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Der Weiter-so-Kandidat

21.04.2017
Der Kandidat Emmanuel Macron bei einer WahlkampfveranstaltungFoto: Ville de Nevers / flickr CC BY-NC-SA 2.0 Vorwärts mit den Rezepten von gestern – das scheint Emmanuel Macrons Motto zu sein.

Der französische Präsidentschaftskandidat Emmanuel Macron nennt seine Partei En Marche! (»Vorwärts!«). Seine politischen Vorschläge entspringen eher dem Baukasten der Dritte-Weg-Sozialdemokraten Gerhard Schröder und Tony Blair.

In den letzten Tagen sorgte der französischen Präsidentschaftskandidat Emmanuel Macron für Aufsehen in Deutschland. Macron, der auch französischer Wirtschaftsminister war und jetzt mit der von ihm gegründeten Partei En Marche! zur Wahl antritt, sprach sich im Interview mit der Funke Mediengruppe und der der bretonischen Zeitung Ouest-France für einen Abbau der Handelsüberschüsse Deutschlands aus. Er betonte, dass diese Handelspolitik der Eurozone starken Schaden zufüge. Außerdem wies Macron den Vorwurf zurück, dass er das deutsche Hartz-IV-System auf Frankreich übertragen wolle. Vielmehr sei seine Vorstellung einer Reform der Arbeitslosenversicherung eine Qualifizierungsoffensive. Ist Emmanuel Macron also eine eher gute Wahl für die Französinnen und Franzosen, wie der Ökonom Heiner Flassbeck Anfang März in einem Blogbeitrag vermutete?

Wer einen Blick in Macrons Wahlprogramm wirft, wird einige Parallelen zur Agenda 2010 entdecken.

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Macrons Kritik an den deutschen Handelsüberschüssen ist nicht neu. Schon als Wirtschaftsminister unter François Hollande (Sozialistische Partei) hatte er auf die hohen Exportüberschüsse Deutschlands und ihre problematischen Folgen für Frankreich und die Eurozone hingewiesen. In einem gemeinsamen Bericht empfahlen die Wirtschaftswissenschaftler Henrik Enderlein und Jean Pisani-Ferry Ende 2014 Sigmar Gabriel (SPD) und Emmanuel Macron, den damaligen Wirtschaftsministern Deutschlands und Frankreichs, unter anderem den Abbau der deutschen Überschüsse. Doch hatte diese Empfehlung keine Folgen – zumindest für Deutschland nicht, das seinen Exportüberschuss im Jahr 2015 weiter steigerte. Im Gegensatz zu Deutschland hielt Frankreich sich an die Vorschläge, »strukturelle Reformen im Bereich der Arbeitsmarktpolitik« anzustoßen und setzte gegen den Widerstand des Parlaments und gegen Proteste der Gewerkschaften zwei fundamentale Arbeitsmarktreformen um. Sowohl das sogenannte »Loi Macron« (Gesetz Macron) wie auch das umstrittene »Loi El Khomri«, benannt nach der französischen Arbeitsministerin Myriam El Khomri (Sozialisten), aus dem Sommer 2016 waren auf Initiative des französischen Wirtschaftsministeriums durchgesetzt worden. Die Empfehlung an Deutschland, die Exportüberschüsse zu reduzieren, diente Emmanuel Macron als Schützenhilfe, seine eigenen Reformvorhaben umzusetzen.

In diesem Sinne sind auch die aktuellen Äußerungen Macrons zu verstehen. Denn im eingangs erwähnten Interview sagt der französische Politiker auch folgendes: »Solange wir strukturelle Reformen hinauszögern, können wir nicht auf das Vertrauen der Deutschen setzen.« Macron nutzt die Kritik an den deutschen Exportüberschüssen nicht, um Druck auf Deutschland und die deutsche Exportpolitik auszuüben, sondern um die eigene Reformagenda zu begründen.

