»Deutsche Arroganz«: Scholz’ Hilfsfonds für nationale Arbeitslosenversicherungen -ein OXI-Überblick
Das Bundesfinanzministerium denkt über einen europäischen Hilfsfonds für Arbeitslosenversicherungen nach. Manche Reaktionen auf die Pläne zeugen von »deutscher Arroganz und Ignoranz«. Selbst ein kleiner Schritt zur transnationalen Solidarität wird als sozialistischer Unfug verunglimpft. Springen die Sozialdemokraten auch diesmal über den krummen Stock?
Was bisher geplant ist, schreibt das »Handelsblatt« ausführlich auf: Es geht um eine »europaweite Rückversicherung für nationale Arbeitslosenversicherungen«, die Idee ist im Sommer erstmals ausgesprochen worden, nun gibt es ein paar konkretere Details in einem Non-Paper des Finanzministeriums: »So soll aus Beiträgen von Mitgliedstaaten ein Topf aufgebaut werden, der nationalen Arbeitslosenversicherungen in Krisenzeiten mit Krediten aushilft«, sofern diese aufgrund hoher Ausgaben wegen starken Erwerbslosigkeit unter Druck geraten. Die Kredite aus dem »European Unemployment Stabilization Fund« (EUSF) sollen binnen fünf Jahren zurückgezahlt werden. Es gehe darum, eine Abwärtsspirale zu »verhindern, in der ein Land durch hohe Defizite in der Arbeitslosenversicherung in die Pleite rutscht«.
Natürlich liest man in dem internen Papier auch Floskeln wie die von der »Solidarität zwischen den Mitgliedstaaten« die so gestärkt werden könne. Der Schritt weist in der Tat in diese Richtung, es ist aber eher eine nachholende Solidarität – sofern die Ursachen für die starken ökonomischen Asymmetrien in Europa nicht ebenfalls »solidarisch« angegangen werden. Wenn man die Töne aus Brüssel in Sachen italienischer Haushalt hört, kann man daran jedenfalls zweifeln, hier wird offenbar erneut versucht, mit dem Benzin der Austerität ein Feuer zu löschen.
Zurück zu Olaf Scholz und seinem Vorstoß. In der Bundesregierung wird der Plan von Unionsseite offenbar abgelehnt. Die »Bild«-Zeitung: »Kanzleramt und Wirtschaftsminister ließen Scholz abblitzen. Der Geldtopf sei ›kontraproduktiv‹: Nötige Reformen in Südeuropa würden gebremst.« Das ist der übliche Ton, nicht gesagt wird, was das für Reformen sind und wie ähnliche Umbauten in anderen Staaten gewirkt haben – nicht zuletzt stiegen die Erwerbslosenzahlen, die Wirtschaft konnte die Wachstumsschwäche aufgrund von Sparideologien nicht überwinden. Auch in nord- und osteuropäischen Euro-Staaten sei bisher skeptisch auf die Idee reagiert worden. Der konservative Fraktionschef im Europaparlament Manfred Weber beschied auch schon: »Europa braucht keine neuen Umverteilungssysteme.«
Um wie viel Geld geht es eigentlich? »Der Internationale Währungsfonds hatte bei einem ähnlichen Vorschlag einen Beitrag pro EU-Staat von 0,35 Prozent der Wirtschaftsleistung vorgesehen. Deutschland müsste somit 11,4 Milliarden Euro im Jahr einzahlen«, so das »Handelsblatt«. Die »Bild«-Zeitung nennt es deshalb einen »teuren Scholz-Plan«, wobei auch hier natürlich kein Vergleich gezogen wird, aus dem man etwa hätte erfahren können, wie sehr Teile der deutschen Wirtschaft von der bisherigen Asymmetrie in der EU profitieren, wie viel Steuern deshalb in den Bundeshaushalt fließen und vor allem: Wie teuer es werden könnte, wenn die Hilfskonstruktion ausbleibt und eine nächste Krise kommt.
