Wirtschaft
anders denken.

Ungleich verteilter Kuchen, die ganze Bäckerei: Kapitalismuskritik und der Linksparteitag

09.06.2018
Stefan Bellini / CC0Bei einer Blockupy-Demonstration im November 2014

Gibt es abseits von medial aufgeblasenem Personen-Showdown und der Debatte um die Migration derzeit eigentlich noch andere Themen bei der Linkspartei? Eine Lektüre der Antragshefte des Leipziger Delegiertentreffens unter besonderer Berücksichtigung von Wirtschaftspolitik und Kapitalismuskritik.

Parteitage sind Veranstaltungen mit vielen Gesichtern – hier gemeint ist: Die Delegiertentreffen sind einerseits Souverän der Entscheidungsfindung in Organisationen, sie sind Hochämter innerparteilicher Demokratie, sie sind Orte politischer Selbstvergewisserung. Andererseits sind Parteitage Bilderproduktionen, es sollen Botschaften ausgesandt werden, es geht darum, in die mediale Öffentlichkeit hinein zu senden, auf dass sich das in Wählerstimmen und Neumitgliedern auszahlt.

Beim Leipziger Linksparteitag wird sich mancher mehr für das Erstere interessieren, für die Begrenzung der Promi-Redezeit, mit der man symbolische Augenhöhe zwischen der »ersten Reihe« und den »einfachen Mitgliedern« erreichen will; auch die Bedeutung von Satzungsdebatten steht dafür – doch nach Außen spielt der zweite Punkt eine größere Rolle: die Botschaften. Die wiederum sind sowohl Ergebnis als auch Einflussfaktor der Schlagzeilen, die so ein Parteitag macht: »Die Grenzen der Linken«, liest man da zum Beispiel; weil sich um die Frage der Migration aktuell auch die Widersprüche im Selbstverständnis der Linken gruppieren. Oder: »Kräftemessen mit Kipping und Wagenknecht«, weil die Personalisierung von Konflikten um Inhalte, Selbstverständnis und Ressourcen inzwischen vieles überlagert.

Davon ist auch ein großer Teil des Antragsgeschehens betroffen, was sich nicht um »offene Grenzen« dreht, ganz egal wie die Frage dann jeweils beantwortet oder zurückgewiesen wird, hat geringere Chancen auf Beachtung. Dabei lässt sich aus dem Konvolut der Vorschläge und Forderungen meist recht gut ein Diskussionsstand ablesen, etwa der beim Thema Wirtschaftspolitik. Was steht das in der Linkspartei gerade auf der Agenda?

Fragen der Ökonomie, der Analyse aktueller Entwicklungstendenzen im Kapitalismus und der daraus zu ziehenden politischen Schlüsse ziehen sich natürlich durch viele Anträge, allerdings meist in eher demonstrativer Darreichungsform, weniger als Analyse denn als parteipolitisch aufmunitionierter Kritik: Im Leitantrag ist von »Unsicherheit und Hoffnungslosigkeit« die Rede, »die durch neoliberale Politik der Enteignung und Entrechtung vieler Menschen entstanden sind«, die Linkspartei habe »gemeinsame Gegner: die Superreichen und Konzerneigentümer und ihre machtvollen Verbündeten«, die »Rekordgewinne der deutschen Wirtschaft« stehen sozusagen als das ungerechte Gegenüber sozialer Alltagserfahrungen, Ungleichheit bei den Einkommen und eingeschränkter öffentlicher Handlungsspielräume.

»Tatsächlich werden an keiner Stelle die Voraussetzungen des neoliberalen Kapitalismus verschoben«, liest man in dem Leitantrag mit Blick auf SPD und Koalitionsvertrag – gemeint sind hier dann Konzerninteressen, das exportnationalistische Modell, die »gewaltigen Exportüberschüsse«, kapitalistische Konkurrenz im Allgemeinen und Austeritätsdenken im Besonderen. Von der »Unmenschlichkeit der kapitalistischen Logik« ist die Rede, »die Profite für wenige an die erste Stelle setzt«, und vom Anspruch der Linkspartei, »nicht nur um ein Stück vom Kuchen« anzustreben, sondern »die ganze Bäckerei«.

Welche Brötchen es in der geben würde und wer sie herstellt, wer sie verkauft, an wen und zu welchem Preis, das ist einerseits nicht das Thema des Leitantrags, andererseits ist es eine offenkundige Leerstelle: kurze Vollzeit, neues Normalarbeitsverhältnis, öffentliche Dienstleistungen, die nicht länger marktförmig angeboten werden, kostenfreier Zugang zu ihnen, unter anderem zum Nahverkehr, sowie »öffentliches oder genossenschaftliches, gemeinnütziges Eigentum« und eine demokratisierte Wirtschaft weisen zwar eine grobe Richtung, mehr aber erst einmal auch nicht. Das Ziel ist gewissermaßen gar keines, es dient vor allem der Untermalung der Kritik der aktuell herrschenden Zustände: Seht her, es ginge auch anders.

