Wirtschaft
anders denken.

Der Fisch stinkt an beiden Enden: Frankreichs Nuklearbranche

16.06.2017
Foto: Schoella / panoramio CC BY 3.0Strahlende Welt: Nuklearreaktor Flamanville

Nichts spricht dafür, dass Emmanuel Macron an der gefährlichen wie unsinnig teuren Atomenergie-Politik etwas ändern will. In seinem Kabinett sitzen prominente Nuklearisten. Im Juli steht eine Entscheidung an, die über das Schicksal der Nuklearindustrie entscheiden kann: Wird der Europäische Druckwasserreaktor (EPR) in der Normandie, trotz gravierender Mängel, genehmigt oder nicht?

Seit über einem Jahr ist die Krise der französischen Atomindustrie ein ständiges Thema in den Medien des Nachbarlands. Die Diskussion ist von wachsender Nervosität geprägt. Als im Spätherbst 2016 von den insgesamt 58 Reaktoren in Frankreich 21 wegen Wartungen und Überprüfungen angehalten waren, erwartete die Tageszeitung Le Figaro für 2017 ein »Jahr mit allen Gefahren für die Nuklearbranche«. Die konservative Zeitung meinte damit das drohende wirtschaftliche Aus für die sogenannte Schlüsselindustrie. Nicht weniger pessimistisch, allerdings aus anderen Gründen, beurteilen Ökologen die Lage. Sie warnen davor, dass 2017 das Jahr einer Nuklearkatastrophe in Frankreich werden könne: »Muss man auf einen Knall in Fessenheim warten, damit die Entscheidung für einen Atomausstieg fällt?«, fragte der weltbekannte Segelsportler Thomas Coville in der Tageszeitung Liberation.

Das Verlustgeschäft für Areva

Der Fisch stinkt hier an beiden Enden. Aktuell sind die französischen Nuklearbetreiber weder in der Lage, neue Atomkraftwerke ans Netz zu bringen noch wissen sie, wie sie den Betrieb ihrer alten Reaktoren weiter verlängern können. Der AKW-Hersteller Areva hat in den Jahren 2011 bis 2016 Verluste in Höhe von 10 Milliarden Euro angehäuft. Ob das alles ist? Jedenfalls ist es die Summe, die in den Bilanzen ausgewiesen wurde. Die Firma sah sich nach der Atomkatastrophe in Fukushima wegen ausbleibender Aufträge in ihrer Existenz bedroht. Umgekehrt zwangen jedoch ausgerechnet diejenigen Aufträge, die Areva immerhin noch erhalten hatte, das Unternehmen in die Knie. Dabei geht es um den Europäischen Druckwasserreaktor (EPR), ursprünglich eine französisch-deutsche Entwicklung, die sich als Antwort auf Tschernobyl verstand. Insgesamt vier EPR konnte Areva verkaufen; zwei weitere hat Großbritannien bestellt.

Doch anstatt Geld damit zu verdienen, musste das Unternehmen für diese Reaktoren dazuzahlen. Die Herstellungsdauer für einen EPR verdoppelte sich, die Kosten sind mittlerweile auf das Dreifache des ursprünglichen Preises angestiegen. Als vor zwei Jahren publik wurde, dass der Reaktordruckbehälter des EPR, den Frankreich selber in Flamanville baut, wegen einer Kohlenstoff-Verunreinigung des Stahls möglicherweise keine Freigabe erhalten würde, stand Areva vor dem Aus. Denn die anderen EPR-Kunden in Finnland (Olkiluoto) und China (Taishan) warten mit der Erteilung einer Betriebsgenehmigung, bis klar ist, wie die Sache in der Normandie ausgeht. Auch die Briten haben ihr Hinkley C-Projekt davon abhängig gemacht.

Der Retter für die Nuklearbranche

In dieser Situation trat Emmanuel Macron, damals Wirtschaftsminister (2014 bis 2016) unter François Hollande, auf den Plan. Er habe in der vordersten Linie gestanden, um die französische Nuklearindustrie zu retten, erinnert sich der Generaldirektor der Pariser Atomenergie-Kommission, Daniel Verwaerde. Macron veranlasste eine Umstrukturierung: Die Reaktorsparte von Areva geht an die Elektrizitätsgesellschaft EDF, die alle französischen Atomkraftwerke betreibt und zu 83 Prozent dem Staat gehört. AKW-Hersteller und -Betreiber gehören nun zum gleichen Konzern, eine durchaus problematische Struktur, auch wenn die EU-Kommission keine Bedenken hatte. Um die Schuldenlast zu reduzieren, steuerte der Minister mindestens 8,5 Milliarden Euro an Steuergeldern bei. Ohne diese Subventionen hätten die Unternehmen nicht überlebt.

Für EU-Kommission unbedenklich? AKW-Hersteller und -Betreiber in Frankreich gehören zum gleichen Konzern EDF.

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Seitdem wird dem neuen Präsidenten Frankreichs wirtschaftliche Kompetenz bescheinigt, und vermutlich ist er stolz auf sein Krisenmanagement als Minister. Allerdings ist noch nichts unter Dach und Fach. Das ganze Rettungspaket hängt davon ab, dass die französische Atomaufsicht ASN eine Betriebsgenehmigung für den umstrittenen EPR in Flamanville erteilt. Die Behörde steht daher unter einem präzedenzlosen Druck. Würde sie, was eigentlich eine Selbstverständlichkeit sein müsste, dem Reaktordruckbehälter, der den Auslegungsanforderungen nicht entspricht, die Freigabe verweigern, dann müsste er ausgebaut und durch ein einwandfreies Stück ersetzt werden. Weitere jahrelange Verzögerungen der EPR-Projekte in der Normandie, in Finnland und China wären die Folgen, verbunden mit Verlusten in nahezu unkalkulierbarer Höhe.

