Wirtschaft
anders denken.

Die Chancen der De-Globalisierung

16.06.2022

Freihandelskrise, steigender Rohstoffbedarf sowie Inflation setzen die Globalisierung unter Druck. Jetzt die Weichen stellen für eine neue wirtschaftspolitische Epoche!

Krieg und Krisen erhöhen den Einfluss des Staates auf Wirtschaft und Gesellschaft. Der Horizont des Freihandels schrumpft, die Globalisierung gerät ins Stocken. Das Comeback des planerischen Staates gilt es für eine demokratische De-Globalisierung im Sinne von Mensch und Klima zu nutzen, anstatt für Aufrüstung und Kriegswirtschaft.

Das Bruttoinlandsprodukt ist laut Statistischem Bundesamt im Jahr 2021 um 2,7 Prozent gestiegen und lag damit deutlich unter den Erwartungen. In der Wirtschaftspresse ist zu lesen: »Unternehmen stecken in der Sandwichkrise.« Lieferengpässe und Preissteigerungen zerdrückten ihre Rentabilität. Steuersenkungen und Arbeitsmarktflexibilisierungen sollen den Weg bereitet werden. Doch Krieg und Corona sind nicht an allem schuld.

Die Globalisierung hat im letzten Jahrzehnt an Fahrt verloren, der Welthandel wächst langsamer als die Weltproduktion. Schon mit der Finanzkrise 2008 hat eine Entflechtung der globalen Wertschöpfungsketten begonnen. Protektionistische Tendenzen, zunehmende Handelskonflikte, pandemische und klimatische Produktionsausfälle und nicht zuletzt die Verstopfung des Suezkanals durch das Containerschiff Ever Given haben Diskussionen über die Neustrukturierung von Lieferketten und damit über die Globalisierung insgesamt entfacht. Und dann kam der Krieg.

Aus der Perspektive der Klimagerechtigkeit ergeben sich aus den wirtschaftspolitischen Herausforderungen auch Chancen, wie eine gesteuerte De-Globalisierung sowohl dem Klimaschutz dienen als auch zu mehr sozialer Gerechtigkeit führen kann. Folgend werden die verschiedenen Herausforderungen – die Freihandelskrise, der steigenden Rohstoffbedarf für die Energiewende sowie die zunehmende Inflation und ihre Auswirkungen auf die Globalisierung – diskutiert. Es ist Zeit für eine neue wirtschaftspolitische Epoche, in der die Investitionen nicht der sichtbaren Hand des Profits folgen, sondern durch neue demokratische Entitäten gelenkt werden.

Regionale Wertschöpfungsketten statt verlängerte Werkbänke

Das lange Zeit hegemoniale Freihandelsparadigma propagiert Spezialisierung und internationale Arbeitsteilung. So haben sich mit dem Siegeszug des neoliberalen »Washington Consensus« und unter Druck von IWF und Weltbank bestimmte Regionen und Staaten zu Konglomeraten oder verlängerten Werkbänken entwickelt. In Bangladesch werden Textilien, in Südkorea elektrische Geräte und in Deutschland Autos produziert. Die Vorprodukte dafür stammen oftmals wiederum aus ganz anderen Regionen der Welt. Diese hochprofitable – aber für Mensch und Natur extrem schädliche –Turboglobalisierung bröckelt langsam. So ist der Anteil des Handels von Waren an der Weltproduktion zwischen 2004 und 2020 um 4,3 Prozent gesunken. Die Nachfrage nach bestimmten Baustoffen, Papier und der neuen Playstation übersteigen schon lange das Angebot und ein Ende dieser Lieferprobleme ist nicht in Sicht.

Ein Grund für den sich langsam andeutenden Niedergang der Globalisierung ist die Hegemoniekrise der USA, die mit dem poltrigen Protektionismus von Trump wahrscheinlich nur ihren vorläufigen Höhepunkt erreicht hat. Auch die Biden-Administration sieht in China den neuen Hauptkonkurrenten des US-Imperiums. Die Europäische Union hat ihre Rolle in diesem Spiel der Großmächte noch nicht gefunden. In Brüssel setzt sich allerdings so langsam die Erkenntnis durch, dass das exportorientierte Wachstumsmodell der EU inzwischen einen größeren Leistungsbilanzüberschuss als China aufweist und damit zu einem großen Teil für die globalen Ungleichgewichte verantwortlich ist (Dullien 2021). Auch die EU täte also gut daran in einer entschleunigten Globalisierung ihre Exportabhängigkeit zu reduzieren.

