Wirtschaft
anders denken.

Demokratisch, pro-europäisch, internationalistisch

01.09.2018
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Die politische Linke muss sich einer illusionären Renationalisierung widersetzen, den transnationalen Umbau der Regulationssysteme ernst nehmen und für einen Ausgleichungsmodus in der globalen weltwirtschaftlichen und Währungsordnung kämpfen.

#Aufstehen – unter diesem Logo hat eine neue linke Sammlungsbewegung Fahrt aufgenommen. Parteiübergreifend soll sie sein und jenseits bestehender Mehrheiten im Bundestag zu neuen parlamentarischen Mehrheiten der politischen Linken führen. Angeschoben wurde die Initiative von der Fraktionsvorsitzenden der LINKEN im Bundestag, Sahra Wagenknecht, und dem Linken-Fraktionschef im Saarland, Oskar Lafontaine, mit etlichen Vertrauten. Unbestreitbar: Die Sammlungsbewegung »Aufstehen« ist eine Operation vom grünen Tisch oder – negativer – eine Kopfgeburt. Und dennoch: Binnen weniger Tage sammelt dieses Projekt online mehr als 50.000 Unterstützer*innen. Nicht nur für die Gründer ist dies ein klares Signal für die Notwendigkeit einer solchen Initiative.

Das zentrale Motiv: Beide etablierte Politiker*innen finden, »dass man dem Rechtsruck in Deutschland nicht einfach zuschauen darf. Die jetzige Situation muss sich ändern. Wir haben in der Bevölkerung andere Mehrheiten. Viele Menschen wünschen sich eine sozialere Politik, bessere Renten, höhere Löhne, eine Vermögenssteuer für Superreiche, aber keine Waffenlieferungen in Kriegsgebiete oder Interventionskriege.« Die Initiative sei deshalb ein Versuch, Druck zu machen, dass wieder andere Mehrheiten entstünden. Die Sammelbewegung sei genau die richtige Organisation dafür, neben Aktivist*innen aus der Linkspartei gäbe es auch von Sozialdemokrat*innen und Grünen-Politiker*innen Unterstützung. Wagenknecht und Lafontaine wollen, dass eine Alternative politisch umgesetzt wird. Dafür müsse es einen neuen Aufbruch geben. Nach den jüngsten Umfragen[1] glauben zwar nur 21 Prozent aller Befragten, dass sich mit dieser Initiative parteiübergreifend linke Inhalte in Politik und Gesellschaft besser durchsetzen lassen. Dennoch zieht das Projekt hohe Aufmerksamkeit auf sich, sodass es nicht überrascht, wenn 34 Prozent der Bundesbürger*innen sagen, dass sie sich vorstellen könnten, das neue linke Bündnis zu wählen.

Indirekt ist damit zugestanden, dass auch das Charisma der langgedienten Parteipolitiker*innen nicht hinreicht, innerhalb der Linkspartei einen Aufbruch auszulösen. Die Begründer*innen des Projektes »Aufstehen« stecken viel Mühe in den Gründungsaufruf, um eine breitere soziale Basis anzusprechen. Gegenüber früheren Entwürfen ist die aktuelle Fassung bei den Themen »Nationalismus«, Heimat und Begrenzung von Zuwanderung »herabgedimmt«, die Anlehnung an rechten Populismus ist zurückgenommen.

Das in den Medien vorgetragene Argument, Wagenknecht habe für den Auftakt eine Strategie der geringstmöglichen Festlegung gewählt, sticht insofern nicht, da elf Ziele genannt sind, die von Friedenspolitik über die Erneuerung des Sozialstaates bis hin zu einem europäischen Deutschland in einem geeinten Europa souveräner Demokratien reichen. Sie sind eher eine Kurzfassung des Grundsatzprogramms der Linkspartei. Das von den Macher*innen unbestrittene Problem der inhaltlichen Ziele ist vielmehr: Wie findet eine politisch relevante Mehrheit aus den »unfairen« Zuständen heraus und kann Schritt für Schritt einen realistischen Veränderungsprozess einleiten, sodass in überschaubarer Zeit eine sichtbare Reform der Gesellschaft erreicht wird? Bei dieser Schlüsselfrage geben die Initiatoren zwei Lösungswege vor:

  • Die Sammlungsbewegung, die am 4. September gegründet wird, werde ihre Programmatik selbst erarbeiten. Sie sei kein Top-down-Projekt, sondern lege großen Wert darauf, dass die Mitstreiter*innen die Positionen dieser Bewegung selbst diskutieren. Mit der Gründung werden die Namen aller prominenten Initiatoren bekanntgegeben und es wird eine erste programmatische Orientierung in Form eines Gründungsaufrufs veröffentlicht. Aber die Programmatik der Sammlungsbewegung soll nicht von den Initiatoren festgelegt werden. Die müsse von den mittlerweile über 50.000 Mitstreitern*innen in den nächsten Monaten entwickelt werden. Es werden Debatten organisiert, bei denen sich viele Tausende einbringen können. Dafür gebe es moderne digitale Möglichkeiten. Gegen diese Vorstellung lässt sich einwenden, ein solcher Konsens von Tausenden Aktivist*innen ist mindestens schwierig, weil hier ja viele aus unterschiedlichen politischen Parteien aufeinandertreffen. Sarah Wagenknecht[2] ist sich aber sicher, dass die Einbindung in überlebte Programmatiken und Ideologien eine untergeordnete Rolle spielen werde: »In den meisten Parteien werden die Mitglieder mit den Positionen ihrer Führung konfrontiert, die sie oft gar nicht teilen. Sie wurden aber nie gefragt. Wir wollen einen demokratischen Prozess.«
  • Die Ziele müssen konkret sein. Es gehe um andere politische Mehrheiten und eine neue Regierung mit sozialer Agenda. »Wenn der Druck groß genug ist, werden die Parteien, auch im Eigeninteresse, ihre Listen für unsere Ideen und Mitstreiter öffnen.« Alle, »die sich eine soziale Politik wünschen, könnten doch froh sein, wenn eine starke Bewegung entsteht, die ihr Anliegen stützt – auch bei SPD und Grünen. Ich würde mir wünschen, dass sich viele von ihnen beteiligen, auch wenn sie bereits Mitglied einer Partei sind. Zurzeit überlassen sie es der AfD, die Themen zu diktieren. Das bringt uns sozialen Verbesserungen keinen Schritt näher.«

Auch die Skeptiker*innen gegenüber dem Projekt werden einräumen müssen: Noch in der letzten Legislaturperiode hatten SPD, Grüne und Linke eine rechnerische parlamentarische Mehrheit. Gemacht haben sie daraus nichts.

Vor allem die europäische Sozialdemokratie ist im organisatorisch-politischen Niedergang. Denn soziales und demokratisches Gedankengut ist längst nicht mehr oppositionell, sondern in Teilen von Politik und Gesellschaft heimisch geworden, weit über die SPD hinaus. Und: »Die Sozialdemokratie als die in den meisten europäischen Ländern ehedem größte Formation links der Mitte hat sich von ihrer Klientel entfernt, indem sie die Hinwendung zu den Rand- bzw. Sondergruppen und deren Themen kombiniert hat mit einer Wirtschafts- und Sozialpolitik, die die Hinnahme der vom Finanzmarkt getriebenen, neoliberalen Globalisierung als unumgänglich zu erkennen meinte.«[3]

Das heißt, letztlich akzeptiert die Sozialdemokratie den Prozess der Entfesselung der Finanzmärkte, das Blair-Schröder-Papier markiert die Wegscheide. »Die Führungsschicht der europäischen Sozialdemokratie hat sich … diesem Prozess als vermeintlich unaufhaltsam ergeben, ihn in Perioden ihrer Mitregierung teilweise sogar gefördert, insgesamt eine mildere, sozial mehr abgefederte Variante zu verwirklichen gesucht, wie man etwa in den bundesdeutschen Großen Koalitionen von 2005, 2013 und 2017 beobachten kann. Das keineswegs wirkungslose Regierungshandeln der SPD konnte aber die Entfremdung von einer großen Zahl ihrer Anhänger nicht verhindern. Weshalb? Weil der Trend zu sozialer Polarisierung, sprich: zu erneut rapide wachsender Ungleichheit, nicht gebrochen worden ist.«[4]

Mittlerweile ist die »Entkoppelung« von Sozialdemokratie und Lohnabhängigen ein drückendes Problem. Die verstärkte Ungleichheit basiert auf einer generellen Schwächung der Gewerkschaften in der Primärverteilung und politischen Strategien, wie z.B. dem Rückbau der sozialen Sicherungssysteme, der Repression gegenüber Erwerbslosen (einschließlich Migrant*innen, Flüchtlingen) und der Ausweitung des Niedriglohnbereichs. Die Dominanz der Kapitalverhältnisse besteht weiter und die nicht-privilegierten Lohnabhängigen bilden die übergroße Mehrheit. 

