Wirtschaft
anders denken.

Der klassische Fall: Rückzieher

06.06.2016
Andrea Nahles im Portrait.Foto: Bernd von Jutrczenka/ dpaWenn es heute nicht klappt, kürze ich euch eben morgen die Bezüge.

Der Vorstoß von Andrea Nahles hatte für viel Aufregung gesorgt: Alleinerziehenden sollten Leistungen für ihre Kinder teilweise gestrichen werden. Nun macht die Arbeitsministerin einen Rückzieher.

Wenn Politikerinnen oder Politiker einen Rückzieher machen, dann ist das nicht der Einsicht geschuldet. Stattdessen stellen sie fest, dass die Kräfteverhältnisse im Moment nicht zu ihren Gunsten sprechen. Und bevor sie sich eine Niederlage einhandeln, ziehen sie ihren Plan zurück. Vorerst. Die Bundesarbeitsministerin Andrea Nahles war auf die geradezu asoziale Idee gekommen, Alleinerziehende, die Hartz-IV-Leistungen beziehen zusätzlich zu bestrafen. Sie hat es »Rechtsvereinfachung« genannt. Das ist ein Euphemismus, der in den meisten Fällen synonym für Rechtsverschärfung steht.

Nahles‘ Idee war, dass es bei Hartz-IV-Leistungen Abzüge für die Zeiten geben soll, in denen sich das Kind oder die Kinder beim jeweils anderen Elternteil befinden. Alleinerziehende hätten also für jeden Tag, den das Kind beim Partner oder bei der Partnerin verbringt, Abzüge gehabt. Das wäre keine Rechtsvereinfachung gewesen, sondern einfach nur eine weitere Sanktion von Menschen mit prekären Einkommen und in einer schwierigen Lebenslage.

Sozialverbände und Opposition haben dagegen protestiert. Und Andrea Nahles hatte auch nicht genau klar machen können, wie sie sich die Durchsetzung einer solchen Perfidie rein praktisch vorstellt. Wer hätte kontrolliert, wann die Kinder wo sind, welche Formulare wären für die dann vielleicht monatliche Neuberechnung der Bezüge auszufüllen gewesen, wie groß wäre der bürokratische Aufwand? Hat sie am Ende nur einen Rückzieher gemacht, weil sich die Aufwand-Nutzen-Rechnung als nicht sonderlich tragfähig erwiesen hätte? Wahrscheinlich klingt das schon.

Das Wort Rückzieher signalisiert, dass es zuvor einen Vorstoß gegeben hat. Und darin liegt die eigentliche Crux. Ein Vorstoß, wie ihn Nahles gemacht hat, ist immer auch ein Austesten. Kriege ich das durch oder nicht? Und er macht eine deutliche Ansage an jene, die von dem Vorstoß betroffen wären: Ich habe Pläne, die euch betreffen und euch noch schlechter stellen werden, als ihr sowieso schon steht. Ich warte auf den richtigen Zeitpunkt, diese Pläne durchzusetzen. Jetzt war der Zeitpunkt nicht richtig. Deshalb mache ich einen Rückzieher. Verwechselt das nicht mit Sinneswandel. Wenn der Wind sich dreht, werde ich es einfach noch mal versuchen. Vielleicht anders verpackt, vielleicht genauso.

Der Rückzieher der Arbeitsministerin ist nur mehr ein Zeichen momentaner Schwäche in einem schwer auszutarierenden Kräfteverhältnis. Vor ihrer möglichen Stärke sollte uns jetzt schon grausen.

Geschrieben von:

Kathrin Gerlof

OXI-Redakteurin

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