Wirtschaft
anders denken.

Der nächste »Wirtschaftsweise«: Gewerkschaften nominieren Achim Truger

30.09.2018
SachverständigenratPeter Bofinger - hier vielleicht nicht ohne Grund "links hinten" platziert

Achim Truger soll der nächste »Wirtschaftsweise« auf dem Ticket der Gewerkschaften werden. Einige Ökonomen machen nun gegen die Nominierung des Berliner Finanzexperten Front. 

Wer Zeitungen liest, könnte den Namen Achim Truger kennen. Der Berliner Ökonom taucht immer wieder in Berichten etwa über den jahrzehntelangen Rückgang staatlicher Investitionen und dem Investitionsstau bei der Infrastruktur auf. Auch mit Blick auf die europäische Ebene, nicht selten wird auf Berechnungen von Truger verwiesen, laut denen die öffentlichen Investitionen in der Eurozone schon 2013 nur noch knapp das deckten, »was zu ersetzen war – seitdem ist die Bilanz negativ, Jahr für Jahr«.

Nun sieht es so aus, als ob sich die Gewerkschaften für Truger als kommenden Vertreter im Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung entschieden haben – der 1969 geborene Prodekan im Fachbereich Wirtschaftswissenschaften an der Hochschule für Wirtschaft und Recht Berlin soll auf Peter Bofinger folgen, dessen dritte Amtszeit bald ausläuft. »Die Gewerkschaften dürfen traditionell ein Mitglied« vorschlagen, so das »Handelsblatt«, das die Meldung als erstes hatte. »Wir kennen Professor Truger als profilierten Fachmann, der seit Langem zu gewerkschaftlichen Themen forscht und als Gutachter tätig ist«, wird dort DGB-Vorstand Stefan Korzell zitiert. Eine Ökonomin war von den Gewerkschaften nicht zu erwarten, die bei der Besetzung des Rates wirkenden Kräfte hatten sich dem Vernehmen nach darauf geeinigt, dass erst die nächste Nominierung durch den Bund auf eine Frau hinausläuft. 

»Vermutlich Ergebnis der Pluralismus-Debatte«

Normalerweise ist die notwendige Zustimmung des Bundeswirtschaftsministeriums eine Formalie, allerdings hat Trugers Nominierung bereits zu harschen Reaktionen »auf der anderen Seite« des ökonomischen Spektrums geführt. Die »Wirtschaftsweise« Isabel Schnabel etwa zog Trugers Expertise in Zweifel: »Die wissenschaftliche Qualifikation muss an oberster Stelle stehen«, twitterte sie, ansonsten könne der Sachverständigenrat »seinem Qualitätsanspruch nicht gerecht werden. Veröffentlichungen in angesehenen internationalen Fachzeitschriften können diese Qualifikation am besten belegen.« Gemeint war offenbar: Truger habe diese nicht vorzuweisen, eine Implikation, die umgehend auf Kritik stieß.

Der Wettbewerbsexperte Justus Haucap meinte sogar mit Blick auf Trugers Nominierung, den Gewerkschaften sei der Sachverständigenrat »offenbar völlig egal«. Der Dortmunder Ökonom Philip Jung nannte die Nominierung sarkastisch »beeindruckend«, und behauptete, die Gewerkschaften würden den Sachverständigenrat als wissenschaftliches Gremium »desavouieren« – Jung twitterte dazu, dies sei »vermutlich Ergebnis der Pluralismus-Debatte« und »Ausdruck der Verachtung des ›Mainstreams‹ in führenden Zeitungen«.

Die Stimmungsmache gegen Truger geht hier ziemlich weit, vor allem, wenn man bedenkt, dass der Sachverständigenrat natürlich auch ein politisiertes Gremium ist – die Entsendung zweiter seiner Mitglieder auf dem Ticket von Unternehmerlager und Gewerkschaften trägt den Kapital-Arbeit-Widerspruch hinein, die immer wieder umstrittene weil eben auch politisch einseitige Regierungsberatung der »Wirtschaftsweisen« hat das in der Vergangenheit mehr als einmal gezeigt. Auch die regelmäßigen Minderheitsvoten von Bofinger zu vielen Aspekten der »Wirtschaftsweisen«-Gutachten zeigen dies. Und wenn gegen Truger nun vorgebracht wird, dieser finde sich nicht ausreichend weit oben in den einschlägigen Zitierrankings und dergleichen, wird so getan, als ob diese Listen selbst völlig frei sind von einer politischen Bias.

