Wirtschaft
anders denken.

Das Schreckgespenst der Staatsverschuldung

02.09.2020
Staatsverschuldung

Selten wurde so viel über Staatsfinanzen diskutiert wie in den letzten Monaten. Für einen nachhaltigen Paradigmenwechsel in Sachen Finanzpolitik braucht es vor allem eine Versachlichung der Debatte um Staatsverschuldung. Daher der Versuch einer Klarstellung: Der Bund hat kein Finanzierungsproblem, sondern spielt unter dysfunktionalen politischen Regeln ― die er sich selbst auferlegt hat.

Die Corona-Krise führt zum schwersten Wirtschaftsschock seit Jahrzehnten. Die Krise hat die fiskalische Kleingeistigkeit, die sowohl unter CDU- als auch unter SPD-Führung des Finanzministeriums betrieben und von tugendhaften Appellen an das „solide Haushalten“ legitimiert wurde, erschüttert. Um die Wirtschaft vor einem noch größeren Kollaps zu bewahren, hat der Bund richtigerweise mit Steuererleichterungen und zusätzlichen Ausgaben fiskalisch gegengesteuert. Selbst denen, die sonst immer fiskalkonservative Positionen vertreten, war offenbar bewusst, dass mit schwarzer-Null-Mentalität in die Krise zu sparen, die Lage nur verschärft hätte. Eine Verweigerung von Gegenmaßnahmen hätte unweigerlich das Ende von noch mehr Unternehmen und noch höhere Jobverluste für die Menschen bedeutet. Unter diesem Druck zeigten sich plötzlich sogar die Akteure handlungsbereit, die bis dato jeden Taschenspielertrick in ihrem erbitterten Kampf gegen eine Ausweitung der Staatsausgaben genutzt hatten.

Nachhaltige Abkehr von der fiskalischen Kleingeistigkeit?

Obgleich die fiskalischen Gegenmaßnahmen mehr als nur eine Schwachstelle hatten, so führten sie doch zu einer Diskursbelebung rund um das Thema Staatsfinanzen. Eine Entwicklung, die angesichts des milliardenschweren Investitionsstaus, der Existenz von Kinder- und Altersarmut und des schleppenden ökologischen Umbaus der Wirtschaft ohnehin überfällig war. Aus progressiver Sicht könnte man nun die Chance wittern, die fiskalische Kleingeistigkeit endgültig in die wirtschaftspolitische Mottenkiste zu verfrachten und die Tür für gemeinwohlorientierte Fiskalpolitik zu öffnen. Für eine Fiskalpolitik, die nicht auf willkürliche Buchhaltungsergebnisse, wie etwa einen ausgeglichenen Haushalt, sondern auf funktionale Ziele, wie z.B. Vollbeschäftigung oder den ökologischen Umbau der Wirtschaft, ausgerichtet ist. Grundlage für einen Wechsel innerhalb der Fiskalpolitik, ist jedoch die Versachlichung der Debatte und ein sprachliches Framing, das verfestigte konservative Narrative aufbricht. So lange jedoch schwarze Null, Schuldenbremse und ausgeglichene Haushalte den Status des Goldenen Kalbs innehaben, so lange fiskalpolitische Mythen gepredigt werden, so lange wird ein nachhaltiger Kurswechsel nicht möglich sein.

Für die politische Kommunikation mag es oberflächlich nachvollziehbare Gründe geben, Fragen nach der „Gegenfinanzierung der Corona-Rechnung“ oder der „Beteiligung an den Corona-Kosten“ in das Zentrum des Diskurses zu stellen. Derartige politische Kommunikation ist allerdings wenig geeignet, um fiskalkonservative Narrative nachhaltig aufzubrechen. Um diese Narrative zu entzaubern und alternative Formulierungen zu finden, ist es zunächst sinnvoll, zu verdeutlichen, wie das Finanzministerium seine Ausgaben tätigt und wie Staatsverschuldung in der Eurozone eigentlich abläuft.

Wie funktioniert Staatsverschuldung?

Bei jeder Staatsausgabe weist das Finanzministerium die Zentralbank an, den eigenen Kontostand zu reduzieren und den entsprechenden Betrag dem Zentralbankkonto der Bank des Zahlungsempfängers gutzuschreiben. Die Bank wiederum schreibt den Betrag dann dem Empfänger der staatlichen Ausgabe als Giralgeld gut. Eine technisch relativ triviale Aktion, die nicht mehr als ein paar Mausklicks zum Hoch- und Runterbuchen von Kontoständen erfordert.