An den gegenwärtigen Engpässen ist zu großen Teilen auch der Klimawandel schuld. Die Halbleiterfabriken in Taiwan stehen aufgrund von Wassermangel still. Die Kupfer- und Stahlproduktion in China liegt brach, weil die Stromversorgung kontingentiert werden musste, weil viele Kohlekraftwerke wegen der Überschwemmungen vom Netz gegangen sind. Der Einsatz für resiliente Lieferketten muss also auch immer ein Kampf gegen den Klimawandel sein.

Auch der Logistiksektor, das Schmiermittel der Globalisierung, gerät durch die Anforderungen des Klimaschutzes zunehmend unter Druck. Das klimaschädliche Schweröl, mit dem die Frachtschiffe hauptsächlich fahren, soll mittelfristig durch klimafreundlichere Treibstoffe ersetzt werden. Auch die Flugfracht soll reduziert und auf die Schiene verlagert werden. Da die Kosten für Transport und Logistik seit einigen Jahren steigen, werden regionale Wertschöpfungsketten auch preislich wettbewerbsfähiger. So hat beispielsweise der Spielzeughersteller Simba Dickie seine Plastik- und Plüschartikel aus dem Sortiment genommen, weil die Transportkosten aus China die Produktionskosten übersteigen. Jetzt soll eine eigene Produktion von Lowtech-Spielzeugen in Europa aufgebaut werden. Die Handelskette Butlers agierte ähnlich bei ihren Keramikprodukten. Der betriebswirtschaftliche Trend der Rückverlagerung der Produktion (»reshoring«) und der Aufbau regionaler Wertschöpfungsketten (»local for local«) ist damit zwar nicht Ergebnis von Klimaschutzanstrengungen, aber ein willkommener Kollateralnutzen der De-Globalisierung. Im Zuge der Neugestaltung der Lieferkatten in Reaktion auf den andauernden Russland-Ukraine-Krieg wird in betriebswirtschaftlichen Kreisen vermehrt auch vom »friendsourcing« anstatt des schlichten »outsourcings« gesprochen. Damit verstetigen sich einerseits die Brüche, andererseits trägt dies aber auch die Chance einer Verkürzung der Lieferketten in sich.

Regionale Wertschöpfungsketten, die Diversifizierung und Redundanzen beinhalten, sind also die resilienteren und robusteren Lieferketten. Sie sind widerstandsfähiger gegenüber Preisschwankungen, Geopolitik, Naturkatastrophen und Klimawandel oder einfach nur menschlichem Versagen. Die Transportausfallkosten des tragisch-komischen Falls der Suezkanalverstopfung betrugen mehr als neun Milliarden Dollar täglich.

Mit Recycling die Rohstoffkrise lösen

Die Produktionslücke in der deutschen Autoindustrie beträgt aktuell elf Millionen Autos, die aufgrund des Chipmangels nicht fertiggestellt werden können, so die Unternehmensberatung PWC. Im Opel-Werk in Eisenach stand die Produktion für drei Monate gänzlich still. 2021 ist die Neuzulassung von PKW auf ein Rekordtief eingebrochen. Doch nicht nur die Autoindustrie leidet an Lieferengpässen.  Es fehlen längst nicht nur Computerchips. Laut Ifo-Institut litten im September 77 Prozent der Unternehmen unter dem Mangel an Vorprodukten, vor allem von Rohstoffe. Und ihr Bedarf wird weiter steigen, gerade in der Energiewende.

Zur Wahrheit gehört: Auch der Abbau der Rohstoffe für die Energiewende zerstört die Umwelt. Wer hätte es gedacht? Zur Unterscheidung zwischen dem Bergbau für fossile Energie und dem für erneuerbare hilft es jedoch den Energy Return on Investment zu betrachten. So werden mit einem Energieäquivalent von einem Liter Erdöl mittlerweile nicht mehr 44 Liter gefördert, sondern nur noch sieben. Ein französisches Forscherteam geht künftig von einem Energy Return on Investment von nur noch eins zu vier aus (Nafeez 2021). Die Rohstoffe, die für die Gewinnung von erneuerbaren Energien abgebaut werden, werden hingegen nicht verbrannt, also unwiederbringlich verbraucht, sondern lediglich für den Aufbau der Anlagen verwendet. Der Wissenschaftsjournalist und Buchautor Christoph Podewils sagt: »In gewisser Weise sind die Zerstörungen, die der Abbau von Rohstoffen für die Energiewende anrichtet, eine Investition darin, dass die Förderung von fossilen Rohstoffen nicht noch größere Schäden anrichtet.« Doch es gibt noch eine bessere Lösung.