Die Klassenlagen sind komplizierter, z.T. auch widersprüchlicher geworden. Diese Verstrickung in die neoliberale Entfesselung des Kapitalismus soll durch den Druck der sozialen Sammlungsbewegung aufgebrochen werden.

Es geht nicht nur um eine Transformation der SPD. Auch zusammengenommen verlieren die Parteien links der Mitte – SPD, Grüne, Die Linke – an Boden. D.h. Grüne und Linkspartei haben gleichfalls kein nachhaltiges Konzept zur Reform und »Fesselung« des finanzgetriebenen Kapitalismus. Wurden sie noch 2005 von einer knappen Mehrheit gewählt, entfiel auf sie 2017 nur noch ein gutes Drittel der Stimmen (bei geringerer Wahlbeteiligung). [5] Der kontinuierliche Abstieg der SPD seit der Jahrtausendwende, eine prozentuale Halbierung bei Bundestagswahlen binnen 20 Jahren (ähnlich in der Mitgliederentwicklung), aber auch politische Fehler führten dazu, dass das rot-rot-grüne Lager von einer satten Mehrheit 1998 auf inzwischen ganze 38,6 Prozent zusammengeschmolzen ist.

Kann die Sammlungsbwegung eine Bottom-up-Konkretisierung über einen Transformationsprozess des entfesselten Kapitalismus einleiten? Einen Konkretisierungsvorschlag für #Aufstehen hat der Sozialwissenschaftler Wolfgang Streeck vorgelegt [6]: Er glaubt, »dass für viele in der Mittelschicht Europa zum Gegenstand einer Zivilreligion geworden ist. Wenn man sieht, dass der moderne Kapitalismus vor ungeheuren Schwierigkeiten steht – Superverschuldung, zunehmende Ungleichheit, abnehmendes Wachstum, Umweltprobleme –, kann man nicht so tun, als ob die europäischen Probleme in der nationalstaatlichen Organisation der europäischen Politik bestünden. Nicht wenige scheinen zu glauben, mithilfe eines Superstaats, der allerdings vom Himmel fallen müsste, den Fundamentalproblemen des globalen Kapitalismus entkommen zu können. Das kommt einer Religion schon sehr nah.«

Streeck setzt sich zusammen mit anderen seit Längerem dafür ein, durch einen Umbau der europäischen Ordnung die Gemeinschaft von Nationalstaaten in der Globalisierung überlebensfähiger zu machen. »Die einen wollen ›mehr Europa‹ … Die anderen wollen ›weniger Europa‹ und am liebsten ein Zurück zu voller nationaler Souveränität. Beides ist gleich unrealistisch … Die Herausforderung besteht in der Aktivierung der demokratischen Prozesse auf den Ebenen sowohl der EU als auch ihrer Mitglieder. Es gilt nach flexibleren Institutionen zu suchen, die gemeinsames europäisches Handeln ermöglichen.« Seine Schlussfolgerung: »Wir sollten den Nationalstaat als Ort von Demokratie nicht abschaffen wollen, bevor wir einen Ersatz haben. Jeder Versuch, Europa unter eine einheitliche Regierung zu bringen, führt zur Spaltung.« [7]

Ja, wir werden durch einen europäischen Superstaat den massiven Problemen des globalisierten Kapitalismus nicht entkommen können. Eine versuchte Rückkehr zur »vollen Souveränität« des Nationalstaates ist aber – siehe Großbritannien – keine zivilisatorisch befriedigende Perspektive. Es gilt, im Rahmen einer pro-europäischen Aktivität einen Umbau der europäischen Organisationen, internationale Ausgleichungsmodi im Waren-, Dienstleistungs- und Kapitalverkehr und eine Stärkung demokratischer Prozesse in den Nationalstaaten auf den Weg zu bringen. Gegen die Merkelsche Sammlungsbewegung der Mitte oder eine Bewegung der Rechten kann eine linke Sammlungsbewegung die Demokratie im Nationalstaat beleben.

