Der große Freiheitsgewinn mit Grundeinkommen
Wer Grundeinkommen bezieht, ist nicht zum Nichtstun verpflichtet. Grundeinkommen folgt nicht der Zerstreuung, oder zweckfreiem Handeln. Grundeinkommen ermöglicht. Unser Autor beschreibt diese Möglichkeit.
Es gibt Aufgaben im Leben, die nach gründlicher Aufmerksamkeit verlangen. Dabei ist es egal, ob der Auftraggeber dieses verschweigt oder gar nichts davon weiß. Denn Aufgaben dieser Art sind ihrer Natur nach unabhängig und haben es an sich, dass man sich in ihnen verwickelt. Der bevorstehende Uni-Vortrag war eine Aufgabe dieser Art. Erkennen lassen sie sich dabei an den Phasen, die man mit ihnen durchlebt.
Es beginnt mit Übermut, der sich in Schwermut verwandelt und dann plötzlich in den Zweifel kippt. In diesem angekommen, gibt es nur eine Möglichkeit: Von vorne beginnen! Und nach ein paar Runden in diesem Kreis hält man inne und denkt laut: Dafür ist doch gar keine Zeit! Es war wieder passiert. Ich hatte mich in diesen Kreis begeben und ohne Respekt vor Leistungspunkten studiert. Während ich diesen stolzen Gedanken dachte, drängelte sich ein eigentlich doch sachfremder Gedanke dazwischen: Ich habe nur noch 60 Euro. Und ohne »Plus« auf dem Konto lässt es sich nicht vernünftig nachdenken. Die Idee, mit fast 30 ein Studium zu beginnen, hat wenig Befürworter.
Ich rettete mich in den Vortragstag, dessen Aufgabenstellung darin bestand, sich in freier Rede zu der Frage zu äußern: Gibt es einen Sinn des Lebens? Kurz vor Ende des Vortrags – an einer Stelle, an der ich vorschlug, die Frage nach der Existenz Gottes nicht vorschnell zu beantworten und stattdessen die unbescheidene Frage nach dem Sinn des Lebens ernst zu nehmen – brummte ein stiller, anonymer Anruf in meiner Hosentasche. Dem Vortrag wurde ein gelungener Anschluss an Adornos »Negative Dialektik« attestiert, ich erkannte zumindest das Lob und rief, um die Aufregung über den Erfolg mit Realität zu betäuben, die Nummer aus der Hosentasche zurück:
»Hallo?« – »Ja?« – »Hier ist Mein Grundeinkommen e.V., du hast gewonnen!« (*)
Unverhoffter Freiheitsgewinn
Voilà. Vielen Aufgaben konnte ich nun mit Ruhe begegnen. Ich konnte nicht nur aus dem Kontext gerissene Papiere gründlicher lesen, sondern immer auch die theoretischen Nachbarn, Feinde und entfernten Bekannten kennenlernen und dann alles zurückbeziehen auf das, was es eigentlich zu tun galt. Das war neu. Aber es gab etwas Grundlegenderes, das sich änderte. Denn so schön es war, die Freiheit zu haben, tiefer eintauchen zu können und sich intensiver mit den Dingen zu beschäftigen, war dies ja stets von dem Paradigma getrieben, es möge sich dadurch das Ergebnis verbessern. Es war ein Denken, das mit dem Resultat beginnt.
Ein viel größerer Freiheitsgewinn lag allerdings in der Unterwanderung dieser Logik: Dem Nicht-länger-zurückbinden-müssen. Ich war nicht länger gezwungen, Dinge ausschließlich um anderer Dinge willen zu tun; vielmehr konnte ich Bestimmtes um seiner selbst willen tun: Ich konnte mir die Extrarunde im Doppeldeckerbus oben und ganz vorne einfach leisten. Die Astrophysik-Vorlesung und die Fachtagung zum Ovid-Jahrestag. Das Eis mit den selbstgedrehten Waffeln. Die falsche Bahn besteigen, den Umweg nehmen, die umständliche Lösung der schnelleren vorziehen. Mich in zweckfreiem Handeln proben, im unvernünftigem Denken, im Missachten von Erfolgschancen und im Ignorieren von Zielführendem. Ich gewann die Freiheit, den Modus des Bartleby’schen »I would prefer not to…« auszuleben.
Ich halte es für eine gute Idee, wenn Guy Debord empfiehlt, unsere Städte mit den Plänen anderer Städte zu durchwandern. Und um die jetzt erschrockenen Mittel-Zweck-Überzeugten zu beruhigen und nicht eines Nihilismus schuldig zu werden, der ein Universum der Fake-News stützt, will ich noch etwas verraten: Aus dem Modus der Zerstreuung folgt nicht zwangsläufig Nichts, sondern bisweilen Etwas. Soviel sei versprochen.
(*) Grundeinkommen e.V. ist ein Berliner Start-up, das per Crowdfunding Geld sammelt und damit einjährige Grundeinkommen finanziert und verlost.
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