Besonders hochwertige Metall- und Eisenprodukte und Rohstoffe, wie Silizium, Stahl, Nickel, Bauxit und Kupfer fehlen und die Preise steigen. Allein: Das Recycling von Schrott zu Stahl ist problemlos möglich. Stahl aus Schrott spart 1,67 Tonnen CO2 gegenüber herkömmlichem Stahl aus Erz und Kohle. Nur für 44 Prozent der hiesigen Stahlproduktion wird Schrott genutzt, in der Türkei und Italien sind es hingegen 80 Prozent. Beim dringend benötigten Kupfer sieht es ähnlich aus: Obwohl die EU 65 Prozent Recycling vorschreibt, werden erst 43 Prozent des Kupfers aus Elektroschrott wiedergewonnen. Der Kupferbergbau in Chile boomt. Dabei ist »[d]ie größte Kupfermine der Welt […] ohnehin das Recycling«, so Birgit Schmitz, die Sprecherin des Deutschen Kupferinstitutes. Selbst der Industrieverband BDI errechnet ein Plus von 12 Milliarden Euro Wertschöpfung durch Kreislaufwirtschaft. Audi hat angekündigt durch das neue Verfahren der Hydromettalurgie in Zukunft 97 Prozent der verwendeten Batterie-Rohstoffe wieder zu verwerten.

Noch ist eine Bedingung, damit sich die Kreislaufwirtschaft gegenüber der herkömmlichen extraktiven Rohstoffgewinnung durchsetzt, die preisliche Wettbewerbsfähigkeit. Mit steigendem Bedarf werden zwar auch aufwendigere und damit teurere Verfahren rentabel. Feste Recycling-Quoten, die ordnungsrechtlich festgelegt werden sowie eine öffentliche Förderung und Anlagenfinanzierung durch Differenzverträge (»Carbon Contracts for Differences«) sind angesichts der Dringlichkeit der Transformation jedoch unbedingt einzusetzen. Aus der Not muss eine Tugend gemacht werden: Mit Kreislaufwirtschaft und Recycling können wir die Rohstoffkrise lösen.

Allerdings ist Recycling sehr energieaufwendig und zum Beispiel für die Produktion von Lithium-Ionen-Batterien kann nur absolut reines Aluminium verwendet werden. Mit der Ausweitung von Recycling und Kreislaufmethoden ist also nicht jedem Problem beizukommen, womit wir im Kern des Dilemmas angekommen wären: dem Kapitalismus inhärenten Wachstumsdrang.

Nicht mehr, sondern anders

Die Wachstumsraten sinken und befinden sich seit der letzten globalen Finanz- und Wirtschaftskrise nah an der Stagnation (Nullwachstum). Damit ist das kapitalistische Wirtschaftsmodell in seinem Mark(t) erschüttert; braucht das eingesetzte Kapital doch Wachstum, um die Zinsen und Renditeerwarten der Finanzbranche zu erfüllen. Gleichzeitig erhöhte sich die weltweite Ungleichheit enorm und die umherwabernden Vermögen suchen profitable Anlagemöglichkeiten. Kein Wunder also, dass Spekulationsobjekte wie Kryptowährungen und NFTs boomen. Die Menschen in Großstädten bekommen die Auswirkungen des Investitions- und Renditedrucks an den Miet- und Bodenpreisen zu spüren, da mit dem begrenzt verfügbaren Land- und Betongold noch der volle Reibach zu machen ist, während das in großen Teilen der produzierenden Wirtschaft schon lange nicht mehr möglich ist.