Risikofaktor Mensch und Material

Gibt ASN hingegen grünes Licht, so wird die Behörde den Verdacht nicht mehr los werden, fahrlässig gehandelt zu haben und politischen oder ökonomischen Interessen den Vorrang vor den Sicherheitsanforderungen von Atomanlagen zu gewähren. Eine Kohlenstoff-Verunreinigung des Reaktorstahls bedeutet erhöhte Versprödungsgefahr und geringere Bruchfestigkeit in denjenigen Extremsituationen, gegen die der EPR besonders gut gewappnet sein sollte. Und das ist nicht das einzige Problem dieses sogenannten Reaktors der dritten Generation. Weil er, wenn er auslegungsgerecht gebaut werden könnte, tatsächlich höhere Sicherheit böte, wollten die Konstrukteure die damit verbundenen Mehrkosten durch andere, profitträchtige Eigenschaften wettmachen. Der EPR soll anderthalb Mal soviel Energie liefern wie herkömmliche Reaktoren; er soll neben Uran auch Plutonium und Thorium als Brennstoffe nutzen und wie ein Brüter funktionieren können. Mit diesem Ansatz haben die Ingenieure ein technisches Monstrum geschaffen, bei dem an alles gedacht wurde, nur nicht an die Unzulänglichkeiten von Mensch und Material.

Ingenieure haben technisches Monstrum geschaffen, nur nicht an die Unzulänglichkeiten von Mensch und Material gedacht.

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Da Macron trotz all seiner Erfolge nicht mit einer Basta-Politik regieren kann, braucht er eine Legitimation, um das waghalsige Genehmigungsverfahren über die Bühne zu bringen. Zu diesem Behelf hat er den prominenten Umweltaktivisten Nicolas Hulot als »Minister für den ökologischen und solidarischen Übergang« in die Regierung berufen. Hulot ist Journalist, TV-Moderator, Filmemacher und hat 1990 eine nach ihm benannte »Stiftung für die Natur und den Menschen« ins Leben gerufen, die unter anderem von EDF, L’Oreal, der französischen Bahngesellschaft SNCF und der Post Unterstützung erfährt. Warum auch nicht. Bei den französischen Grünen (Europe Écologie Les Verts) ist der parteilose Aktivist umstritten, weil er bis 2011 Atomkraftwerke für klimafreundliche Stromproduzenten hielt. Fukushima habe ihn eines Besseren belehrt, versichert er und wehrt sich gegen den Vorwurf einer Zweideutigkeit. Wer Angela Merkels Meinungsumschwung vor sechs Jahren akzeptiert hat, kann ihn deswegen kaum angreifen.

Regierung der Nuklearisten

Alles andere als zweideutig sind Hulots KabinettskollegInnen in dieser Frage. Die Satirezeitschrift Charlie Hebdo (deutsche Ausgabe vom 25.5.2017) spricht von einer Regierung der Nuklearisten und stellt zum Beweis einzelne Karrieren vor. Besonders sticht Premierminister Édouard Philippe hervor, der von 2007 bis 2010 die Öffentlichkeitsarbeit von Areva leitete. Hulot weiß also, was auf ihn als Minister zukommt; unabhängig davon, ob man es ihm in einem Einstellungsgespräch gesagt hat. Darum wird er gerade an dem Punkt versagen, wo man Kompromisslosigkeit von ihm erwarten muss: bei der Gewährleistung der Unabhängigkeit der Atomaufsicht, die ihm untersteht. Hulots Aufgabe in der Regierung besteht darin, die Betriebsgenehmigung für Flamanville durchzusetzen. Im Gegenzug darf er vermutlich irgendwann das Uralt-Kraftwerk Fessenheim stilllegen, vielleicht auch den bei Wartungsarbeiten schwer beschädigten Reaktor Paluel-2 abschreiben und das eine oder andere ökologische Vorzeigeprojekt anstoßen.

Alle Regierungen haben dafür gesorgt, dass sich Frankreich in der nuklearen Sackgasse immer weiter festfährt.

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Ist das ein gutes Paket? Vielleicht lässt es sich so verkaufen. Schließlich hätten es auch François Hollande und Nikolas Sarkozy nicht anders gemacht. Alle bisherigen Regierungen haben dafür gesorgt, dass sich Frankreich in der nuklearen Sackgasse immer weiter festfährt. Macron setzt den Irrweg fort. Den Beschwörungen einer »Revolution«, einer Modernisierung, eines neuen und optimistischen Aufbruchs der Gesellschaft zum Trotz hält Frankreich an seiner gefährlichen und kostspieligen Energiepolitik fest. Ein Milliardengrab mutiert eben nicht zu einer munter sprudelnden Geldquelle. Es wird weitere Milliarden verschlingen, zu einer noch höheren Verschuldung der Staatskonzerne führen, das Vertrauen in die französische Wirtschaft weiter einreißen und dadurch noch mehr verzweifelte staatliche Eingriffe erfordern. Unter diesen Voraussetzungen würde eine europäische Finanzpolitik, die Macron will, die Leidenszeit nur verlängern statt sie zu beenden. Kommt sie, dann darf sie auf keinen Fall dazu führen, einen weiteren Topf für die notleidende französische Nuklearindustrie bereitzustellen.

Geschrieben von:

Detlef zum Winkel

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