Kann sein, dass die Sozialdemokraten mit den Plänen die Hoffnung verbinden, bei der Europawahl im kommenden Jahr zu punkten. Auch deshalb ist wohl der Begriff der »europäischen Arbeitslosenversicherung« im Umlauf; die ursprüngliche, gemeinsam mit dem Pariser Finanzminister Bruno Le Maire im Juni vorgelegte Idee hieß noch »Europäischer Fonds zur Stabilisierung nationaler Arbeitslosenversicherungen«. Das klingt schon anders. Und es lässt auch eher erahnen, dass mit so einer Konstruktion wiederum Hebel verbunden sein könnten: »Eine Entscheidung über die Auszahlung von Hilfen könnten die EU-Mitgliedstaaten treffen, nachdem die EU-Kommission eine entsprechende Empfehlung abgegeben habe«, schreibt das »Handelsblatt«. Und man erinnert sich an frühere »Empfehlungen«, Reformauflagen, mit denen dann eine bestimmte Richtung der Wirtschaftspolitik, sozialstaatlicher Rückbau und andere Bedingungen verknüpft waren. Stichwort Griechenland.
Was sagen Experten? Andreas Peichl vom Münchener Ifo-Institut wird mit den Worten zitiert, der Plan sei »grundsätzlich sinnvoll«, weil sich mit dem Fonds »eine Krise eindämmen und finanzielle Engpässe von Ländern in Krisenzeiten vermeiden« lassen. Zwar seien schwierige Detailfragen mit der Idee verbunden, aber in ihr liege auch ein »wichtiges Symbol der Solidarität für das europäische Projekt«. Interessant sind ifo-Berechnungen, über die das »Handelsblatt« berichtet: »Hätte es schon früher solch einen Topf gegeben, hätte die Bundesrepublik zwischen 2000 und 2013 zwar insgesamt mehr Geld eingezahlt als rausbekommen. Anfang der 2000er-Jahre aber wäre Deutschland Empfängerland gewesen und Spanien Zahlerland.«
Eine Frage der Solidarität in einer Staatenunion
In Kommentaren wird die EUSF-Idee unterschiedlich bewertet. Man solle sie »nicht vorschnell verteufeln. Gut gemacht führt die nicht direkt weiter in die Transferunion, bei der Deutschland und andere für die Fehler der anderen zahlen. Richtig gestaltet sorgt eine europäische Arbeitslosenversicherung wie jede Versicherung dafür, dass Risiken geteilt werden. Eingreifen darf sie dann aber nur, wenn der Anstieg der Erwerbslosigkeit nicht selbst verschuldet ist, sondern auf Störfaktoren von außen beruht«, heißt es etwa in der »Nordwest-Zeitung«, wobei man sich fragen darf, wer nach welchen Kriterien entscheidet, was selbst verschuldete Arbeitslosigkeit ist. Das gleiche Blatt titelt zu dem Thema an anderer Stelle übrigens mit »Kommt die Stütze künftig aus Brüssel?«, was nicht viel mit der EUSF-Idee zu tun hat, dafür aber offenbar bei Anti-EU-Vorbehalten anknüpfen will.
Im »nd« wird der Vorstoß begrüßt, »die Idee einer EU-weit finanzierten Arbeitslosenversicherung, die in Notfällen die zusätzlichen Kosten übernimmt, ist daher wirtschaftlich betrachtet sinnvoll. Vor allem aber ist es eine Frage der Solidarität in einer Staatenunion, dass den Schwachen wenigstens ein bisschen unter die Arme gegriffen wird«, heißt es da.
