Die Antwort wird hart umkämpft sein
Wie hältst Du es mit der solidarischen Pflegefinanzierung? Das wird die Gretchenfrage der Pflegepolitik in den 2020er Jahren sein. Ein Gastbeitrag.
Begriffe wie »Pflegenotstand« oder »gefährliche Pflege« sind keine Übertreibungen. Streiks in Krankenhäusern für mehr Personal zeigen, wie unhaltbar die Zustände dort sind. Diese Kämpfe führen inzwischen zu einigen ermutigenden Entwicklungen. Bundespolitisch kamen CDU/CSU und SPD nicht umhin, die Pflegepersonalkosten ab Januar 2020 aus den bisher gezahlten Fallpauschalen herauszunehmen. Deren Höhe wird jetzt im Rahmen der Verhandlungen zwischen Krankenhäusern und Krankenkassen über die Höhe des Pflegebudgets bestimmt.
Diese Modifikationen und die ihnen zugrundeliegenden Kämpfe zogen in den letzten Monaten verstärkt mediale Aufmerksamkeit auf sich. Das ist nur berechtigt, handelt es sich dabei um ermutigende Entwicklungen, denen weitere folgen müssen, um aus dem Notstand eine akzeptable oder gar bedarfsdeckende Versorgung zu machen. Allerdings geraten durch diesen Fokus nicht nur Verschlechterungen in der Altenpflege aus dem Blick, die mit diesen Verbesserungen in der Krankenpflege verbunden sind, sondern auch wichtige Entscheidungen, die für die Versorgung von Menschen mit Pflegebedarf 2020 anstehen.
Das Wissenschaftliche Institut der AOK hat berechnet, dass aufgrund der Zunahme älterer Menschen bis 2030 jedes Jahr (!) zusätzlich 13 000 Altenpflegekräfte gebraucht werden. So herausfordernd allein dieses Ziel schon ist, markiert es doch nur das absolute Minimum. Damit wären lediglich die derzeitigen Bedingungen der Versorgung zu halten – von denen aber alle wissen, dass es wie bislang nicht weiter gehen kann. Ohne Verminderung der Arbeitsbelastung und eine deutlich bessere Bezahlung wird es weder für die Kranken- noch für die Altenpflege gelingen, Personal länger als bisher im Beruf zu halten oder zusätzlich zu gewinnen.
Selbst in der CDU hatte man hinsichtlich der Personalsituation Einsehen. Mit dem Pflegepersonalstärkungsgesetz II wurde 2015 beschlossen, bis 2020 ein wissenschaftlich fundiertes Verfahren zur Personalbemessung in Heimen zu erarbeiten und zu erproben, welches auf eine Bedarfsdeckung zielt. Vom Bundesgesundheitsministerium damit beauftragt wurde der renommierte Bremer Pflegeexperte Professor Rothgang. Mitte 2020 wird er seine Studienergebnisse ans Bundesgesundheitsministerium übermitteln. Allerdings regelt das Gesetz nicht, dass die Ergebnisse der Personalbemessung dann auch bundesweit einheitlich umzusetzen sind, von deren Finanzierung ganz zu schweigen. Man darf also auf die Vorschläge aus dem Hause des Gesundheitsministers Spahn gespannt sein. Zudem sieht die Regelung überhaupt keine Personalbemessung für den ambulanten Bereich vor.
Wie viel zusätzliches Personal in der professionellen Altenpflege gebraucht wird, wenn die Versorgung ausgerichtet am Bedarf und den Bedürfnissen der Menschen mit Pflegebedarf gestaltet werden soll, wird Mitte 2020 ebenso spannendend, wie es die Auseinandersetzungen und Kämpfe um die Umsetzung der Personalbedarfsbemessung sein werden.
Mehr und besser bezahltes Personal: Da geht es um ein Milliardenbudget. Die Kernfrage künftiger Pflegepolitik wird sein, wie die Deckung des steigenden Pflegebedarfs finanziert werden kann und welche Einkommensgruppen daran wie und in welchem Ausmaß zu beteiligen sind.
Seit ihrer Einführung 1995 ist die Pflegeversicherung nämlich ein Teilleistungssystem. Die Pflegekosten werden von der Pflegeversicherung nur in Höhe eines begrenzten Sockelbetrags übernommen. Alle darüber hinaus gehenden, als »Spitze« bezeichneten Kosten, sind von den zu pflegenden Menschen und gegebenenfalls ihren Familien zu tragen. Zu diesen Pflegekosten kommen bei der Unterbringung im Heim auch die Kosten für Unterkunft und Verpflegung, die Investitionskostenzuschläge und Ausbildungskosten hinzu. Durchschnittlich zahlt jede/r Heimbewohner/in aktuell ca. 1.900 Euro monatlich. Reichen Einkünfte und Vermögen dafür nicht aus, muss Grundsicherung im Alter beantragt werden, wofür die Kommunen aufkommen müssen. Pflegebedarf stellt damit ein enormes Armutsrisiko dar.
