Der neoliberale Strohfeuer-Staat?
Rücksichtslos sparen, kaum investieren, Unternehmen und Markt fördern, Reiche schützen – diese rein angebotsorientierte Politik dominiert in Deutschland seit Jahrzehnten. Obwohl sie von der Praxis längst widerlegt ist. Eine der Thesen der Neoliberalen: Wenn der Staat Schulden aufnimmt, um zu investieren, dann wirft er Geld zum Fenster hinaus. Teil 2 der OXI-Serie zu den großen Irrtümern des Neoliberalismus.
Wenn der Staat Schulden aufnimmt, um damit Konjunktur- und Investitionsprogramme zu finanzieren, die Arbeitsplätze schaffen und Wachstum fördern, dann ist das weitgehend ohne Wirkung und nur ein Strohfeuer. Seit Jahrzehnten behaupten das die Anhänger des Neoliberalismus. Die Wirtschaftspolitik in den 1970er Jahren unter den SPD-Regierungen von Willy Brandt und Helmut Schmidt und zuvor der Großen Koalition unter Bundeskanzler Kurt Georg Kiesinger hat in der Tat dieser Kritik Vorschub geleistet. So wurden von 1967 bis 1982 insgesamt 36 Mini-Konjunkturprogramme auf den Weg gebracht, deren Wirkung nicht nachhaltig war. Platt gesagt: Keiner weiß, was das ausgegebene Geld tatsächlich bewirkte. Anders war das jedoch mit dem Zukunftsinvestitionsprogramm (ZIP) vom Frühjahr 1977: Verteilt auf vier Jahre wurden damals etwa 16 Milliarden Mark in öffentliche Verkehrssysteme, die Energieversorgung, die Wasserwirtschaft und die Berufsbildung investiert. Nach unumstrittenen Berechnungen des Rheinisch-Westfälischen Instituts für Wirtschaftsforschung (RWI) und des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW) wurden damit direkt und indirekt weit über 200.000 Arbeitsplätze neu geschaffen. Und: Die Milliarden wurden nicht einfach ausgegeben, um Arbeitsplätze zu schaffen, die öffentliche Infrastruktur wurde mit dem Geld modernisiert und ausgebaut.
Auch die beiden Konjunkturpakete aus den Jahren 2008 und 2009 gelten als erfolgreich; die Regierung Merkel versuchte mit ihnen, die Folgen der Finanzmarktkrise abzumildern. Der Sachverständigenrat bilanzierte in seinem Jahresgutachten 2009/10, dass »die Konjunkturprogramme die gesamtwirtschaftliche Nachfrage stabilisiert und einen noch stärkeren Einbruch des Bruttoinlandsprodukts verhindert (haben). Ohne sie wäre alles noch schlimmer gekommen.« Hans-Werner Sinn, damals noch Leiter des wirtschaftsnahen ifo-Instituts, München, und bekennender Ordoliberaler, bezeichnete die Konjunkturprogramme als wohldimensioniert. Sie seien »ein echter Gewinn für die Gesellschaft« gewesen und nicht etwa nur »eine Umverteilung aus der einen in die andere Tasche.« Sinn schloss sich damals auch der Argumentation der Keynesianer an, wonach in einer derartigen Krise die Wohlhabenden stärker besteuert werden müssten, um mit diesem Geld öffentliche Investitionen zu finanzieren und so die gesamtwirtschaftliche Nachfrage zu erhöhen. Umweltverbände kritisierten damals, dass erhebliche Mittel zur Verfügung gestellt wurden, um den Neukauf von Autos zu fördern. Eine Idee des damaligen Wirtschaftsministers, gezielt in großem Umfang energiesparende Haushaltsgeräte für weniger wohlhabende bis arme Haushalte großzügig zu finanzieren, war mehrheitlich abgelehnt worden. Es ist also Unsinn, Investitions- und Konjunkturprogramme des Staates per se abzulehnen. Wichtig ist jedoch, genau zu überlegen, was mit den Milliarden des Steuerzahlers finanziert wird.
Im ersten Teil der Serie zu den verhängnisvollen Irrtümern des Neoliberalismus schrieb Hermann Adam über die unglaubliche Hartnäckigkeit der neoliberalen Gedankenwelt.
Der Text basiert auf dem Artikel »Von der Inflationsphobie bis zur »schwarzen Null« von Hermann Adam, der jüngst im wirtschaftsdienst, Ausgabe 7/2016 erschien.
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