Wirtschaft
anders denken.

»Die Fortsetzung des Reformkurses ist von Wichtigkeit«: Griechenland und die deutsche Unfähigkeit zur Selbstkritik

29.06.2018
Grafik: Common.eG

Der Bundestag stimmt über das Ende des dritten Kreditprogramms für Griechenland ab – das der Beginn der nächsten Etappe von Gläubigerauflagen und politischen Fesseln für die Regierenden in Athen ist. 

»Wieder Geld für Griechenland«, so ist die Meldung aus dem Bundestag überschrieben – am Freitagmorgen steht dort die »Beratung des Antrags des Bundesministeriums der Finanzen« zu »Finanzhilfen« auf dem Programm. Inklusive namentlicher Abstimmung. Es geht um die Vereinbarung der Eurogruppe zum Abschluss des dritten Kreditprogramms und schuldenerleichternde Maßnahmen. Die Sache ist praktisch mit der Entscheidung der Eurofinanzminister »durch«, auch die Zustimmung innerhalb der Union gilt als ziemlich sicher, obwohl frühere Zusagen der Regierung gegenüber deren Abgeordneten über die Frage, wie der Internationale Währungsfonds an dem Kreditprogramm beteiligt ist, nicht eingehalten werden konnten. Aber das ist Schnee von gestern, nicht nur, weil sich die europapolitische Welt inzwischen mehr um das Thema Migration und die anstehende Reform der Eurozone dreht.

Ohnehin machen die europäische Krisenpolitik gegenüber Griechenland und der Kurs der linksgeführten SYRIZA-Regierung hierzulande nicht mehr ganz so viele Schlagzeilen wie etwa noch 2015, als das nun auslaufende »ESM-Anpassungsprogramm« geschnürt wurde. Sowohl der »griechische Frühling« als auch die Zeit des »This is a coup« scheinen schon ziemlich weit weg. Und dass es eine Krise auch schon vor Beginn der Regierungszeit von SYRIZA gab, ist auch eher Fachwissen. Dabei haben die Probleme und Widersprüche keineswegs abgenommen, weiterhin sind den Regierenden in Athen durch die Auflagen der Gläubiger enge Fesseln angelegt – und das wird auch in Zukunft so bleiben.

Die Unterlagen, die den deutschen Abgeordneten vorliegen, umfassen 489 Seiten. Dem Antrag des Finanzministeriums sind dabei auch die jüngste Erklärung der Eurogruppe sowie das Supplemental Memorandum of Understanding beigefügt – das sind die neuerlichen Bedingungen, die die Geldgeber gestellt haben, damit das Land die letzte Tranche aus dem Kreditprogramm sowie die Schuldenerleichterungen erhält. Auch die Erklärung des IWF zum Abschluss des Programms ist hier dokumentiert, zudem verschiedene Anhänge die unter anderem die Privatisierungsauflagen betreffen.

»Wieder Geld für Griechenland« – in dieser Formulierung durch die Autoren des Bundestagsapparats kommt eine verbreitete Stimmung eigentlich ganz gut zum Ausdruck: Es klingt ein etwas gelangweiltes »Schon wieder« darin an. In dem Antrag des Bundesfinanzministers steckt eine zweite Wahrheit: die offenkundige Unwilligkeit der Zuständigen, ein gewisses Maß an Selbstkritik in Sachen »Griechenlandrettung« an den Tag zu legen.

Das Land ist durch die »Anpassungsprogramm« schwer gebeutelt, eine Reihe von Maßnahmen haben die wirtschaftliche Lage belastet, haben weite Teile der Bevölkerung in schere soziale Turbulenzen gebracht. Unter kritischen Ökonomen gilt der Kurs schon länger als falsch. Und auch wenn man einberechnet, dass Griechenlands Wirtschaft seit 2017 wieder leicht wächst, die Erwerbslosenquote leicht zurückgeht und 2016 sogar – und das erste Mal seit Einführung des Euros – ein Haushaltsüberschuss erzielt wurde, so steht doch außer Frage, dass an Griechenland ein Exempel statuiert wurde. Mindestens, weil versucht wurde, »die griechische Krise durch Versuch und Irrtum zu lösen, weil es keine bessere Lösung gab«, wie es die »Süddeutsche« unlängst in einer Bilanz der Jahre »deutschen Spardiktats und griechischen Leids« formulierte. Andere gehen in ihrer Kritik noch viel weiter.

Und was schreibt das Haus von Olaf Scholz, immerhin ein SPD-Politiker? »Die Fortsetzung des Reformkurses ist von Wichtigkeit, da dieser die Grundlage bildet für ein nachhaltiges Wachstum und nachhaltige öffentliche Finanzen.« Oder: »Wichtig für die zukünftige Entwicklung der Wirtschaft wird sein, dass Griechenland auch nach Programmende sein Wachstumspotenzial durch fortgesetzte Reformen und die deutliche Verbesserung der Attraktivität des Investitionsstandorts stärkt.«

Dabei wird unterstellt, dass die Kürzung griechischer Renten um bis zu 60 Prozent, die Kürzung von Gehältern, das Absenken des gesamten Einkommensniveaus, die Tatsache, dass 40 Prozent der Menschen hier von Armut und sozialer Ausgrenzung bedroht sind – das dies, Folgen der Kürzungsdiktate, »wichtig für die zukünftige Entwicklung der Wirtschaft« sein könnte. Wenn, wie es in einem Kommentar auf Spiegel online heißt, »40 Prozent nicht ihre Miete und Rechnungen zahlen können«, dann wird man das nur dann als Beitrag zum »Wachstumspotenzial« beschreiben, wenn man zynisch oder dumm ist.

Nun kann man nicht ganz von der Hand weisen, dass es notwendige Reformen gab – um Steuereinnahmen zu gewährleisten, um die Verwaltung zu verbessern und so weiter. Es hätte ja vielleicht auch schon ein Signal sein können, wenn in Berlin einmal in einem solchen Parlamentsdokument ausgesprochen würde, dass eine, bestimmten wirtschaftspolitischen Imperativen folgende Krisenpolitik auch Folgen hat, die man als problematisch an sieht. Selbst auf der Ebene großer internationaler Organisationen wird heute von inklusivem Wachstum gesprochen, werden vorrangig auf Konsolidierung setzende Reformen eher skeptisch gesehen.

In dem ganzen Antrag des Finanzministeriums geht es um Schuldentragfähigkeit, Primärüberschüsse, abgeschlossene Überprüfungen und kommende Überwachungsmaßnahmen – aber an keiner Stelle wird wenigstens genannt, dass die Auflagen der Gläubiger seit 2010 auch soziale, politische und kulturelle Folgen hatten. Es gibt eine Zwischenüberschrift zur »Finanz- und Wirtschaftslage«. Und man klopft sich selbst auf die Schulter, indem die »weitere Unterstützung Griechenlands« gepriesen wird, als ob man diese einfach aufrechnen könnte. Die Ausblendung der gesellschaftlichen Konsequenzen dieser Krisenpolitik, die noch tief in den Schützengräben eines radikalen Austeritätsdenken steckt, lässt sich auch als Ausdruck der tief ins Denken der Ministerialbürokratie eingeschriebenen Schiefkonstruktion der EU ansehen, in der Finanzen und Wirtschaft prominente Felder sind, soziale Fragen aber nur Anhängsel.

Geschrieben von:

Vincent Körner

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