In der »Frankfurter Allgemeinen« sieht man die Sache anders und singt noch einmal das Lied von dem Reformdruck (es geht natürlich um eine ganz bestimmte Richtung), den Länder angeblich brauchen – und der mit der EUSF-Idee zurückgehen würde: »Das Konzept wird nicht funktionieren: Wenn Hilfen von außen absehbar sind, sinkt im Land der Druck, eigene Vorsorge zu treffen und den nationalen Arbeitsmarkt so zu organisieren, dass man selbst eine Krise bewältigen kann. Und wenn die Lage wirklich die nationalen Möglichkeiten übersteigen sollte, gibt es schon heute europäische Hilfen – allerdings gegen Auflagen.«
Im »Handelsblatt« nennt die Brüsseler Korrespondentin das Ganze »einen vernünftigen Vorschlag« und erinnert daran, dass es in den USA eine solche Arbeitslosen-Rückversicherung schon länger gibt. »Trotz unterschiedlicher Versicherungssysteme in den einzelnen Bundesstaaten hat sich der gemeinsame Fonds in Amerika gut bewährt. Daher stellt sich die Frage, wieso das in Europa eigentlich nicht funktionieren soll?« Und weiter: »Ein reflexartiges Nein zu europäischen Geldtöpfen gleich welcher Art reicht als Gegenargument nicht aus. Dass Deutschland bei so einem Fonds immer draufzahlen würde und andere Staaten immer profitieren würden, stimmt auch nicht.«
Böse, böse, links, altmodisch
Das sieht der Chefredakteur des Blattes anders. Der Kommentar von Thomas Sigmund ist dabei zugleich ein Paradestück wirtschaftspolitischen Denkens, das noch den kleinsten Schritt zur europäischen Solidarität, zur staatlichen Krisenvorsorge und zu sozialdemokratischer Politik als sozialistischen Unfug, Betrug am deutschen Steuerzahler und als »leistungsfeindlich« abtut. Scholz sei bisher »nicht als Wirtschaftsschreck bekannt«, heißt es da, und damit man weiß, wie ein solcher aussieht, wird auch gleich die ökonomisch unsinnige Schwarze Null gefeiert, wird die ökonomische Lage in EU-Krisenstaaten als Folge einer »Misswirtschaft« abgetan, die nun auch noch »mit deutschem Steuergeld« gestützt würde.
Natürlich fehlen auch nicht andere Motive wie die Behauptung, mit dem EUSF-Plan würde Scholz ein »Lieblingsthema der Linken« aufgreifen, was natürlich Teufelszeug ist, denn Linke können wirtschaftspolitisch nie richtig liegen, was Sigmund in der Formulierung zuspitzt, Scholz wandele sich von einem »einem bürgerlichen Sozialdemokraten, der den Ruf hat, mit Geld umgehen zu können« mehr und mehr zu einem linken »Sozi«, der nicht nur die Kernwählerschaft verrät, sondern auch als »Underperformer« bezeichnet wird. Motto: Es hat früher auch gut funktioniert, sozialdemokratische Politik – und um solche handelt es sich ja bei der EUSF-Idee – als böse, böse, links, altmodisch, den Standort gefährdend hinzustellen, bis die Sozialdemokraten lieber andere Politik machten, weil sie sich einreden ließen, »linke Luftballons« würden nicht in den Himmel steigen.
Übrigens, wo Siegmund schreibt, »die deutschen Arbeitgeber und Arbeitnehmer sollen die Arbeitslosigkeit in Griechenland, Spanien und Italien mitfinanzieren«, klingt das nicht nur so wie die Reaktion aus der Rechtspartei AfD, die den Vorschlag von Scholz als »irrwitzige SPD-EU-Idee auf Kosten der deutschen Arbeitnehmer und Arbeitslose« ebenfalls ablehnt. Es wird auch nicht nur eine Interessenidentität behauptet zwischen denen, die in Wahrheit die Arbeit anderer »nehmen« und denen, die sie als Beschäftigte »geben«.
Der Kommentar ist auch, und hier lässt sich Gustav Horn vom gewerkschaftsnahen Institut IMK zitieren, »ein Beispiel deutscher Arroganz und Ignoranz« ist. Der Ökonom pocht vielleicht vergeblich darauf, in der Idee ebenso zu erkennen, dass »auch der deutsche Facharbeiter in Duisburg profitiert, vor allem wenn Arbeitslosigkeit in Deutschland« wieder einmal hoch sein wird. Horn hat aber sicher darin Recht, dass die Debatte um die EUSF-Idee auch ein Test ist, »ob Deutschland ein stabileres Europa wünscht oder sich auf den Nationalstaat zurückzieht und vergeblich hofft so besser durch schwierige Phasen zu kommen«. Von links wären jetzt weitergehende Überlegungen dazu gern gesehen – vielleicht sogar zu einer echten Europäischen Arbeitslosenversicherung, die mit Lohnkoordination, gemeinsamer Wirtschaftspolitik auf EU-Ebene usw. usf. flankiert ist?
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