Wirtschaft
anders denken.

Demokratie ist uns teuer

30.01.2018
WahlrechtMarco Verch / flickr , Lizenz: CC BY-SA 2.0

Man sollte nicht mit Kosten argumentieren, wenn es um demokratische Grundsätze wie Wahlen geht. Das Wahlrecht Deutschlands verdient aus anderen Gründen Reformen. Welche Möglichkeiten es gibt, hat Halina Wawzyniak aufgeschrieben.

Wenn es nach dem Bundeswahlgesetz geht, besteht der Bundestag aus 498 Abgeordneten. Nach der Bundestagswahl 2017 sitzen nun aber 709 Abgeordnete im Bundestag. Schnell waren die sogenannten Mehrkosten ausgerechnet. Gemeldet wurden Schätzungen, laut denen die erhöhte Anzahl an Abgeordneten Mehrkosten von 300 Millionen Euro in der Legislaturperiode verursachen würde.

Mehrkosten sind auch der vordergründige Vorwand, weshalb das Wahlrecht verändert werden soll. Reformbedarf besteht in jedem Fall, aber das Kostenargument ist nicht überzeugend. Allerdings findet sich das Argument mit den Kosten schon im Jahr 1953, als die Anzahl der Bundestagsabgeordneten von 400 auf 484 erhöht wurde.

Für die Demokratie darf es aber keine Kostenobergrenze geben. Wer sich in diese Fahrwasser begibt, der hat es schwer, zu argumentieren, warum Volksentscheide notwendig sind, die Kosten verursachen. Wer sich in dieses Fahrwasser begibt, müsste für eine längere Wahlperiode und generell weniger Wahlen eintreten, denn sie verursachen Kosten. Demokratie kostet und das ist gut. Demokratie wegen der anfallenden Kosten zu begrenzen heißt, Demokratie in Frage stellen.

Dass der Bundestag erheblich größer ist als im Wahlgesetz vorgesehen, hat etwas mit dem traditionellen Wahlverfahren in Deutschland zu tun. Die WählerInnen haben zwei Stimmen. Mit der ersten Stimme wählen sie eine Kandidatin, einen Kandidaten im Wahlkreis, mit der zweiten Stimme eine Partei. Die Zusammensetzung des Bundestages wiederum muss dem Verhältnis der Zweistimmen der Parteien entsprechen. Wenn eine Partei nun aber in einem Bundesland mehr Direktmandate erringt, als ihr nach Zweitstimmen an Sitzen zustehen würde, entstehen Überhangmandate. Um das Verhältnis der Parteien nach Zweitstimmen wieder herzustellen ist es erforderlich, diese Überhangmandate auszugleichen. Da von diesem Ausgleich alle anderen Parteien profitieren, wird der Bundestag größer als im Wahlgesetz vorgesehen.

Das Problem der Vergrößerung des Bundestages lässt sich also klar benennen: das sogenannte Zweistimmenwahlrecht. Auch wer das Kostenargument auf Grund der Vergrößerung des Bundestages nicht akzeptieren will, hat aber gute Gründe das Zweistimmenwahlrecht in Frage zu stellen. Der Effekt des sogenannten negativen Stimmgewichts wird nicht ausgeschlossen. Das meint, ein Zuwachs an Stimmen kann für eine Partei zu weniger Sitzen führen, und umgekehrt können weniger Stimmen zu mehr Sitzen führen. Die Wählenden verlieren den Überblick, was eigentlich mit ihrer Stimme genau passiert und nur ExpertInnen können die komplizierte Rechnung nachvollziehen, wie aus Stimmen Mandate werden. Ein zusätzliches Ärgernis für (kleine) Parteien ist zudem, dass häufig die Erststimmen über den Zweitstimmen liegen, es für die Sitze im Parlament aber bei den Parteien auf die Zweitstimmen ankommt.

Nun ist eine Debatte losgetreten worden, die eine Wahlrechtsänderung fordert. Das wäre zu begrüßen, wenn sie nicht vordergründig allein mit dem Kostenargument geführt werden würde. Denn eine Debatte vor dem Hintergrund des Kostenarguments ist eine, wie das Wahlrecht zu einem kostengünstigen Parlament führt, nicht aber eine, wie das Wahlrecht einfach, verständlich und demokratisch sein kann. Es ist gerade keine Debatte, wie erreicht werden kann, dass die unterschiedlichen Sichtweisen in der Gesellschaft sich auch im Bundestag wiederfinden.

Die nunmehr geäußerten Ideen zum Wahlrecht sind meist nicht neu, häufig aber politisch problematisch oder verfassungsrechtlich unzulässig.