Streeck markiert weitere Debattenpunkte einer linken Sammlungsbewegung:

  • Die Abkehr von einer deutsch-nationalen Schuldenbremse würde die politisch-ökonomische Austeritätskonstellation auch in Europa aufkündigen. Ein Kredit finanzierter nationaler Infrastrukturfonds könnte den Rückstau bei öffentlichen Investitionen beseitigen und den deutschen Leistungsbilanzüberschuss vermindern.
  • Es gilt eine Europapolitik einzuleiten mit dem Ziel eines Umbaus des Euro. Wir dürfen Europa nicht den nationalistischen Kräften überlassen. Die gemeinsame Währung ist das größte Projekt der letzten 30 Jahre. Aber: Die Eurozone ist noch zu schwach gegenüber dem Risiko einer Finanzdestabilisierung, zu anfällig für Wirtschaftskrisen, zu sehr den Wettbewerbsunterschieden seiner Mitgliedstaaten ausgesetzt.
  • Höhere Sozialhilfesätze wären eine Übergangslösung. Höhere Mindestlöhne wären besser, allgemeinverbindliche Tarifverträge noch besser. Eine Stärkung der Verhandlungsmacht der Gewerkschaften ist unverzichtbar.
  • Unter diesen Bedingungen könnte eine politisch nachhaltige Einwanderungspolitik entwickelt werden. »Dazu wäre es nötig aus einem Diskussionsmodus auszubrechen, der im Namen von ›Weltoffenheit‹ umstandslos Mitbürger, mit denen man gestern noch friedlich zusammengelebt hat, zu Nazis und Rassisten erklärt, nur weil sie ihre politisch erstrittenen, mit ihren Steuern finanzierten Kollektivgüter vielleicht teilen, aber nicht für moralisch enteignungspflichtig erklären lassen wollen.«

Kurzum: »Eine neue organisierte, realistische, d.h. reale politische Macht und Verantwortung suchende Linke erscheint als letzte Hoffnung derer, die dem ein Ende bereiten wollen.«

Auch wir unterstützen einen programmatisch-intellektuellen Aufbruch und eine Erneuerung der politisch-gesellschaftlichen Diskussion. Für eine realitätstüchtige und eine auf die Veränderung von realen politischen Machtverhältnissen abzielende Konzeption ist aus unserer Sicht aber eine Zurückdrängung des Rechtspopulismus und seiner sich radikalisierenden Entwicklung notwendig. Sie ist ohne eine klar pro-europäische Positionierung nicht umsetzbar und damit unverzichtbar. 

Die in den meisten europäischen Ländern präsente moderne Rechte – als Bewegung und Partei – ist nicht nur aus einer Diskurs-Verweigerung entstanden. Sie ist durch Fehler der überlieferten gesellschaftlichen und politischen Kräfte, Strömungen und Institutionen gestärkt worden. Aber die Gründe liegen anderswo: In der Tat stellt die Migrations- und Fluchtbewegung und der teils zwiespältige politische Umgang mit diesen Problemen auch eine Ursache dar.

Wie keine andere Partei verstanden es die Rechtspopulisten (AfD etc.), die unterhalb der ökonomischen Stabilität schlummernde Verunsicherung größerer Teile der Bevölkerung anzusprechen. Diese Verunsicherung hat ihre Ursachen weniger in der verschlechterten objektiven Lebenswirklichkeit – etwa finanziellen Problemen oder Sorgen um den Arbeitsplatz –, als in einer Angst vor der Zukunft: Eine Mehrheit der Bürger*innen macht sich Sorgen um den gesellschaftlichen Zusammenhalt (70 Prozent), immerhin ein Drittel (37 Prozent) treibt die Sorge vor einem wachsenden Einfluss des Islam um. Motivationstreiber für die Abwendung vom überlieferten Willensbildungs- und Entscheidungssystem war letztlich die Empfindung eines umfassenden Kontrollverlustes.

»Die moderne Demokratie ist aus Konflikten erwachsen – innerhalb von Nationalstaaten. Und da hat sie bis heute ihre Heimat. Internationale Organisationen sind dagegen Expertenherrschaften.« (Streeck) Oder präziser: neigen zur Elitenherrschaft. Daher müssen demokratische Willensbildungsprozesse gestärkt werden, denn ein Überleben eines durchschnittlichen Nationalstaats in der globalisierten Ökonomie ist irreal. In Zeiten von grenzüberscheitenden Wertschöpfungsketten und einem internationalen Kapitalverkehr ist eine Einbettung der Nationalstaaten in eine internationale Governance mehr oder minder Realität.

