Wirtschaft
anders denken.

»Es ist die Arroganz, die ich kaum aushalte«

15.12.2020
Zwei Renter:innen sitzen auf einer Bank im Park, neben ihnen ist noch eine freie Bank.Bild von Bruno /Germany auf Pixabay

In der DDR geschiedene Frauen erhalten in der BRD keinen Versorgungsausgleich. Dagegen wehrt sich ein Verein. Lassen Sie uns über Ökonomie reden…

Helga L. ist 76 Jahre alt, lebt in Sachsen-Anhalt und ist Mitglied im Verein der in der DDR geschiedenen Frauen, der seit über zwei Jahrzehnten um ein Stück Rentengerechtigkeit kämpft. Im Gegensatz zu geschiedenen Westfrauen erhalten vor 1992 Geschiedene in den neuen Bundesländern keinen Versorgungsausgleich. Helga L. möchte ihren vollständigen Namen nicht in der Zeitung lesen. Wenig Geld haben, sagt sie, sei nichts zum Vorzeigen. Gisela Zimmer sprach mit ihr.

Haben Sie jemals gedacht, dass Ihnen Ihre Scheidung einmal auf die Füße fällt?

Nein, jedenfalls nicht zu DDR-Zeiten. Ich war 23 Jahre verheiratet und wurde kurz vor der Wende im Jahr 1989 geschieden. In unserer Ehe kriselte es über Jahre. Ich wollte die Ehe unbedingt aufrechterhalten, auch für unseren einzigen Sohn das Elternhaus. Irgendwie dachte ich immer, es renkt sich wieder ein. Hat es aber nicht. Als dann der Sohn nach dem Abitur zur Armee einberufen wurde, habe ich die Scheidung eingereicht. Aber dass mir das später bei der Rente mal so auf die Füße fällt, hätte ich nicht gedacht. Wobei, ich habe auch viele Jahre in Teilzeit gearbeitet.

Teilzeit zu DDR-Zeiten? War das nicht eher ungewöhnlich?

Mein Mann war Ingenieur und sehr oft auf Dienstreise. Hauptsächlich war ich wegen unseres Sohnes lange zu Hause. Er war eine Frühgeburt und viel krank. Er konnte auch nicht in die Krippe gehen, daher habe ich erst nach dreieinhalb Jahren wieder im Beruf gearbeitet. Mein Vater verstarb frühzeitig und ich kümmerte mich um meine Mutter, die mit zunehmendem Alter immer hilfebedürftiger wurde. Und ich war immer für meine Schwiegereltern da, wenn auch sie Unterstützung brauchten. Die Sorgearbeit für die Familie oblag mir. Zeit und Unterstützung für meine berufliche Weiterbildung hatte ich nicht, die war für mich nicht vorgesehen.

Was haben Sie beruflich gemacht?

Gelernt habe ich Bauzeichnerin, jung geheiratet wegen einer Wohnung. Im Abendstudium habe ich noch den Abschluss zum Teilkonstrukteur gemacht. Dann aber kam unser Sohn und nach der Kinderpause fing ich wieder als Teilkonstrukteurin an. Mit den zunehmenden Problemen in der Ehe, mein Mann hatte seit Langem eine Beziehung, hat mich die Arbeit nicht mehr ausgefüllt, ich wollte weg vom Reißbrett. Ich hatte Glück, es wurden in unserem Betrieb Betreuer für ausländische Arbeitnehmer, die in die DDR kamen, um einen Beruf zu erlernen, gesucht. Ich bewarb mich und war fast vier Jahre als Gruppenleiterin für die angolanischen Mitarbeiter tätig. Es war eine sehr vielfältige Aufgabe, man könnte es als Rundumbetreuung bezeichnen. Vordergründig war es die Begleitung der theoretischen und praktischen Ausbildung zum Teilfacharbeiter, das Erlernen der Sprache und es ging um Gesundheits- und Freizeitbetreuung. Das war auch für mein Leben eine Wende. Ich habe endlich Selbstvertrauen bekommen, viel dazugelernt, auch über fremde Kulturen.

Aber dann kam der Umbruch, damit das Aus für die jungen Afrikaner. Sie durften nicht bleiben im vereinigten Land.

Damals dachte ich sogar, ich gehe mit nach Angola, lasse alles Geschehene hinter mir. Letztendlich hätte ich meine Mutter aber nie allein gelassen. Diese jungen Männer schätzten uns als Frauen sehr, weil wir unser eigenes Geld verdienten. Das kannten sie nicht. Zum Schluss konnte ich nur noch ihren Abschied organisieren, sie mussten alle zurück nach Angola. Danach war ich in Kurzarbeit, habe eine Umschulungsmaßnahme in der Sozialarbeit absolviert, schrieb etliche Bewerbungen und bekam eine ABM-Stelle in der kommunalen Verwaltung. Ich musste mich ins Betreuungsrecht einarbeiten. Das war absolutes Neuland. Damals habe ich geglaubt, ich verstehe das Gesetz nie. Aber nach einem Jahr bekam ich die Festanstellung und bin als Abteilungsleiterin aus dem Berufsleben ausgestiegen. Dieses zweite Berufsleben im sozialen Bereich hat mir unglaublich viel Freude bereitet. Das war mein Leben.