Da das Finanzministerium das Zentralbankkonto nach den Spielregeln der Eurozone üblicherweise nicht überziehen darf, ergibt sich die durchaus zentrale Frage: Wie wurde das Zentralbankkonto des Finanzministeriums für die coronabedingten Zusatzausgaben gefüllt? Die Antwort: Durch den Verkauf von Staatsanleihen!

Das deutsche Finanzministerium verkauft Anleihen üblicherweise durch die Deutsche Finanzagentur in einem Auktionsverfahren an die sogenannte Bietergruppe, der 36 lizenzierte und ausgewählte Geschäfts- und Investmentbanken angehören. Gewinnt eine der 36 Banken die Auktion, muss sie die Anleihe mit Zentralbankguthaben bezahlen. Bei dieser Transaktion wird der Kontostand auf dem Zentralbankkonto des Finanzministeriums erhöht und der Kontostand der Bank verringert. Dafür erhält die Bank im Gegenzug eine (verzinste) Staatsanleihe. Sind die Staatsanleihen erst einmal an die Banken verkauft, verkaufen diese die Anleihen üblicherweise an private Investoren, vor allem große Vermögensverwalter wie Versicherungen und Investmentfonds, weiter. Private Investoren halten die Anleihen zwecks Vermögensbildung. Die Schulden des Staates erhöhen also das finanzielle Vermögen des Privatsektors. Die roten Zahlen des Staates, sind die schwarzen Zahlen des Privatsektors.

Woher bekommen Banken die Zentralbankguthaben, mit denen sie dem Staat die Anleihen abkaufen? Von der Zentralbank! Diese versorgt die Banken zu einem von ihr festgelegten Zinssatz mit unbegrenzten Kreditlinien (die sogenannten „ständigen Fazilitäten“). Darüber hinaus kann die Zentralbank den Banken mit ihren sogenannten „Offenmarktgeschäften“ Wertpapiere, z.B. Staatsanleihen, abkaufen und dafür liquide Zentralbankguthaben bereitstellen.

Das Finanzministerium leiht sich also nicht (!) das gesparte Geld seiner Bürger ― wie häufig irrtümlicherweise angenommen. Das Geld kommt ausschließlich von der Zentralbank ― und zwar über den Umweg der Banken aus der Bietergruppe. Folgt man der Spur der Euros, die der Staat ausgegeben hat, also zurück, landet man letztendlich immer bei der Europäischen Zentralbank (EZB) bzw. ihren nationalen Einheiten, etwa der Deutschen Bundesbank.

Es geht primär nicht um Finanzierung…

Die außerplanmäßigen Nachtragshaushalte, die durch die fiskalischen Gegenmaßnahmen nötig wurden, haben demonstriert, dass der Bund kein Finanzierungsproblem hat. Sprich: Das Bundesbankkonto des Finanzministeriums über Verkäufe von Staatsanleihen zu füllen, ist aktuell keine Hürde, die der Wirtschaftspolitik im Wege steht.

Zum einen gehen deutsche Anleihen auf dem Kapitalmarkt derzeit weg wie warme Semmeln ― zum Teil sogar zu negativen Zinsen, an denen das Finanzministerium noch Geld verdient. Sowohl die Banken der Bietergruppe als auch die institutionellen Vermögensverwalter, etwa Versicherungen und Investmentfonds, können von deutschen Staatsanleihen kaum genug bekommen und beabsichtigen, damit ihr Anlageportfolio zu optimieren. Zum anderen hält die EZB mit ihrem neu aufgelegten Anleihekaufprogramm PEPP (Pandemic Emergency Purchase Programme) die Zinsaufschläge auf Staatsanleihen der Euroländer noch für eine längere Zeit in Schach. Als Schöpferin des Euros kann der EZB die Munition hierfür nicht ausgehen. Faktisch garantiert die EZB den am Auktionsprozess teilnehmenden Banken dadurch, dass sie die Anleihen jederzeit an die EZB verkaufen könnten. Damit erlischt für die Banken das Ausfallrisiko und verhindert, dass Banken übermäßige Zinsaufschläge verlangen, solange die EZB an diesem Programm festhält.

…, sondern um die politischen Regeln

Auf die Einsicht, dass der finanzielle Handlungsspielraum des Bundes also nicht durch das Auftreiben von Zentralbankguthaben eingeschränkt ist, folgt allerdings die ernüchternde Tatsache, dass der Bund unter politischen Regeln agiert, die den Handlungsspielraum künstlich beschränken.