Wir haben es also mit einer umfassenden Verschiebung der Investitionen zwischen den Sektoren zutun, die sich momentan jedoch fast ausschließlich nach einer marktwirtschaftlichen und damit profitorientierten Logik vollzieht. Eine aufgeklärte und selbstbewusste Gesellschaft muss sich die Frage stellen, ob sie diese disruptiven Umbrüche einfach so hinnehmen möchte, oder ob sie nicht lieber mitentscheiden will, in welche Richtung sich die Wirtschaft und damit das materielle Fundament der Gesellschaft bewegt. Eine demokratische Mitbestimmung darüber, wie viele Investitionen in welchen Sektor fließen, ist nicht nur vorstellbar, sondern auch notwendig, wenn soziale und ökologische Kriterien Vorrang vor betriebswirtschaftlichen haben sollen.

Mit Umverteilung und Klassenkampf gegen Inflation und Klimawandel

Das Problem mit Nullwachstum oder Stagnation ist, dass das Verteilungsproblem offen zutage tritt. Stetiges Wirtschaftswachstum befriedet den Konflikt zwischen Lohn und Kapital. Steigt die Gesamtproduktion, können die Löhne steigen, selbst wenn ihr Anteil vom Gesamtkuchen prozentual kleiner wird. Ökonomisch gesprochen sind steigende Reallöhne auch bei sinkender Lohnquote möglich. Lässt das Wachstum nach, verschärfen sich unweigerlich die Verteilungskonflikte.

Die Verbraucherpreise liegen im Mai 2022 um 7,9 Prozent über dem Niveau des Vorjahresmonats. Damit erreicht die Inflation nun zum dritten Mal in Folge einen neuen Höchststand. Die Weltbank-Chefökonomin Carmen Reinhart warnt nun vor einer anhaltenden Inflation. Treten gleichzeitig niedriges Wachstum und hohe Inflation auf, spricht man von Stagflation. Die steigende Inflation setzt immer offensichtlicher das Realeinkommen unter Druck und führt damit unweigerlich zu einem Kampf um den Lebensstandard. Laut einer Insa-Umfrage verzichten jetzt schon 16 Prozent der Deutschen auf eine reguläre Mahlzeit. Mit der Inflation könnte eine neue Welle der Massenarmut heranrollen.

In den Gewerkschaften werden wieder über Forderungen nach einer gleitenden Lohnskala nachgedacht, nach der die Löhne automatisch mindestens mit der Preissteigerung steigen. Präzedenzfälle gibt es durchaus: In Italien hat die sogenannte »scala mobile« von 1975 bis 1992 die italienischen Lohnabhängigen vor Einkommenseinbußen geschützt. Einmal eingeführt wird jedoch die Preissteigerung zum einzigen Faktor für die Lohnentwicklung und Produktivitätswachstum sowie der Verteilungsspielraum bleiben dann außen vor. Ergiebiger wären tabellenwirksame Lohnforderungen über der Inflationsrate hinaus, kombiniert mit Sockelbeträgen, von denen die unteren Lohngruppen stärker profitieren, sowie kurzen und synchronisierten Laufzeiten, damit bei Verstetigung der Inflation neuverhandelt werden kann. Bei acht Prozent Inflation haben Beschäftigte jetzt schon ein ganzes Monatseinkommen verloren. Jetzt beginnt der Kampf, wieviel sich die Arbeitnehmerschaft davon wieder zurückholt.

Arbeitgeber:innen und ihnen nahestehende Ökonom:innen warnen schon vor einer Lohn-Preis-Spirale und fordern Lohnzurückhaltung. Auch Olaf Scholz plant in einer »Konzertierten Aktion« die Gewerkschaften mit Einmalzahlungen zu besänftigen und damit die Profit-Bedingungen für die Unternehmen zu verbessern. Jedoch haben wir es derzeit eher mit einer Profit-Preis-Spirale zutun, wie sich exemplarisch im Kraftstoff- und auf dem Wohnungsmarkt zeigt. Eine Übergewinnsteuer, wie sie Italien und Griechenland jetzt eingeführt haben, schafft nicht nur mehr Gerechtigkeit, sondern dämpft auch die Inflation. Ferner ist auch die Vorstellung völlig falsch, höhere Löhne führten automatisch zu höheren Preisen. Höhere Löhne können auch auf Kosten der Profite der Unternehmen gehen, wenn es ihnen nicht gelingt die steigenden Lohnkosten gänzlich auf die Preise überzuwälzen. Mit einer solchen expansiven Lohnpolitik wird Klassenkampf auch zur Inflationsbremse.

