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Der Bus aus dem 3D-Drucker

04.07.2016
Foto: Local MotorsOlli heißt er und kommt ohne Fahrer aus: der Mini-Bus von Local Motors.

Wie ein putziger Bus den Nahverkehr revolutionieren und jede Menge Jobs überflüssig machen könnte – Versuch einer ökonomischen Technikfolgenabschätzung.

Auf diesem Bild sieht man einen Minibus. Er kann zwölf Fahrgäste aufnehmen und wird ökologisch korrekt von einem Elektromotor angetrieben. Und weil der Bus zukunftsweisend sein soll, fährt er ohne Fahrer. Gesteuert wird er von einem eingebauten Hochleistungsrechner, der zugleich von Watson, dem vernetzten Superrechner-Projekt von IBM, überwacht wird. Einfluss haben aber auch die Fahrgäste, die den Bus per App rufen können. Weil der Bus mit ausgefeilter künstlicher Intelligenz (KI) ausgerüstet ist, dürfen sich Fahrgäste auch mit ihm unterhalten, was als Fortschritt gegenüber lebenden BusfahrerInnen angesehen werden kann.

Und weil seine EntwicklerInnen beim US-Start-Up Local Motors auch bei der Herstellung modernste Wege gehen wollen, soll der Bus nicht in herkömmlichen, großen Fabriken gebaut werden. Sondern in kompakten, lokal aufstellbaren Fabrikationswürfeln, deren Hauptbestandteil ein gigantischer 3D-Drucker ist, mit dem zum Beispiel Chassis und Fahrgestell computergesteuert »gedruckt« werden sollen. Was hier heißt: Kunststoffe und Metalle werden so weit erhitzt, dass sie als thermoplastische Schichten zum scheibchenweisen Aufbau des Fahrzeugs dienen können. Klug ist der Name gewählt: Der Bus soll »Olli« heißen. Das garantiert globale Spontansympathien. Das Äußere, eine knubbelige, dennoch aerodynamische Benutzeroberfläche, unterstützt das spontane Wohlwollen des Betrachters.

Testfahrten sind schon erledigt

Die Prototypen von Local Motors haben bereits etliche Testfahrten absolviert. In den kommenden Monaten soll es ins reale Stadtleben von Washington, Miami und Las Vegas gehen. Verhandlungen mit Städten wie Kopenhagen und Berlin sind im Gange. »Wir könnten Olli sofort einsetzen«, verkündet stolz Local-Motors-Chef John Rogers. Was noch stört, sind die staatlichen Verkehrsgesetze, die in aller Welt noch keinesfalls auf autonome Fahrzeuge eingestellt sind.

Lassen wir verkehrsrechtliche Probleme, die hier auch sicherheitstechnische Probleme sind, einmal beiseite. Tun wir so, als ob Olli serienreif wäre und die deutschen Sicherheitskataloge rundum erfüllt seien. Was würde der flächendeckende Olli-Einsatz für unseren Nahverkehrs-Alltag bedeuten? Oder simpler gefragt: Was hat Olli jenseits seiner ökologischen Pluspunkte für Vor und Nachteile?

Was bedeutet Olli für den öffentlichen Nahverkehr?

Im gesamtdeutschen öffentlichen Nahverkehr sind etwa 110.000 Menschen als FahrerInnen von Bussen und Straßenbahnen beschäftigt. Etwa 80 Prozent davon sind BusfahrerInnen. Das macht 88.000 BusfahrerInnen-Jobs. Das entspricht etwa zwei Promille der deutschen Erwerbstätigen. Aber auch der Gesamtzahl der EinwohnerInnen zum Beispiel von Gütersloh, der Bertelsmann-Stadt im Westfälischen (nur ein Beispiel). Olli würde also eine ganze Fast-Großstadt an Menschen ihrer Arbeit berauben. Ein kleiner Teil davon, etwa 3.000, käme bei den boomenden Fernbus-Linien unter. Die suchen derzeit händeringend nach FahrerInnen für ihre Billig-Fernstrecken, die Bezahlung liegt inzwischen auf Mindestlohn-Niveau.

Unterstellen wir aber, dass Olli funktioniert, wird auch das Problem des größeren fahrerlosen Fernbusses schnell gelöst sein. Autobahnen sind nun mal unfallärmer als Innenstädte, auch bei fahrerlosen Fahrzeugen. Da könnten sich also nochmal gut 15.000 FahrerInnen von ihrem Job verabschieden. Und wo wir schon technologisch spekulieren: Wenn ein autonom fahrender Bus mit Fahrgästen heute bereits als sicher gälte, dann ein Lastwagen mit seiner personenfreien Nutzlast erst recht. Kämen also nochmals etwa 800.000 sozialversicherungspflichtig angestellte KraftfahrzeugführerInnen hinzu. In der Zahl sind zwar einige Zehntausend fest angestellte TaxifahrerInnen (eine Minderheit) inbegriffen. Aber auch deren Jobs stehen auf der Kippe. Zehntausende von Ollis auf Deutschlands Straßen decken schließlich auch einen Gutteil des Taxiverkehrs ab. Vor allem, wenn Abholort und Ziel mit einem Olli genau verabredet werden können. Je mehr Ollis herumfahren, desto leichter sind dann auch kleine Umwege zu machen, weil alle Ollis schließlich wissen, wo alle anderen Ollis gerade sind.