Dafür sind auf europäischer Ebene einerseits die zu strikten Fiskalregeln, etwa die Beschränkungen durch den Stabilitäts- und Wachstumspakt, und andererseits das künstlich erzeugte Insolvenzrisiko durch das Verbot monetärer Staatsfinanzierung verantwortlich. Die EZB muss immer ihr Mandat zur Preisstabilität als Vorwand anführen, um Anleihekaufprogramme gemäß der ihr gesetzten Regeln aufzulegen und damit das künstliche Insolvenzrisiko zu minimieren, wie nicht zuletzt die Debatte um das Urteil des Bundesverfassungsgerichts gezeigt hat. Auf nationalstaatlicher Ebene hingegen sind die selbst auferlegte Schuldenbremse und die schwarze-Null-Denke für die Einschränkung des Handlungsspielraumes verantwortlich.

Zwar wurden die europäischen Fiskalregeln und die nationale Schuldenbremse in der Krise richtigerweise temporär außer Kraft gesetzt, aber aufgeschoben ist bekanntlich nicht aufgehoben. Solange diese Regeln nicht nachhaltig reformiert und die dahinter liegende Denkweise überwunden sind, worauf das progressive Spektrum unbedingt und mit großer Kraftanstrengung hinwirken sollte, drohen dem Sozialstaat und den öffentlichen Investitionen bei Mehrausgaben immer der nachträgliche Kürzungshammer. Und der Kürzungshammer geht meist überproportional zulasten derjenigen am unteren Ende der Einkommensverteilung.

Das Framing macht die Musik

Unter diesen Rahmenbedingungen sollten Forderungen nach gezielten Steuererhöhungen, etwa auf Vermögen, Konzerngewinne oder Finanzmarktspekulation, nicht mit bloßem Finanzierungsbedarf oder dem Begleichen der Corona-Rechnung argumentiert werden. Eine Fokussierung auf das Finanzierungsargument ist Wasser auf die Mühlen derjenigen, die den Staat als schwäbische Hausfrau darstellen, uns damit die Schwarze-Null-Denke eingebrockt und die Fiskalpolitik übermäßig eingeschränkt haben. Ein Framing innerhalb konservativer Narrative erschwert die Versachlichung der Debatte, die Aufklärung der Öffentlichkeit und damit auch den notwendigen Paradigmenwechsel.

Alternativ zur Finanzierungsfrage sollte in den Vordergrund gestellt werden, dass derartige Forderungen notwendig sind, um den Sozialstaat und den öffentlichen Kapitalstock vor dem unweigerlich bevorstehenden Kürzungshammer zu schützen. Der Kürzungshammer wiederum sollte klar mit den dysfunktionalen politischen Regeln auf nationaler und europäischer Ebene begründet werden, die den Handlungsspielraum künstlich verengen und dafür sorgen, dass wir unter unseren ökonomischen Verhältnissen leben.

Unfreiwillige Arbeitslosigkeit, verfallender Kapitalstock, Kinder- und Altersarmut sowie der schleppende ökologische Umbau der Wirtschaft sind jedoch allesamt Ausdruck mangelnden politischen Willens sowie verfehlter Finanz- und Investitionspolitik ― und kein unvermeidliches ökonomisches Schicksal, das in Finanzierungsproblemen begründet läge. Der Kern des Problems ist nicht finanzieller, sondern politischer bzw. institutioneller Natur und sollte zwecks Paradigmenwechsel auch so kommuniziert werden.

Dennoch: Fiskalpolitische Maßnahmen, wie etwa eine progressive Einkommenssteuer oder auch eine Vermögen- oder eine Erbschaftsteuer, müssen natürlich auch weiterhin Ziel einer auf sozialen Ausgleich setzenden und sich am Prinzip der Leistung orientierenden Politik sein. Ebenso ist wie auch weiterhin klar sein muss, dass in einem fiskalpolitischen System, das sich die beschriebenen Regeln selbst auferlegt hat, am Ende nicht die Menschen der unteren und mittleren Einkommensdezile die Hauptlast der dysfunktionalen Regeln schultern müssen. Die Verteilungsfrage ist für den gesellschaftlichen Frieden und das Funktionieren der Demokratie von höchster Bedeutung ― sollte aber nicht mit der Finanzierungsfrage vermischt werden.

Geschrieben von:

Dana Moriße

Projektentwicklerin

Maurice Höfgen

Wissenschaftlicher Mitarbeiter für Finanzpo­litik

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