Die erste Idee ist, die Wahlkreise zu vergrößern. Damit gäbe es weniger Wahlkreise als bisher. Wer unbedingt am Zweistimmenwahlrecht festhalten will, sollte diesen Weg aber in Frage stellen. Gerade in Flächenwahlkreisen wäre eine angemessene Betreuung nicht mehr möglich. Schon jetzt geraten viele Abgeordnete an ihre Grenzen, wenn sie wirklich jeden Zipfel ihres Wahlkreises besuchen und sich für die Lösung von Problemen vor Ort einsetzen wollen. Das fängt schon bei den Wahlkreisbüros an. Natürlich könnten Abgeordnete auf mobile Wahlkreisbüros umsatteln, allerdings löst dies bei noch größeren Wahlkreisen das Problem nur bedingt. Wer Bürgernähe will, kann die Wahlkreise also nicht einfach vergrößern. Denkbar wäre allerdings eine Vergrößerung der Wahlkreise dann, wenn in jedem Wahlkreis ein Mann und eine Frau gewählt werden. Das würde auch der Notwendigkeit, den Anteil von Frauen im Parlament zu erhöhen, entgegenkommen.

Ein anderer Vorschlag lautet, dass der/die WahlkreisgewinnerIn einer Partei mit dem niedrigsten Ergebnis das Mandat nicht antreten soll, wenn dadurch Überhangmandate verhindert werden. Dem dürfte das Bundesverfassungsgericht in seiner Entscheidung aus dem Juni 2012 aber mit einem Nebensatz einen Riegel vorgeschoben haben. Das Ziel, die Hälfte des Bundestages aus Personen zusammenzusetzen, die in einem Wahlkreis gewählt wurden, »kann nur verwirklicht werden, wenn der erfolgreiche Kandidat sein Wahlkreismandat auch dann erhält, wenn das nach dem Proporz ermittelte Sitzkontingent der Landesliste seiner Partei zur Verrechnung nicht ausreicht«.

Was also tun, zumal das Bundesverfassungsgericht in seiner Entscheidung aus dem Juli 2012 Überhangmandate ohne Ausgleich nur in einem »Umfang von mehr als etwa einer halben Fraktionsstärke« für zulässig angesehen hat?

Verfassungsrechtlich gäbe es verschiedene Alternativen. Denkbar wäre, dass die Wählenden nur eine Stimme abgeben, so wie bei der Bundestagswahl. Diese eine Stimme zählt dann sowohl für den/die Wahlkreiskandidaten oder -kandidatin, wie auch für die Partei. Allerdings würde dies die Wahlmöglichkeit für die Wählenden erheblich einschränken. Möglicherweise wollen sie ja eine Partei wählen, sind aber mit dem örtlichen Kandidaten unzufrieden.

Es bliebe die Möglichkeit, die errungenen Direktmandate und die Listenmandate auf der Bundesebene, statt wie bisher auf der Länderebene miteinander zu verrechnen. Das wiederum hätte aber auch bei der Bundestagswahl 2017 zu einer Vergrößerung des Bundestages geführt, wenn auch nicht in dem Ausmaß wie mit dem bisherigen Wahlrecht.

Denkbar wäre auch, die Mandatserringung an eine Mindestanzahl von WählerInnenstimmen zu koppeln. Dies hätte den Vorteil, dass die Größe des Bundestages von den absoluten WählerInnenstimmen abhängig ist, könnte aber auch dazu führen, dass ganze Regionen nicht mehr vertreten sind, wenn diese Mindeststimmenanzahl nicht erreicht wird.

Bleibt noch die Alternative, dass die Wählenden lediglich Parteien/Wählervereinigungen oder Einzelpersonen wählen können. Die Idee des Einstimmenverhältniswahlrechts mit übertragbarer Einzelstimmgebung (Präferenzwahlsystem oder single transferable vote). Die Direktmandate würden entfallen, da ja die Wählenden die von den Parteien/Wählervereinigungen vorgegebenen Listen verändern können. Die Wählenden erstellten eine Rangfolge aller oder einiger Kandidierenden und aus zu vergebenden Sitzen und abgegebenen Stimmen wird dann eine Stimmzahl errechnet, die zur Wahl nötig ist. Die Wahlzettel werden entsprechend der Präferenzen gezählt. Wenn jemand schon die nötige Stimmzahl erreicht hat, kommt die Stimme dem nächsten Kandidierenden auf der Rangliste des/der Wählenden zu Gute.

Der Vorteil dieser Variante ist, dass die Wählenden letztendlich die Entscheidung treffen, wer konkret in den Bundestag kommt. Der Effekt des negativen Stimmgewichts tritt nicht auf und die Größe des Bundestages bleibt unverändert. Um auch in diesem Fall den Frauenanteil im Bundestag zu erhöhen sollten die Parteien zur Aufstellung geschlechterquotierter Listen verpflichtet werden.

Es braucht also nicht das Kostenargument, um am Wahlrecht etwas zu ändern.

Geschrieben von:

Halina Wawzyniak

Juristin

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