Olli fährt mit Job-Verbrennungsmotor

Entstünden durch Olli nun neue Jobs, wie immer beruhigend angesichts fortschreitender digitaler Jobvernichtung behauptet wird? Das Produktionsmodul für die Herstellung und Montage von Ollis muss produziert werden. Dafür würden aber Produktionsjobs im herkömmlichen Kraftfahrzeugbau verschwinden. Der Bau von Ollis selbst bedient sich hochautomatisierter Steuerungsprozesse, die mit minimalem Personaleinsatz zu kontrollieren sind. Ollis sind weit simpler konstruiert als beispielsweise ein Mercedes Benz Citaro G, ein überlanger Nahverkehr-Gelenkbus, wie er sich seit einigen Jahren zunehmend durch Deutschlands Innenstädte quält. Der kostet derzeit etwa 340.000 Euro. So ein Monsterbus bietet für etwa 150 Fahrgäste Platz. Das ist das 12,5-fache eines Olli, wenn man – was unrealistisch ist – Vollauslastung unterstellt. Busse sind prozentual immer leerer als ein Olli in einer Olli-Flotte.

Der sollte aber dennoch nicht mehr als etwa 25.000 Euro kosten und genau so lang halten, wie ein ausgereifter Mercedes-Bus. Was mittelfristig nicht zu erwarten ist. Eine Olli-Fahrt wäre damit zunächst wohl etwas teurer als ein Busticket (ca. 18 Cent/km), aber dramatisch günstiger als ein herkömmliches Taxi (ca. 1,80 Euro/km). Aber auch billiger als ein Pkw, dessen Gesamtkosten zwischen 40 und 60 Cent pro Kilometer liegen.

Über die Olli-Öko-Bilanz lässt sich nichts Genaues sagen. E-Automobile stinken zwar nicht. Wird der Strom aber nicht aus alternativen Energien gewonnen, stinkt es woanders. Die berechtigte Hoffnung aber lautet: Wer seinen »persönlichen« Olli jenseits von Fahrplänen und Haltestellen-Logistik immer und überall ordern kann, lässt das Auto gern und immer öfter in der Garage stehen. Und kauft sich vielleicht nach dessen Verschrottung kein neues. Was wiederum fatale Folgen für die Automobilindustrie hätte.

Was werden die AutofahrerInnen tun?

Rechnen wir wieder ein wenig: Der öffentliche Nahverkehr in Deutschland transportiert pro Jahr 10 Milliarden Fahrgäste über insgesamt 93 Milliarden Personen-Kilometer. Macht neun Kilometer pro Person pro Fahrt. 40 Millionen Pkw fahren derzeit auf Deutschlands Straßen. Sie fahren 500 Milliarden Kilometer im Jahr. Macht pro Wagen gut 12.500 Kilometer. Davon sind 60 Prozent oder 300 Milliarden Kilometer kurze Strecken, die leicht durch Ollis abgedeckt werden können. Unterstellen wir, dass ein Drittel dieser Kilometer von Ollis übernommen würde, erhöhte sich die Zahl der Personen-Kilometer im öffentlichen Nahverkehr von 90 auf 190 Milliarden Kilometer. Private Pkw führen 20 Prozent weniger, und würden erst einmal noch häufiger als heute in der Garage stehen. (Heute fährt ein Auto etwa 250 Stunden im Jahr. Und steht 8.510 Stunden, also 97 Prozent seines Lebens, irgendwo ungenutzt herum.

Die meisten AutobesitzerInnen würden bei einem Olli-Boom zwar immer noch nicht auf einen Pkw verzichten, aber schon eher auf einen Zweit- oder Drittwagen. Anders sähe es aus, wenn es zusätzlich Komfort-Ollis für längere Strecken gäbe. Dann könnte ein massiver Mentalitätswandel im Autofahrer-Hirn vonstattengehen.

Fahrzeuge der Zukunft: klein, günstig, gut vernetzt

Verlierer wären die klassischen Autohersteller. Die basteln zwar auch alle an E- und Hybrid-Fahrzeugen. Die müssen aber mit Extremausstattung und Luxus vollgestopft sein. Weil sonst der Umsatz pro Auto sinkt. Und damit der Aktienwert des Herstellers. Gewinner wären neue Firmen wie Local Motors. Aber bald auch Google und andere Hightech-Schmieden, denen es egal ist, ob die Dickschiffe der klassischen Automobilindustrie überleben. Google & Co. setzen auf relativ einfache Fahrzeuge, die günstig in die Massenfertigung gehen können. Dazu auf schnelle Rechner, komplexe Vernetzung und digitalen Luxus, der billiger zu fertigen ist, als der materiell verkörperte Luxus eines herkömmlichen Automobils. Womit auch als Weichbild der mittleren Zukunft deutlich ist, wer die Zukunft von Kommunikation, Verkehr und Produktion noch deutlicher bestimmen wird: Unternehmen wie Google, Facebook, Apple, Samsung, aber auch IBM. Ob deutsche Autohersteller noch in diese Riege werden einrücken können, bezweifeln viele ExpertInnen.

Olli ist also nicht nur ein »vernünftiges« Auto, sondern auch ein weiterer durchdigitalisierter Baustein einer durch Digitalisierung noch durchglobalisierteren Weltwirtschaft, die von immer weniger Konzernen eines bestimmten Typs bestimmt wird. Und nun? Der technikrevolutionäre 5-Jahres-Plan zur Rettung von Ökosphäre und Arbeitsplätzen muss wohl noch entworfen werden.

Geschrieben von:

Jo Wüllner

freier Journalist

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