter abzusichern. Das funktioniert langfristig nur über den Zins- und Zinseszinseffekt. Spitzenverdiener haben da weniger Probleme. Sie können einen Teil ihres Geldes auch in risikoreichere Anlagen investieren, die höhere Renditen erzielen. Die Geldinstitute, deren Kundschaft im Wesentlichen der »kleine Mann« beziehungsweise die »kleine Frau« ist, also die Sparkassen, Genossenschaftsbanken, Bausparkassen und Lebensversicherungen, verlieren mit dauerhaft niedrigen Zinsen ihre Geschäftsgrundlage. Das kann sie in existenzielle Probleme bringen.

Was müssen Politik und Zentralbanken tun, um wieder zu positiven Zinssätzen zu kommen?

Die EZB und auch die Fed in den USA haben mit ihrer Niedrigzinspolitik ihr Möglichstes getan, um nach der Finanzmarktkrise die Volkswirtschaften wieder anzukurbeln. Nun muss die Politik im Euroraum endlich expansive finanzpolitische Maßnahmen ergreifen. Dazu gehört insbesondere ein mehrjähriges öffentliches Investitionsprogramm in den südeuropäischen Ländern. Die Sparprogramme müssen ein Ende haben, die von der Troika aufgezwungen und von der deutschen Regierung immer noch für gut geheißen werden.

Und was ist mit den Strukturreformen, die speziell von Griechenland immer verlangt werden?

Wenn damit gemeint ist, dass der Sozialstaat dort noch mehr abgebaut werden soll, das wird der griechischen Wirtschaft nicht helfen. Wenn damit jedoch der Aufbau einer funktionsfähigen Steuerverwaltung gemeint ist, dann ist das sehr sinnvoll, denn so könnten dringend notwendige Steuereinnahmen gewonnen werden. Das wird allerdings dauern. Und für die Umsetzung eines großen staatlichen Investitionsprogramms braucht man natürlich auch in Griechenland eine Bürokratie, die funktioniert.

Müssen wir überhaupt wieder zu Positivzinsen kommen? Könnten wir nicht genauso gut mit Negativzinsen oder Nullzinsen wirtschaften?

Bei Negativzinsen würden die Bürger ihr Erspartes nicht mehr zur Bank bringen, sondern in bar zu Hause unter der Matratze horten. Und die Unternehmen würden sich große Tresore anschaffen und eine Security beschäftigen, die das viele Bargeld bewacht. Um das zu verhindern, müsste Bargeld generell abgeschafft werden. Ob dann aber die privaten Haushalte mehr kaufen und die Unternehmen mehr investieren, ist ungewiss. Reiche würden nach Anlagen suchen, von denen sie sich einen Wertzuwachs erhoffen, beispielsweise Aktien, Immobilien, Kunstgegenstände. Aktienkurse und Immobilienpreise würden überproportional steigen.

Das Interview führte:

Wolfgang Storz

Kommunikationsberater

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