Einen etwas anderen Blick auf die Inflation hat der britische Wirtschaftshistoriker Adam Tooze. Für ihn ist Inflation ein »Thema der Industriepolitik statt der Makroökonomie«. Die Beschränkungen liegen, so Tooze, in den Produktionskapazitäten beispielsweise von Solarmodulen, nicht an zu viel Geld. Den Preissteigerungen kann also nur durch einen Aufbau von Produktionskapazitäten begegnet werden.

Klar ist, dass ein politisch gewollter ›grüner‹ Beitrag zur Inflation bleiben wird (Greenflation). Diese klimapolitisch gewollte Verteuerung der Lebenshaltungskosten trifft Menschen mit niedrigen Einkommen und Sozialleistungsbeziehende besonders und verschärft die Ungleichheit. Die vom Einkommen her untere Hälfte der europäischen Bevölkerung muss nach Maßgabe des 1,5 Grad-Ziels ihre Emissionen halbieren. Menschen, die nahe oder unterhalb der Armutsgrenze leben, zu sagen sie sollen ihren Konsum halbieren ist dennoch nicht notwendig. Die Umstellung auf nachhaltige Produkte bedeutet nämlich auch, dass wir weniger verbrauchen. Produkte müssen dafür langlebiger und qualitativ besser sein. Natürlich schlagen höhere Umweltstandards und Klimaschutz auf die Preise auf. Dasselbe gilt für biologische Agrarprodukte und Nahrungsmittel. Es muss also das Einkommen der unteren Hälfte erhöht werden, um sich diese besseren Produkte überhaupt leisten zu können. Höhere Löhne ermöglichten außerdem eine kürzere Arbeitszeit, die sich wiederum deutlich auf eine Verringerung der Emissionen auswirken würde. Eine Arbeitszeitreduktion um ein Viertel verringert den Klimafußabdruck um bis zu 36,6 Prozent.

Eine Privatisierung des Klimaschutzes durch höhere Preise allein wird also nicht reichen und ist ungerecht. Das reichste Prozent müssen ihre Emissionen allerdings auf ein Dreißigstel verringern (Ivanova/Wood 2020). Oxfam (2021) beziffert in einer Studie ihre Emissionen bis 2030 auf 16 Prozent der globalen Gesamtemissionen. Die »Produktion von Luxusartikeln für die oberen Klassen und deren Konsum« ist damit zu »einer Haupttriebkraft des Klimawandels geworden«, so der Jenaer Industriesoziologe Klaus Dörre. Eine Vermögenssteuer ist aus Klimagerechtigkeitsaspekten unbedingt erforderlich, denn sie dient als Bremse für absurden Luxuskonsum und sendet andererseits ein deutliches Signal an die unteren Einkommensschichten, dass sie nicht die alleinige Last der Transformation zu tragen haben. Ohne Umverteilung bedeutet Klimaschutz eine weitere Verarmung der unteren Klassen, die schnell in einen klimaleugnenden Konservatismus umschlagen könnte.

Außerdem stellt sich die Frage, wie die Energiewende, der dringende Bahn- und ÖPNV-Ausbau, die energetische Sanierung und die Dekarbonisierung der Industrie finanziert werden sollen. Die Ampel-Koalition betreibt Staatsinterventionismus ohne Umverteilung. Damit ist die Finanzierung des ökologischen Umbauprojektes völlig offen.

Demokratische Investitionslenkung und Industriepolitik von unten

Mittlerweile drohen einige Unternehmen offen mit einem Investitionsstreik. Werden die Klimaschutz- oder sozialen Auflagen zu hoch, würden die Unternehmen ihr Kapital aus der Hauptstadt abziehen, droht ganz unverhohlen beispielsweise Maren Kern aus dem Vorstand des Verbandes Berlin-Brandenburgischer Wohnungsunternehmen. So erpressen private Unternehmen die Politik, wenn sich Maßnahmen abzeichnen, die nicht in ihrem Interesse sind. Eine Regierung, die sich von Investitionen und Kapitalflüssen abhängig macht, beschränkt sich selbst in ihrer Handlungsfähigkeit und ist damit nicht mehr demokratisch souverän.