Dahinter gehen die Fragen los, auch die Kontroversen. In einem Antrag des Forums demokratischer Sozialismus heißt es zum Beispiel: »Was ist unsere Antwort auf die Unregulierbarkeit internationaler Kommunikations- und Informationsplattformen, auf die Beeinflussung ganzer Diskurse durch Computerprogramme und die kommerzielle und entmündigende Verwertung unser intimsten Daten? Was ist unsere Antwort auf die kommende Roboterisierung ganzer Produktions- und anderer Arbeitsfelder (bspw. auch der Einsatz in der Pflege)? Und welchen Arbeitsbegriff setzen wir den veränderten Bedingungen entgegen?« Von hier ist der Weg zu Kontroversen wie die um das Bedingungslose Grundeinkommen oder sozialpolitischen Forderungen nicht weit.

Der zitierte Antrag, hier nur stellvertretend genannt, sieht die Notwendigkeit einer Programmdebatte, eine Kommission solle »prüfen, an welchen Stellen es Veränderungsbedarf am Parteiprogramm gibt und ob eine Überarbeitung oder Neuerarbeitung eines Programms die angemessene Reaktion wäre«. Die Kommunistische Plattform hat dies aus zwei Gründen zurückgewiesen, einer davon ist durchaus bedenkenswert: »Vor der Schlussfolgerung muss die Analyse erfolgen.« Dies auch, weil, wie es schon an anderer Stelle formuliert wurde, das aktuelle Linkspartei-Programm »in der Analyse der politisch-ökonomischen Lage … mehr von einem Blick auf die Zeit vor der Finanzkrise geprägt (ist) als von einem auf deren politische und ökonomische Folgen. Wichtige Fragen, vor allem solche, die sich mit der beschleunigten technologischen und räumlichen Veränderungen innerhalb der kapitalistischen Produktionsweise befassen, sind allenfalls angetippt worden.«

Die Sache mit dem Richtungswechsel

Zurück zum Leitantrag, der »einen grundlegenden Richtungswechsel, einen ganz neuen Weg« vorzeichnen möchte: »Wir streiten für einen demokratischen Sozialismus, in der der Bedarf von Menschen und Natur und nicht von Konkurrenz und Profit Triebfeder der Entwicklung ist«. Auf dem Weg dahin will man sich aktuell »sechs Kampffelder« vornehmen, das geht bei der Lohnarbeit los, bei der man »eine 30-Stunden-Woche auf die Agenda setzen« will, und zwar »mit vollem Lohn- und notwendigem Personalausgleich«.

Weiter geht es um soziale Sicherung, Friedenspolitik, und öffentliche Daseinsvorsorge, vor allem die Mietenfrage, zu der es heißt: »Mit Wohnungen darf nicht an der Börse gehandelt werden.« Die wirtschaftspolitische Perspektive zielt auf einen »sozial gerechten ökologischen Umbau der Wirtschaft und einen wirksamen Klimaschutz. Investitionen in Bildung, Erziehung Gesundheit, Infrastruktur und Digitalisierung verbessern den Alltag und schaffen Arbeitsplätze. Statt auf Exportüberschüsse setzen wir darauf, den Binnenmarkt zu stärken und das Leben der Menschen zu verbessern: durch höhere Löhne, bessere Arbeitsbedingungen, mehr und bessere Arbeitsplätze, mehr öffentliche Investitionen und mehr Sozialleistungen.«

Das ist soweit gesehen keine Überraschung: Orientierung auf Binnennachfrage, Umverteilung, öffentliche Steuerung von Teilen der Produktion. Präzisiert werden einige dieser Punkte in weiteren Anträgen, darunter einem zum »Recht auf gute Arbeit und gutes Leben«, der die Linkspartei dazu auffordern will, sie solle »attraktive und überzeugende Wege aufzeigen, wie die positiven Möglichkeiten« der aktuellen kapitalistischen Dynamik, »genutzt und verwirklicht und die Probleme und Risiken unter Kontrolle gebracht und gebannt werden können« – sowohl was die Verteilung der gesellschaftlichen Reichtumsproduktion angeht als auch die Widersprüche der Digitalisierung, von einer »konsequenten Umbaupolitik« hin zu regenerativen Energien und Stoffkreisläufe als auch globaler Gerechtigkeit.

Die Frage, wie das geht und welchen Weg man dabei einschlägt, welche Bündnispartner man hat und welche Widersprüche bearbeitet werden müssen, wird dann allerdings nicht weiter verfolgt, man weicht eher auf Parolen aus. »Wirtschaft und Lebensweise müssen ökologisch und zugleich sozial gerecht umgebaut werden.« Oder: »Die Wirtschaft« müsse »in den Dienst der Menschen gestellt werden. Die Vorherrschaft des Profits über das Leben und die Bedürfnisse der Menschen muss überwunden werden.« Oder, Ausrufungszeichen sind immer gut: »Wir müssen den Kapitalismus, die Vorherrschaft der Kapitalbesitzer und ihrer Interessen, angreifen und überwinden!«

Konzepte für eine alternative Wirtschaftsordnung?