Auch hier ist inzwischen allen politischen Lagern klar, dass es so nicht weitergehen kann. Intensiv diskutiert wird der sogenannte »Sockel-Spitze-Tausch«. Die bisherige Praxis umkehrend soll dabei ein fester Sockelbetrag von den Menschen mit Pflegebedarf finanziert werden, die nach oben offene Kostenspitze dagegen von den Pflegekassen. Es wäre sehr verwunderlich, wenn 2020 keine Schritte zur Umsetzung dieses Vorschlags unternommen werden. Entscheidend dabei ist aber, wie hoch der von den zu Pflegenden aufzubringende Anteil sein soll? Nach Ansicht der LINKEN muss er im ersten Schritt deutlich vermindert werden – und perspektivisch auf null sinken. Denn pflegebedürftig zu werden und auf bedarfsdeckende Pflege angewiesen zu sein, ist ein allgemeines Lebensrisiko, die Deckung dieses Bedarfs ist also als ein Menschenrecht. Die Pflegeversicherung ist deshalb genauso wie die Krankenversicherung als Vollversicherung zu konzipieren. Unabhängig davon allerdings, wie in diesem Jahr entschieden wird – auch hier ist zusätzlicher Finanzbedarf jetzt schon absehbar. So oder so stellt sich also die Frage, wie diese Mittel aufzubringen sind.
Bekanntermaßen liegt hierfür seit langem ein Konzept vor: Die Vollversicherung in der Pflege auf solidarische Art – die Solidarische Pflegevollversicherung. Bei dieser zahlen alle aus allen Einkünften ein – auch Abgeordnete, auch Menschen mit Kapital-, Miet- und Zinserträgen, auch Beamte. Die Beitragsbemessungsgrenze wird erst an- und dann aufgehoben. Die private Pflegeversicherung wird in die gesetzliche Pflegeversicherung integriert. Wenn alle einzahlen, auch die privat Versicherten, und zu den in der gesetzlichen Versicherung gültigen Beitragssätzen, stünden ausreichend Finanzmittel zur Verfügung.
Auch Minister Spahn weiß, dass zur Finanzierung eine Entscheidung getroffen werden muss. Diese soll, so hat er es angekündigt, bis Mitte 2020 getroffen sein. Die Finanzierungsfrage soll also offenbar abgeräumt sein, bevor mit den Einzelheiten der Personalbemessung der gesamte zusätzliche Finanzbedarf seriös beziffert werden kann.
Flankierend erklärte er schon vorab, dass es mit ihm und der CDU keine Vollversicherung geben werde. Seine vorgeschobene Begründung ist, dass Familien dann »keine Verantwortung mehr für die Pflege ihrer Angehörigen tragen«. Solche aus früheren Jahrhunderten überkommene Praktiken greifen heute nicht mehr. Nicht wenige Menschen mit Pflegebedarf, haben schlicht keine Angehörigen im Sinne einer Familie (mehr). Zudem wollen viele Menschen mit Pflegebedarf nicht von Angehörigen gepflegt werden, sondern lieber von professionellen Pflegekräften. Und schließlich arbeiten bzw. wohnen viele Menschen weit entfernt von ihren Angehörigen mit Pflegebedarf. Natürlich weiß Spahn dies alles. Es geht ihm und der CDU um die Schonung der privaten Pflegeversicherten und die Wahrung eines konservativen Familienbildes – denn noch immer übernehmen vor allem Frauen unbezahlte Sorgearbeit.
So hat auch Kramp-Karrenbauer am 13. November mit Blick auf die Leistungen der deutschen Renten- und der Pflegeversicherung behauptet, das System stoße »an die Grenzen des Machbaren und des Möglichen«. Man müsse deshalb prüfen, was man an Leistungen künftig gewähren wolle. Dass die Leistungen der Pflegeversicherung an Grenzen stoßen, stimmt. Aber warum und mit welchen Konsequenzen? In Deutschland werden aktuell nur 1,5 Prozent des Bruttoinlandsprodukts für Pflege ausgegeben. In Skandinavien sind es 2,3 Prozent. Für Deutschland wären das jährlich mehr als 20 Milliarden Pflege-Euro zusätzlich. Doch was verheißt die CDU-Vorsitzende? Leistungskürzung statt bedarfsgerechter Versorgung in hoher Qualität. Das ist das Gegenteil von menschenwürdiger Pflege. Vergessen wir nicht: Der Grad der Humanität einer Gesellschaft bemisst sich noch immer daran, wie sie mit ihren schwächsten Mitgliedern umgeht, den Menschen, die Unterstützung brauchen. Dazu gehören ältere Menschen, vor allem, wenn sie Pflege brauchen
Wie hältst Du es mit der solidarischen Pflegefinanzierung? Das ist die Gretchenfrage der Pflegepolitik 2020 und im ganzen Jahrzehnt. Die Antwort wird hart umkämpft sein. Nicht nur im Jahr 2020.
Pia Zimmermann ist Sprecherin für Pflegepolitik der Linksfraktion im Bundestag. Mehr Infos hier.
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