Beispiel Griechenland: In Teilen der Linken und Europaskeptiker*innen hält sich die These, ein Austritt aus der EU und eine Renationalisierung wäre eine hilfreiche Perspektive. Aufgrund eines total ungünstigen Kräfteverhältnisses in Europa und fehlender Solidarität wurde die SYRIZA-Regierung unter Androhung eines ungeordneten Rauswurfs aus dem Euro-Raum zu einer Politik gezwungen, ein neues Memorandum zu unterschreiben. Die Fundamentalkritiker*innen der Linken schweigen sich aus, was denn die realpolitischen Alternativen hätten sein können.

Es ist unstrittig, dass angesichts der erheblichen ökonomischen und politischen Probleme einiger Eurostaaten – vor allem in Südeuropa – die Strukturmängel des Eurosystems behoben und der vorherrschende stabilitätspolitische Kurs geändert werden müssen. Alles andere läuft auf eine Verschleppung der Krise hinaus –- und setzt die Zukunft der Eurozone und der EU selbst aufs Spiel. Und das könnte die europäischen Fliehkräfte nur bestärken. In dieser Gemengelage des Erstarkens nationalistischer Tendenzen, die der Entwicklung eines gemeinsamen solidarischen Europa entgegenlaufen, muss die politische Linke – ob Partei oder Bewegung – eine klare Position einnehmen, die sich einer illusionären Renationalisierung widersetzt.

Solange die politische Linke erstens keine klare Alternative für Europa bietet mit glaubwürdigen Lösungen für die gravierenden Probleme, solange die politische Linke zweitens keine Chance eröffnet, die gescheiterte neoliberale Politik zu ändern, und solange wir drittens keine Hoffnung auf eine gerechtere und bessere Zukunft entfachen können, solange wird der Weg für die extreme Rechte politisch nicht erfolgreich blockiert werden können.

Die Idee von einem dauerhaften Gewinn an Handlungsfähigkeit durch Renationalisierung der Wirtschaftspolitik ist illusionär, trifft weder die Vorzüge einer internationalen Arbeitsteilung noch die Notwendigkeit einer Währungs- und kontrollierten Kapitalbewegung. Europäische Länder mit eigener Währung haben zuletzt mitnichten die Art von Handlungsspielraum erlebt, die sich die Verfechter der Wiedereinführung nationaler Währungen erhoffen. In der globalen Finanzkrise 2008 oder bei Währungsbewegungen mussten Länder mit größeren Haushaltsdefiziten feststellen, wie schnell Finanzmärkte im Krisenfall die Finanzierung behindern können – eigene Währung hin oder her.

Wir müssen den zunehmend als irreversibel einzuschätzenden transnationalen Umbau der Regulationssysteme ernst nehmen, uns in enger Assoziation mit der Mehrheit der Lohnabhängigen dafür einsetzen, endlich einen Ausgleichungsmodus in der globalen weltwirtschaftlichen und Währungsordnung fest zu verankern. Dieser Ansatz ist keineswegs utopisch, sondern entspricht den realen Entwicklungstendenzen weitaus eher als die neuere Argumentation einer Renationalisierung von Ökonomie und Wirtschaftspolitik.

Es lassen sich derzeit keine politischen Mehrheiten in Deutschland und – durch die Konstruktion der EU – damit in Europa organisieren, die bereit sind, den Finanzmärkten eine wirkungsvolle Politik entgegenzustellen, etwa durch die wirkungsvolle Absicherung zumindest eines Teils der Staatsschulden im Euro-Raum gegen einen Staatsbankrott, wie sie in einigen Vorschlägen zu begrenzten Euro-Bonds diskutiert wurden. Es gilt Übergangslösungen zu etablieren und Mehrheiten zu verändern. Diese Probleme lassen sich durch Renationalisierung nicht lösen.

Es ist grob irreführend, wenn im Entwurf des Gründungsaufrufs der Sammlungsbewegung eine Bemerkung von J. M. Keynes in den Rang eines historischen Universalrezeptes gehoben wird.