Aber was heißt das denn? Zwei Anträge betreten immerhin vorsichtig das Feld der dazu nötigen Überlegungen. Einer will »Die Wirtschaft der Zukunft denken« und fordert die Linkspartei auf, »sich den Ideen der Gemeinwohl-Ökonomie« zu stellen. Unter dieser Überschrift würden »zahlreiche Konzepte für eine alternative Wirtschaftsordnung diskutiert«. Dies sei eine »Herausforderung«: Eine »Wirtschaftsordnung jenseits des Kapitalismus« sei auch oder »jedoch als Marktwirtschaft zu denken, zu beschreiben und konkrete Umsetzungsvorschläge in die gesellschaftliche Debatte einzubringen.« Und weiter: »Dabei sind die  Vorstellungen dieser Bewegung für die neuen Regeln für einen genau zu definierenden Markt so grundstürzend, dass sie ohne zu übertreiben revolutionär genannt werden können.«

Ein weiteres Begehren aus der Basis der Linkspartei nennt »Solidarisch leben und wirtschaften – sozial-ökologischen Umbau vorantreiben« als Ziel, hier ist die ökologische Komponente mehr im Blick. »Die bürgerliche Gesellschaft mit ihrer kapitalistischen Wirtschaftsweise bringt große Teile der Weltbevölkerung um ein menschenwürdiges Leben«, heißt es da. (Eine kleine kritische Anmerkung zur Verwendung des Begriffs »bürgerlich« in der Linkspartei findet sich hier.) Die Linkspartei habe »der herrschenden Wirtschafts- und Gesellschaftspolitik den Kampf angesagt«, liest man dann weiter. Sie möge ihr »Ringen um solidarisches Wirtschaften und somit um einen gerechten sozial-ökologischen Umbau« intensivieren.

Radikales Reden über radikales Umsteuern

Wie? Nun, erstmal drüber reden: Der Antrag fordert, »lokale und regionale Foren zum sozial-ökologischen Umbau und so zum solidarischen Wirtschaften zu organisieren«, zudem soll eine Arbeitsgruppe bei der Parteispitze eingerichtet werden, 2019 soll sich ein thematischer Parteitag mit der Frage des »solidarischen Wirtschaftens« und des sozial-ökologischen Umbaus befassen. Jedenfalls sieht der Antrag Dringlichkeit: »Nur ein radikales Umsteuern der politischen und gesellschaftlichen Entwicklung wird ein menschenwürdiges Leben für jede und jeden und damit soziale und ökologische Gerechtigkeit weltweit ermöglichen.«

Hier taucht ein Dilemma auf, das Hans-Jürgen Urban den Gewerkschaften unlängst ins Stammbuch schrieb, das für die Linkspartei (und andere linke Kräfte) aber nicht minder gilt: »Die Interessen von Kapital und Arbeit materialisieren sich in der kapitalistischen Eigentums- und Aneignungsordnung. Diese Struktur stellt eine Dynamik auf Dauer, die den Reproduktionsinteressen der Arbeit (sowie der Gesellschaft und Natur) entgegensteht und erzielte Erfolge stets zum Gegenstand neuer Kämpfe werden lässt. Sollen die Ideen von sozialer Gerechtigkeit, gesellschaftlicher Solidarität und Humanität nicht an dieser Struktur zerschellen, muss sie selbst früher oder später zum Objekt normativ orientierter Transformationen werden.«

Bernd Riexinger hat in seiner Rede am Freitagabend Karl Marx zitiert. Es gehe darum, »alle Verhältnisse umzuwerfen, in denen der Mensch ein erniedrigtes, ein geknechtetes, ein verlassenes, ein verächtliches Wesen ist«. Das ist, sagte Riexinger, »was wir tun müssen«. Als Grundidee, Werteordnung, Richtschnur linken Agierens ist der Kategorische Imperativ des Alten aus Trier noch immer eine der besten Formulierungen.

Nun kommt das Aber: Der »stumme Zwang« der ökonomischen Verhältnisse lässt sich nicht mit Worten oder der Besetzung des nächstgelegenen Hauptpostamtes überwinden, auch nicht mit Parteitagsanträgen. Eine Debatte über die Frage, welche Schritte der Transformation sinnvoll sind und welche nicht, ist aber notwendig, will man die Lücke zwischen den konkreten Forderungen, wie sie keineswegs nur im »Gute Arbeit«-Antrag aufgelistet sind, und den (fehlenden, noch zu schaffenden) Bedingungen ihrer Realisierbarkeit schließen. Es könnte dabei auch sinnvoll sein, sich noch viel selbstkritischer mit den möglichen ökonomischen Folgen der eigenen Pläne, auch den womöglich nichtintendierten, zu befassen. Diese treten nämlich auch ein.

Foto: Bei einer Blockupy-Demo 2014 / Stefan Bellini / CC0

Geschrieben von:

Tom Strohschneider

Journalist

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