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»Immer so unten durchgerutscht«: Rechtsruck, Gentrifizierung, Austerität – Studie zu zwei Frankfurter Stadtteilen

27.03.2018
Sebastian Kasten, Lizenz: CC BY-SA 3.0Siedlung am Riederwald

Die AfD erfährt nicht nur im Osten und nicht nur in ländlichen Gegenden besorgniserregenden Zuspruch. Wie Sparpolitik und soziale Verdrängung in Städten zu Treibern des Rechtstrucks werden, zeigt nun ein Papier der Hessischen Stiftung Friedens- und Konfliktforschung.

Die AfD erfährt nicht nur im Osten und nicht nur in ländlichen Gegenden besorgniserregenden Zuspruch. Wie soziale Verdrängung in Städten zum Treiber des Rechtstrucks wird, darauf macht nun ein Papier der Hessischen Stiftung Friedens- und Konfliktforschung aufmerksam: »Exkludierenden Dynamiken der Stadtentwicklung« seien »weit enger mit dem Aufstieg der Rechten verbunden sind, als bisher in den Debatten vermutet«, schreibt darin der wissenschaftlicher Mitarbeiter Daniel Mullis. Er hat in den zwei Frankfurter Stadtteilen Riederwald und Nied, wo die AfD bei jüngsten Wahlen hohe Werte von 14 und 17 Prozent erreichte, mit Lokalpolitikern, Kirchenvertretern und Sozialarbeitern über die Probleme der Kieze und die Folgen für die politische Ausrichtung bei Wahlen gesprochen.

»Da ich die Erfolge der AfD nicht als isoliertes Phänomen betrachte, sondern diese als Indikator für einen gesellschaftlichen Trend nach rechts lese, habe ich in den Gesprächen nicht primär auf die AfD fokussiert, sondern versucht das gesellschaftliche Gefüge nachzuvollziehen, in dem die starken Resultate der AfD zustande kommen.« Bei den Gesprächen, so Mullis weiter, seien immer wieder die Themen Austeritätspolitik und Gentrifizierung angesprochen worden – während Zuwanderung kaum thematisiert wurde. »Aufgetaucht ist eher eine Erzählung der Erfahrung von Fremdheit. Dies betraf alles Unbekannte, längst nicht nur Menschen ausländischer Herkunft. Offen angesprochen wurde hingegen die Transformation von lokaler Gemeinschaft bzw. deren Verlust, die Spaltung der Communities, die Sorgen um Verdrängung, Mangel an demokratischer Einbindung, Armut und sozialer Abstieg, aber auch eine gewisse Ratlosigkeit was das starke Abschneiden der AfD angeht.«

Ähnlichkeiten zur Studie »Rückkehr zu den Verlassenen«

Mullis sieht hier zu recht Ähnlichkeiten mit den Ergebnissen, die Johannes Hillje im Rahmen der Studie »Rückkehr zu den politisch Verlassenen« unlängst vorgestellt hat – auch hier hatten sich in qualitativen Gesprächen gezeigt, welche »Herausforderungen die Befragten in ihrem Alltag haben und warum oftmals die sozialpolitischen Bedingungen – und nicht etwa Fremdenfeindlichkeit – Grund ihres Unmuts und ihrer Zukunftsängste sind«. Unsichere Arbeitsbedingungen und der Wegfall von sozialer Infrastruktur zeigten sich als stärkere Auslöser des Rechtsrucks, die grassierende Abwertung von Migranten und Geflüchteten sei erst »eine Folge einer eigenen Abwertungserfahrung«.

Zu Hilljes Studie war kritisch angemerkt worden, dass von den 5.000 Kontaktaufnahmen zu Gesprächen 4.500 gleich unmittelbar von den Anwohnern beendet wurden. »Es ist nicht auszuschließen, dass unter den Abweisenden viele überzeugte Rassisten waren«, hieß es dazu in der »Welt«. Eine genaue Analyse über das Denken von Rechtswählern sei so nicht möglich. »Sehr wohl aber gibt die qualitative Untersuchung wichtige Hinweise auf eine an jenen Orten verbreitete Mentalität. Und somit darauf, welche Herausforderungen sich dort für die Politik stellen.«

Eng mit Industrialisierung und Niedergang verbunden

Beide Stadtteile sind von Bewohnern geprägt, die Grundsicherungsleistungen beziehen, der Altersschnitt ist etwas über den Durchschnitt, um die 60 Prozent der Bewohner haben einen Migrationshintergrund oder besitzen keinen deutschen Pass. Nied und Riederwald seien »historisch eng mit der Industrialisierung und deren Niedergang verbunden«. Der Riederwald sei in den 1920ern Jahren eine linke Hochburg gewesen; in der Nachkriegszeit dominierte die SPD. Nied hingegen sei von SPD und CDU geprägt gewesen. Beide ehemals großen Parteien hätten bei jüngsten Wahlen hier deutlich verloren – die SPD im Riederwald um über 11 Prozent, die CDU in Nied um fast 9 Prozent.