Wie viele Berufsjahre haben Sie insgesamt in Ihrem Arbeitsleben Ost und West?

Da muss ich selbst nachrechnen. Also, 1962 habe ich angefangen und 2009 bin ich in Rente gegangen. Wie viele Jahre sind das?

Das sind 47 Arbeitsjahre. Mehr als das Gesetz vorschreibt. Mit welcher Rente?

Soll ich Ihnen das wirklich sagen? In dem vereinten Deutschland habe ich gelernt, dass man darüber nicht spricht. Aber ich bekomme eine Rente, die es mir ermöglicht, ohne finanzielle Unterstützung meines Sohnes auszukommen und das ist für mich das Wichtigste. Ich habe gelernt, mein Leben mit dieser Rente einzuteilen und vergesse dabei nicht, dass ich über 15 Jahre in Teilzeit gearbeitet habe. Trotzdem ärgere ich mich darüber und finde es total ungerecht, dass meine jahrelange Sorgearbeit für die Familie nicht anerkannt wird. In unserem Verein gibt es Frauen, die viel weniger Rente bekommen und die sich etwas dazuverdienen müssen: als Reinigungskraft, als Zeitungsausträgerin, auf 450-Euro-Basis im Pflegeheim. Vor diesen Frauen habe ich großen Respekt.

Wie sind Sie überhaupt zum Verein In-der-DDR-geschiedene-Frauen gekommen?

Durch einen Presseartikel in der »Ostseezeitung« erfuhr ich von der Gründung des Vereins im Jahr 1999 und bin seit 2001 Mitglied. Damals habe ich noch gearbeitet und war nur zahlendes, aber am Vereinsziel interessiertes Mitglied. Seit 2018 arbeite ich aktiv und ehrenamtlich im Verein.

Wann bemerkten Sie, dass sich auch für Sie selbst ohne den Versorgungsausgleich ein Rentenloch ergeben wird?

Erst als ich selbst in Rente gegangen bin. Da war überhaupt erst einmal Zeit, über mich selbst nachzudenken. Ich war so auf meine Arbeit fokussiert, wollte von den Demütigungen während der gescheiterten Ehe einfach loslassen. Ich wollte mein eigenes Leben bewältigen. Trotzdem beschäftigt mich bis heute die Frage, warum unsere Familienarbeit nicht anerkannt wird. Warum wird die Lebensleistung, die wir Frauen ja auch im Osten erbracht haben, nicht gewürdigt? Diese Ignoranz motiviert mich für den Verein. Wir wollen die Anerkennung unserer Familienarbeit.

Sind Sie sauer auf die politisch Verantwortlichen?

Ja, ich bin richtig enttäuscht. Ich verstehe, dass der Einigungsvertrag im Prinzip ja von heute auf morgen erarbeitet und verabschiedet wurde. Da können Fehler passieren. Aber dass man es in dreißig Jahren nicht geschafft hat, diese Fehler zu korrigieren, das ist unfassbar. Die Benachteiligung von uns geschiedenen Ostfrauen wurde ja von mehreren Politikern und Politikerinnen ziemlich schnell erkannt, nur gemacht wurde nichts. Ich kann die Arroganz, mit der in den Bundestagsdebatten unsere Ansprüche abgebügelt wurden und werden, kaum ertragen.

Sind Sie denn überhaupt noch zuversichtlich, dass Ihnen Gerechtigkeit widerfährt?

Wir wissen nach diesen vielen Jahren, dass es den Versorgungsausgleich, wie er geschiedenen Westfrauen in der Rente zusteht, für uns nicht geben wird. Das hat juristische Hintergründe. Deshalb fordern wir, einen Fonds zu schaffen, aus dem wir Ostfrauen endlich eine angemessene Einmalzahlung bekommen. Im Moment denke ich, dass es nur eine Härtefalllösung für die Frauen geben wird, die ohnehin schon die schmale Grundsicherung beziehen. Dann bliebe es weiterhin ungerecht, weil das nur einen kleinen Teil der geschiedenen Ostfrauen betreffen würde.

Wir warten jetzt voller Spannung auf eine Antwort aus dem Bundesministerium für Arbeit und Soziales und hoffen auf eine positive Entscheidung der Bund-Länder-Arbeitsgruppe zu unseren Forderungen. Wir geben die Hoffnung nicht auf, dass auch unsere hochbetagten Vereinsfrauen noch eine Entschädigung erhalten. Trotzdem: Wir sind alle ziemlich verbittert, spüren ja, dass die Politik offensichtlich auf die biologische Lösung baut. In den letzten Jahren sind schon so viele Frauen gestorben. Sie konnten leider keine Wiedergutmachung für ihren jahrelangen Kampf um Gerechtigkeit erleben.

Geschrieben von:

Gisela Zimmer

Journalistin

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