Macrons Agenda 2010

Und die hat es in sich. Wer einen Blick in das etwa 300 Seiten lange Wahlprogramm wirft, wird einige Parallelen zur deutschen Agenda 2010 entdecken. So plant Emmanuel Macron einen erneuten Abbau von Arbeitsmarktregulierungen und das weitere Schleifen von Arbeitnehmerrechten. Das umstrittene Arbeitsmarktgesetz aus dem Sommer 2016 soll erweitert werden, Unternehmensvereinbarungen sollen in allen Bereichen Vorrang vor Branchentarifvereinbarungen erhalten. Damit werden die Gewerkschaften weiter geschwächt, ihre Verhandlungsmacht wird ausgehöhlt. Zugleich sollen Steuern und Abgaben für Unternehmen radikal gesenkt und – durch den Wegfall von Sozialausgaben für MindestlöhnerInnen – ein dritter Arbeitsmarkt im Niedriglohnbereich ermöglicht werden. Eine Rentenreform soll die verschiedenen Rentensysteme angleichen und branchenspezifische Privilegien (etwa für KrankenpflegerInnen oder Bergbauarbeiter) abschaffen. Dadurch würde das Rentenniveau für viele Berufe deutlich sinken.

Das Wahlprogramm Macrons entspricht in seiner Terminologie und seinem Aufbau ganz der Sozialdemokratie des Dritten Weges. Ähnlich wie Tony Blair (Labour Party) und Gerhard Schröder (SPD) Ende der 1990er-Jahre versteht auch Emmanuel Macron unter Gleichheit in erster Linie Chancengleichheit im Bildungswesen und auf dem Arbeitsmarkt. Ebenso wie die beiden Sozialdemokraten fordert Macron, soziale Rechte an Verpflichtungen zu knüpfen. Sein größtes Projekt soll daher die Reform der Arbeitslosenversicherung werden. Die Reform der Arbeitslosenversicherung soll in erster Linie eine stärkere »Aktivierung von Arbeitssuchenden« bewirken. LeistungsbezieherInnen sollen von den Arbeitsämtern stärker kontrolliert und überwacht, »Aktivierungs- und Sanktionselemente« in der Arbeitslosenversicherung verstärkt und ausgebaut werden. Bei zwei abgelehnten Arbeitsangeboten oder »mangelnder Intensität der Jobsuche« etwa sollen die Arbeitsämter die Arbeitslosenunterstützung streichen können – so die Pläne des Kandidaten, der hierzulande als demokratischer Hoffnungsträger präsentiert wird.

Ein Kandidat des Weiter so

Schon als Wirtschaftsminister plante Macron eine solche Reform der Arbeitslosenversicherung, doch gingen seine Pläne Staatspräsident François Hollande zu weit. Wenn Emmanuel Macron nun im Interview sagt, dass er nicht der »deutschen Logik in der Arbeitslosenversicherung« folgen will, so muss man das wohl als Wahlkampfrhetorik verbuchen. Der Aufstieg des Linkskandidaten Jean-Luc Mélenchon in den Umfragen wird auch für Emmanuel Macron zunehmend zu Bedrohung: Immer mehr SozialdemokratInnen wechseln in das Lager von Mélenchon. Daher liegt es für Macron nahe, auch mal links zu blinken und die geplanten Sozialkürzungen in seinem Programm zu relativieren.

Sollte Emmanuel Macron am 7. Mai zum Staatspräsidenten Frankreichs gewählt werden, wird er eine Politik ganz im Sinne der großen französischen Konzerne verfolgen. Er wird die Politik von François Hollande radikalisieren und so die Spaltungslinien in der französischen Gesellschaft weiter vertiefen. Emmanuel Macron steht für ein Weiter so – mit einer Politik, wie sie in Frankreich seit 20 Jahren verfolgt wird und deren Folgen Deindustrialisierung, mehr Arbeitslosigkeit und der Aufstieg der extremen Rechten sind.

 

Von Felix Syrovatka erschienen kürzlich die Studien »Die Reformpolitik Frankreichs in der Krise« und »Die Rückkehr der Modernisten. Der untypische Präsidentschaftskandidat Emmanuel Macron und seine Bewegung ›En Marche!‹«. Auf oxiblog.de schrieb er im Dezember 2016 über die französischen PräsidentschaftskandidatInnen.

Geschrieben von:

Felix Syrovatka

Politikwissenschaftler

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