Mit Mullis’ Papier werden erste Ergebnisse der Feldforschung in den beiden Stadtteilen der Bankenmetropole vorgestellt. »Reichtum und Armut liegen nah beieinander – wenn auch räumlich klar getrennt. So ist die Main-Metropole, vor Leipzig, die in Deutschland am stärksten sozial-ökonomisch segregierte Großstadt«, so Mullis. Dabei haben Austeritätspolitiken, also die Kürzung von Leistungen, Privatisierungen etc. eine konstante »Abwärtsspirale« ohne Möglichkeiten demokratischer Intervention ausgelöst. Austerität habe regionale Ungleichheit vertieft und die Standortkonkurrenz zwischen armen und reichen Kommunen befördert.

Rechtsruck in den Quartieren, wo Menschen hin verdrängt wurden

Bei den Gesprächen seien »Klagen über den Mangel an Investitionen in öffentliche Infrastruktur, Wohnungen und soziale Angebote« ein wiederkehrendes Muster gewesen. Dies gelte vor allem für Nied, das »früher von Werkswohnungen der Deutschen Bahn, der Post und der anrainenden Chemiewerke geprägt gewesen« sei, was mit Unterstützung seitens der Unternehmen und der Bundespolitik verbunden gewesen sei. »Mit der Privatisierung um die Jahrtausendwende sind nicht nur die Wohnungsbestände den Preissteigerungen des freien Marktes zugeführt, sondern auch das soziale Engagement weggespart worden.« Mullis zitiert aus einem Gespräch: »Nied ist immer so unten durchgerutscht.«

Hinzu kommt als Faktor laut Mullis die Gentrifizierung. Zwischen 2006 und 2016 seien die Angebotsmieten in Frankfurt um ca. 35 Prozent und jene im Bestand um 25 Prozent gestiegen. Bei der Forschung darüber habe man sich bisher zu sehr »auf Stadtteile fokussiert, die von Verdrängung betroffen sind. Außer acht gelassen wurden die Quartiere, wo Menschen hin verdrängt wurden«. Dies seien »eben jene Stadtteile, in denen heute mutmaßlich viele rechts wählen«.

Riederwald und Nied hätten in Frankfurt über lange Zeit die Funktion gehabt, »die Menschen mit geringem Einkommen« aufnehmen zu können. Inzwischen hat die fortschreitende Verdrängung in der Stadt zu räumlicher Konzentration von Sozialwohnungen in Randlagen geführt, »zur Multiplikation von sozialen, ökonomischen und psychischen« Problemen sowie von Anzeichen, dass Gentrifizierung in den Kiezen selbst beginnt. »Gentrfizierung kennt kein ›natürliches‹ Ende. Im Gegenteil, die schwindenden innerstädtischen Ausweichmöglichkeiten potenziert die soziale Sprengkraft der Verdrängung.«

Mullis vorläufiges Fazit: »Austeritätspolitik und Gentrifizierung führen zwar keinesfalls zwingend zur Unterstützung rechter Politiken. Doch diese Prozesse sind mit dem Aufstieg der Rechten verwoben und die Relationen müssen näher beleuchtet werden.« Es sei hier mehr Forschung über die konkreten Alltagserfahrungen und Lebenswelten nötig. Mullis will dabei »Oliver Nachtweys These der Abstiegsgesellschaft mit konkreten Lebensrealitäten in Beziehung«  bringen. Politisch sieht Mullis in der »Wohnungspolitik ein wichtiges Interventionsfeld«.

Information: Am 9. April ver­anstaltet die HSFK eine Podiums­diskussion zum Thema der Studie – mit Saba-Nur Cheema (Bildungs­stätte Anne Frank), Andreas Kemper (Pub­lizist und Soz­iologe), Danijel Majic (Frank­furter Rund­schau) und Daniel Mullis (HSFK). Die Ver­anstal­tung be­ginnt um 19 Uhr im Frank­furter Haus am Dom, der Ein­tritt ist frei.

Geschrieben von:

Tom Strohschneider

Journalist

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