Eine Sorge, die man auch hörte, läuft eher auf die Reaktionseffekte hinaus, die mit eben dieser politischen Durchdringung zu tun haben – Motto: linke, ökonomiekritische Positionen werden noch leichter von der anderen Seite zu desavouieren sein, weil man mit der Keule der Unwissenschaftlichkeit kommt.

»Eine hervorragende Wahl«

Es gab aber auch andere Stimmen. Der Ökonom Stephan Schulmeister nannte Trugers möglichen Eintritt in den Rat »sehr zu begrüßen, seine Analysen sind theoretisch und empirisch fundiert, also nützlich«. Ähnlich äußerte sich der Leiter der österreichischen Arbeiterkammer, Markus Marterbauer. Die Nominierung Trugers sei eine »exzellente Entscheidung«.

Der gewerkschaftsnahe Ökonom Andrew Watt, am Institut für Makroökonomie und Konjunkturforschung der Böckler-Stiftung ehemaliger Kollege von Truger, erinnerte zwar daran, dass es nicht eben einfach sei, in die Fußstapfen von Bofinger zu treten – Truger sei aber als Experte für öffentliche Finanzen und als Europakenner »eine hervorragende Wahl« für den Sachverständigenrat.

Truger selbst sagte dem »Handelsblatt«, er sei optimistisch, dass sich die Sondervoten zu den Gutachten reduzieren ließen – wenn der Rat mehr »verschiedene Annahmen zugrunde legt und ein Spektrum an wirtschaftspolitischen Schlussfolgerungen aufzeigt«. Er »fände es gut, wenn sich in den Schlussfolgerungen das große Spektrum der in der Volkswirtschaftslehre vertretenen Ansätze widerspiegeln würde«. Kurzum: Mehr ökonomischer Pluralismus im Fundament der Gutachten. Truger unterstrich dort auch, dass das Sachverständigenratsgesetz ausdrücklich feststelle, die »Weisen« sollten keine konkreten Politikvorschläge machen.

»Eigengewächs der Gewerkschaftsszene«

Truger, der SPD-Mitglied ist, hat von 1988 bis 1992 in Köln Volkswirtschaftslehre studiert, dann als wissenschaftlicher Mitarbeiter am Finanzwissenschaftlichen Forschungsinstitut gearbeitet, promoviert und schließlich die Leitung der Referate »Steuer- und Finanzpolitik« im gewerkschaftsnahen WSI sowie die des gleichnamigen Referats im Institut für Makroökonomie und Konjunkturforschung, wo er seit 2014 Senior Research Fellow ist, übernommen. Seit 2012 hat Truger eine Professor für Volkswirtschaftslehre an der Hochschule für Wirtschaft und Recht in Berlin inne.

Er ist durch Gutachten zu finanzpolitischen Fragen in die Öffentlichkeit getreten und Autor des kritischen Projektes steuermythen.de, das unter anderem gegen die Ideologie der »Schwarzen Null« anschreibt und für eine progressive Umverteilungspolitik eintritt. Zudem ist Truger im wissenschaftlichen Beirat von Attac engagiert. Zuletzt war der Ökonom unter anderem Mitautor eines Papiers, in dem »die kontraproduktive Wirkung der Schuldenbremse« kritisiert und »am Beispiel des Berliner Schulbaus die Vor- und Nachteile einer Kreditfinanzierung außerhalb des Kernhaushalts im Rahmen von Öffentlich-Öffentlichen-Partnerschaften (ÖÖP)« vorgestellt wurden.

Trugers Nominierung ist eine so große Überraschung nicht, gerade auch weil er als »Eigengewächs der Gewerkschaftsszene« gilt. Richtig ist allerdings auch, dass andere Namen ebenfalls im Vorfeld nicht nur genannt, sondern auch mit einigen Hoffnungen verbunden waren. Er glaube, twitterte der Ökonom Rudi Bachmann, »die Gewerkschaften machen einen schweren Fehler, wenn sie auf das wissenschaftliche Renommee und die außenwirtschaftliche Gravitas von Jens Südekum im Sachverständigenrat verzichten«.

Der Düsseldorfer Ökonom hat sich unter anderem mit Beiträgen zu den Folgen der Digitalisierung und den regionalen Auswirkungen von Globalisierungsprozessen einen sehr guten Namen gemacht. Südekum ist nicht zuletzt ein ebenso engagierter wie humorvoller Twitterer – das kann man von Truger bisher nicht sagen: Sein Account liegt bisher brach.

Geschrieben von:

OXI Redaktion

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