Die Gesellschaft muss sich demokratisch entscheiden, wohin die Ressourcen und Investitionen fließen sollen, beziehungsweise in welche Bereiche die Überschüsse also das übriggebliebene Wachstum gelenkt werden. Das bietet die Chance eine gesamtgesellschaftliche Debatte darüber zu führen was und wie wir produzieren wollen. Hier werden vermutlich Gebrauchswerte höher gewertet als Tauschwerte. Große Produktionsanlagen und Industrie werden dadurch nicht obsolet. Skalenerträge wird es weiterhin geben, doch werden sie zu ökologischen Skalenerträge, denn auch die Emissionen können in der Produktion höherer Stückzahlen abnehmen, wenn die Anlagen entsprechend modifiziert und ausschließlich erneuerbare Energien verwendet werden. Höhere Produktivität kann in Arbeitszeitverkürzung fließen anstatt in höhere Margen.

Die unter dem Stichwort der »strategischen Autonomie« geplanten neuen Industriekonglomerate für Batterien, Halbleiter und Wasserstoff können zu guten Beispielen einer aktiven vertikalen Industriepolitik werden, die ökologische und soziale Ziele verfolgt. Ähnliche Projekte sind für ein europäisches Schienennetz und die Produktion der notwendigen Bahnen und Busse für die Verkehrswende sowie zur Steigerung der Solar- und Windkraftkapazitäten denkbar. Doch dafür darf es bei den sogenannten IPCEI-Projekten der EU nicht um ein technologisches Wettrüsten mit den Weltmächten China, USA oder Russland gehen. Die Fördergelder müssen an klare soziale und ökologische Kriterien geknüpft werden. Ein ›grüner‹ Standortnationalismus, der technologische Modernisierung zur Exportstrategie erklärt, basiert auf billigen Ressourcen aus dem globalen Süden und ist nicht verallgemeinerbar. Der industriepolitische Instrumentenkasten muss in seiner gesamten breite angewandt, aber einer klaren sozial-ökologischen Mission verschrieben werden. Fördern, aber auch Fordern ist die Devise.

Der Schlüssel für die Aushandlung des Interessenkonfliktes zwischen Arbeit und Kapital über die Lenkung der Investitionen liegt letztlich in der Demokratie. Im demokratischen Prozess muss auch über die Wirtschaft entschieden werden. Wir brauchen eine Wirtschaftsdemokratie. Und zwar subsidiär im Mehrebenensystem. Industriepolitik muss von unten – vom Betrieb und der Region her – neu  gedacht werden. Dafür sind gänzlich neue demokratische Strukturen notwendig, die es so noch nie gegeben hat. Die betriebliche Mitbestimmung muss um Klima- und Umweltschutzfragen erweitert werden und den Beschäftigten und anderen Stakeholdern ist zuzutrauen Investitionsentscheidungen verantwortungsvoll und im Sinne aller mitzutreffen. Denn nur eine gelenkte De-Globalisierung ist die Chance dem anarchischen Markt das Heft des Handelns zu entreißen und der Wirtschaft eine Mission zu geben, damit sie Mensch und Klima dient.

Tilman von Berlepsch ist Wissenschaftlicher Mitarbeiter für Industrie- und Wirtschaftspolitik im Abgeordnetenbüro von Alexander Ulrich in der Fraktion DIE LINKE im Deutschen Bundestag.

Erwähnte Literatur

Ahmed, Nafeez (2021): Oil System Collapsing so Fast. It May Derail Renewables, Byline Times.

Dullien, Sebastian (2021): Herausforderungen für das Wachstumsmodell der EU in einer tripolaren Welt, in: spw 1|2021, S.62-66.

Holtschneider, Anja/ Hajek, Stefan (2021): Rezept gegen Rohstoffmangel, in: WirtschaftsWoche 42, Spezial Nachhaltigkeit/Circular Economy, S.60-64.

Ivanova, Diana/ Wood, Richard (2020): The unequal distribution of household carbon footprints in Europe and its link to sustainability, Global Sustainability, Cambridge University Press, S.1-12.

Oxfam (2021): Carbon inequality in 2030: Per capita consumption emissions and the 1.5⁰C goal, Institute for European Environmental Policy.

Geschrieben von:

Tilman von Berlepsch

Mitarbeiter DIE LINKE im Bundestag

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