Wirtschaft
anders denken.

Der deutsche Arbeitsmarkt ist flexibel. Ist das gut?

18.04.2016
Mitarbeiterin in einem holzverarbeitenden Betrieb.Foto: Arbeitgeberverband Gesamtmetall / Flickr CC-BY 2.0 LizenzJe besser der Kündigungsschutz desto gefährdeter der Job? Arbeitgeberlogik...

Der Beitrag »Vorbild Deutschland« in der Printausgabe der Süddeutschen Zeitung vom 15. April 2016 ist ein glänzendes Beispiel dafür, wie Medien ideologisch motivierte Aussagen unhinterfragt übernehmen.

Der deutsche Arbeitsmarkt funktioniert – heißt es in dem Artikel. Grundlage für diese Aussage ist eine Studie des Essener Rheinisch-Westfälischen Instituts für Wirtschaftsforschung (RWI), das für die Bertelsmann-Stiftung die Arbeitsmärkte von 23 europäischen Ländern untersucht hat. Das Institut bescheinigt Deutschland, dass es inzwischen einen der flexibelsten Arbeitsmärkte Europas habe. Hohe Mobilität der ArbeitnehmerInnen sei ein Zeichen dafür, »dass Deutschland den Strukturwandel gut bewältigt und Herausforderungen der Digitalisierung gewachsen ist«.

Das Institut unterbreitet recht abenteuerliche Thesen, bzw. es bejubelt Entwicklungen, die man mindestens mit gemischten Gefühlen betrachten sollte. Und die SZ jubelt mit, oder milder ausgedrückt: Die SZ hält an keinem Punkt dagegen oder stellt mal eine Zwischenfrage.

In Deutschland schafften rund 36 Prozent der Menschen mit einem befristeten Arbeitsvertrag innerhalb eines Jahres den Sprung in einen unbefristeten Arbeitsvertrag. (64 Prozent nicht, aber wen interessiert’s?) In Frankreich, so die Studie, gelänge es nur jedem Zehnten, innerhalb eines Jahres von befristet auf unbefristet zu kommen. Und das liegt woran? An einem ziemlich hohen Mindestlohn und viel zu starren Löhnen insgesamt, so die Studie. Auch diese Aussage bleibt im SZ-Artikel unwidersprochen, also merken wir uns: Mindestlohn und Tarifbindung führen dazu, dass immer mehr Menschen nur einen befristeten Arbeitsvertrag erhalten.

Kündigungsschutz – Schuld an Arbeitslosigkeit?

Auch was die Flexibilität anbelangt, gibt das Essener Institut Deutschland gute Noten. Mehr als acht Prozent der ArbeitnehmerInnen wechselten innerhalb eines Jahres die Stelle. Hat das vielleicht etwas mit den vielen befristeten Arbeitsverträgen zu tun? Die Zeitung fragt nicht nach.

Nachholbedarf hätten laut Studie südeuropäische Länder. Wenn es um Deregulierung geht. Dort sei der Kündigungsschutz viel zu hoch, weshalb es schwierig sei, einen dauerhaften Job zu ergattern. Keine Jobs wegen zu viel Kündigungsschutz? Auch hier hat der Journalist keine Nachfragen.

Zum Schluss aber noch ein Trösterchen. Je flexibler desto besser könne auch nicht die Faustregel sein. Sagt Aart De Geus, Chef der Bertelsmannstiftung. Eine gesunde Balance zwischen Sicherheit und Flexibilität sei stattdessen geboten. Der Mann war mal Arbeitsminister, der Redakteur möglicherweise mit etwas anderem beschäftigt, als er die Meldung ins Blatt brachte.

Geschrieben von:

Kathrin Gerlof

OXI-Redakteurin

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