Keynes plädierte 1933 – angesichts des von den faschistischen Regierungen betriebenen Protektionismus – dafür, in einer Übergangszeit der nationalen Selbstgenügsamkeit eine größere Bedeutung zu geben. Ein beträchtlicher Grad an internationaler Arbeitsteilung bleibe aber auch bei einer Stärkung der nationalen Selbstgenügsamkeit sinnvoll und unverzichtbar. Nicht nur in der Friedenssache habe der dekadente internationale, aber individualistische Kapitalismus zu keinem Erfolg geführt. »Kurz, wir missbilligen ihn und beginnen ihn zu verachten.« Aber die Aufgabe einer gestalteten, kontrollierten Weltwirtschafts- und Währungsordnung war mit den auf Protektionismus ausgerichteten Mächten nicht zu lösen, und auch nach dem Ende des Zivilisationsbruchs 1944 konnte die Konzeption einer Weltwährung in Verbindung mit einem Ausgleichungssystem im Freihandel nicht durchgesetzt werden. Es ist wenig überzeugend eine Facette der damaligen Argumentation in den 1930er Jahren als Lösung für den gegenwärtigen Kapitalismus auszugeben.

Zusammengefasst: Es geht um einen programmatisch-intellektuellen Aufbruch und die Entwicklung einer politischen Machtoption. Jede linke Sammlungsbewegung in einem gegenwärtigen Nationalstaat steht vor der Herausforderung durch entsprechende rechte Mobilisierungsangebote. Es gilt daher von Beginn an die politisch-soziale Ausrichtung an den Interessen der Mehrheit auszudrücken und dabei zu verdeutlichen, dass es mit einer rückwärtsgewandten Haltung in Richtung der vollen Souveränität eines Nationalstaates und der Verteidigung von nationalen Kollektivgütern (sozialen Sicherungs- und Transfersystemen) mit spezifischen Zugangsrechten keine Gemeinsamkeiten gibt. Eine linke Sammlungsbewegung muss demokratisch, entschieden pro-europäisch und internationalistisch aufgestellt sein. Der weitere Diskussionsprozess wird zeigen, ob die pro-europäische Ausrichtung des Projektes von der großen Mehrheit geteilt wird.

[1] Hier exemplarisch das letzte »Politbarometer«.

[2] Sarah Wagenknecht, Interview in der FR vom 11./12.8.2018.

[3] Peter Brandt, Wir brauchen eine linke Ökumene. Plädoyer für eine Sammlungsbewegung links der Mitte, in: IPG Journal 8.8.2018.

[4] Ebd.

[5] Vgl. dazu Jürgen Kocka, Mit ihr zog einmal die neue Zeit, in: FAZ vom 10.8.2018, und Peter Brand, a.a.O.

[6] Wolfgang Streeck, Raus aus der Sektiererei: Was muss eine zur Vernunft gekommene Linke öffentlich zur Sprache bringen? In: FAZ vom 3.8.2018.

[7] Auch die Makroskop-Redaktion weist auf die bestehende Offenheit hin: »Noch ist nicht klar, für was die neue Sammlungsbewegung #aufstehen genau steht.« Ihr Vorschlag: »Nur eine neue progressive Bewegung, die parteiübergreifend arbeitet und ein überzeugendes Reformprogramm für die Marktwirtschaft vorlegt, hat die Chance, den Stillstand der Großen Koalition als Dauerzustand für Deutschland zu verhindern.« Im Zentrum auch hier: »Abschaffung bzw. Korrektur des Stabilitäts- und Wachstumspaktes. Abkehr von der ›schwarzen Null‹ in Deutschland und der Austeritätspolitik in Europa. Anerkenntnis der Tatsache, dass die Unternehmen ihrer Aufgabe als Schuldner nicht mehr nachkommen und eine Lösung des Sparproblems über Leistungsbilanzüberschüsse für alle Länder nicht möglich ist.« Ähnlich wie bei Streeck bleibt aber offen, ob eine Erneuerung im Rahmen der europäischen Verträge stattfinden muss und kann: »Lösung der Eurokrise durch eine vollkommen neue deutsche Wirtschaftspolitik. Politische Unterstützung für Lohnsteigerungen in Deutschland, die den europäischen Partnern schon in Kürze die Luft zum Atmen lassen. Eine kreditfinanzierte Investitionsoffensive der öffentlichen Hand in den Bereichen Infrastruktur, ökologische Vorsorge und Bildung. … Aktives Eintreten für die systematische und volle Beteiligung aller Beschäftigten am Produktivitätszuwachs durch eine am Inflationsziel und den nationalen Produktivitätszuwächsen orientierte Lohnpolitik in der gesamten EWU. Unterstützung für den Flächentarifvertrag durch generelle Allgemeinverbindlichkeitserklärungen.«

Joachim Bischoff ist Herausgeber, Björn Radke ist Redakteur der Zeitschrift »Sozialismus«, wo ihr Text zuerst erschienen ist.

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