Die Frage der kolonialen Raubkunst hält den kapitalistischen Weltverhältnissen den Spiegel vor
Namibia fordert von der Bundesregierung die Rückgabe einer steinernen Wappensäule. Kein Einzelfall und auch die Reaktion ist »üblich«: Man prüfe das Anliegen. Wie lange? Frankreichs Präsident Macron hat das Thema Rückgabe wieder auf die Tagesordnung gesetzt. Die im ganzen globalen Süden zusammengeraubte Kunst und Kultur ist dabei nur ein Posten in der großen kapitalistischen Bilanz der Externalisierungskosten des Wohlstandes im globalen Norden. Ein Kommentar aus der aktuellen Printausgabe von OXI zum Schwerpunkt »Kunst«.
»Ich will, dass in fünf Jahren die Bedingungen für die vorübergehende oder endgültige Rückgabe des afrikanischen Erbes an Afrika erfüllt sein werden.« Seit Emmanuel Macron diesen Satz gesagt hat, ist ein Zehntel der Frist bereits verstrichen.
Was der französische Präsident da im vergangenen November in Burkina Faso erklärt hat, dreht sich nicht allein um die längst überfällige Restitution eines kolonialen Raubes unermesslichen Ausmaßes. Es geht nicht nur darum, die geschätzten 30 Millionen Kunst- und Kulturobjekte endlich zurückzugeben, die europäische Staaten auf ihren von Herrenrasse-Dünkel begleiteten Beutezügen nach Europa verschleppten, klauten, abpressten. Es geht auch nicht nur um das Erbe kolonialer Herrschaft, sozusagen um eine Geschichtsbegradigung zwischen »dem Westen« und »dem Süden«. Es geht um die heute herrschenden Weltverhältnisse, und die Frage der kolonialen Raubkunst hält ihnen einen Spiegel vor.
»Jedes Kunstwerk in Übersee ist für uns ein Vorfahre in Gefangenschaft«, hat der Leiter des National Museum Benin City, Theophilus Umogbai, unlängst einmal erklärt. Seine Forderung: Rückgabe der geraubten Kunstgüter, Schluss mit der Hinhaltetaktik im globalen Norden, wirksames Handeln statt bloß politischer Rhetorik.
Schluss mit der Hinhaltetaktik im globalen Norden
Wann kommen die in wirkliche Bewegung, die sich gern hinter Verweisen auf die zunächst noch nötige Provenienzforschung verstecken, die auf Regeln zeigen, die einst den Raub legitimierten, denen nun selbstverständlich jede Menge praktischer Hürden einfallen, die man ja noch beäugen, verschieben, überwinden müsse? Gibt es überhaupt ausreichend Museen in Afrika?
Es wird immer noch weithin als »normal« angesehen, dass sich ein Afrikaner über seine Geschichte, seine Kultur, seine Kunst in Europa besser informieren kann als zu Hause. Dass es einen Grund gibt dafür, dass in den Herkunftsländern teils Zustände herrschen, die nicht eben dazu beitragen, dass es ausreichend Museen und Bildungsvoraussetzungen gibt, wird ausgeblendet. Dass Menschen aus Afrika gar nicht erst nach Europa gelassen werden, weil sich der reiche Kontinent gegenüber dem armen abschottet, wird noch lauter beschwiegen.
Auf Macrons Rede folgten Schlagzeilen, ja: Es ist eine Debatte in Gang gekommen, aber es ist eine Auseinandersetzung unter Experten geblieben. Der Appell an die Bundesregierung, sich der Diskussion über das koloniale Erbe nicht länger zu entziehen, ist kaum erhört worden. Noch immer gilt, dass sich Berlin lieber verklagen lässt, als freiwillig und mit nötiger Entschuldigung zurückzugeben, was man einst zusammengeraubt hat. Dem Gebaren der damals Zuständigen für das Massenabschlachten der Ovaherero und Nama folgt das Wegducken der heute Regierenden. Und wenn man ehrlich ist, wird man auch kaum von einer breit getragenen zivilgesellschaftlichen Bewegung reden können, die dagegen aufbegehrt.
»Sharing Heritage«: das Erbe teilen
Das Europäische Kulturerbejahr 2018 steht unter dem programmatischen Titel »Sharing Heritage«: das Erbe teilen. Genau das wird nicht gemacht. Und es wird auch nicht darüber gesprochen, was dieser Begriff des Erbes bedeutet, dem eine Idee des globalen Gemeinsamen anhaftet. Man müsste darüber reden, und das kann nicht auf Kunstgüter und Kulturschätze begrenzt bleiben. Es wäre die große Chance, so etwas wie ein Weltdenken mal wieder anzustoßen – von der Kunst angefangen bis zum ganzen Kapitalismus.
Kapitalismus? 1884/85 fand in Berlin die berüchtigte Afrika- und Kongo-Konferenz statt, die Kolonialmächte dealten die Aufteilung des Kontinents aus. Was da begann, war die systematische Aneignung des Reichtums anderer. Dieser große Kunstraub steht beispielhaft für globale Ungleichheiten, die in europäischen Museen betoniert wurden. So wie sie auch im Welthandel, in der Frage der Ausbeutung von Rohstoffen, Natur und Mensch oder im Zugang zu Chancen immer noch bestehen.
Die ganzen Weltverhältnisse in den Blick nehmen
Wenn also von lange verschwiegenen Grausamkeiten der kolonialen Epoche nun die Rede ist, sollten die ganzen Weltverhältnisse in den Blick genommen werden. Die im ganzen globalen Süden zusammengeraubte Kunst und Kultur ist nur ein Posten in der großen kapitalistischen Bilanz der Externalisierungskosten des Wohlstandes im globalen Norden. So, wie die Grenze als Prinzip ein Instrument zur Befestigung globaler Ungleichheit ist, indem sie Menschen davon abhält, vor deren Folgen zu fliehen, befestigt die Fortdauer kolonialer Kunstaneignung die internationale Asymmetrie auf kultureller Ebene.
Noch sind viereinhalb Jahre übrig, bis die Frist verstrichen ist, die Macron sich gesetzt hat. Man wird die Debatte über die Rückgabe geraubter Kunstgüter nicht einfach abwarten dürfen. Es geht um mehr als um Objekte – um die Frage, was als Eigentum gelten kann, was als Besitz verfügbar gemacht wird, was auf diese Weise anderen vorenthalten wird und also auch darum, wie man etwas »Gemeinsames« in Zeiten globaler Verkehrsformen und großer Unterschiede auch wirklich gemeinsam macht.
Das ist kein Plädoyer dafür, dass der globale Norden nun auch noch dem Süden vorschreibt, wie dort mit dem kulturellen Erbe umzugehen sei. Es ist eher ein Plädoyer, darüber nachzudenken, was Rückgabe in einem umfassenderen Sinne heißen müsste. Europa hat Afrika nicht nur ein paar Bronzen, sakrale Kunstobjekte und die Nofretete geklaut. Europa hat dem Süden die Zukunft weggenommen. Wem daran gelegen ist, dass die Zukunft hierzulande besser, gerechter, gleicher wird, der kann darüber nicht hinwegsehen. Denn das, was Macron in seiner Rede angesprochen hat, kann nur der Anfang sein. Wir müssen dann auch den Rest in den Blick nehmen: Ressourcen, Natur, Chancen, Entwicklung.
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