Wirtschaft
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Die GroKo, die »Erfolge« der SPD und offene Fragen: ein OXI-Überblick

03.02.2018
Martin Rulsch, Lizenz: CC BY-SA 4.0Wiederaufführung oder neues Programm: die Große Koalition 2013

»Zielgeraden«, »letzte Streitpunkte«: Was haben die GroKo-Gespräche bisher gebracht? Es gibt nur wenig Bewegung über das Ergebnis der Sondierung hinaus. Das ist schlecht für die SPD, die »nachbessern« wollte. Auch ihre »Erfolge« bei Pflege und Bildung werden sehr kritisch gesehen, die Einigung zum Familiennachzug als eine »menschenrechtlichen Katastrophe«. Ein Überblick über den aktuellen Stand:

Die Verhandler der Parteien wollen am Wochenende den großkoalitionären Sack zumachen. Man liest jetzt viel von der »Zielgeraden«, auf der »letzte Streitpunkte« abgeräumt worden seien, genauso aber über die »Liste der offenen Punkte«, die noch zu lösen sind. Dazu zählen zwei Kernanliegen der SPD, die hier gegenüber dem Sondierungsergebnis noch »nachbessern« wollte: die Abschaffung der sachgrundlosen Befristungen und die Angleichung der Arzthonorare bei Leistungen für privat und gesetzlich Versicherte. Letzteres soll als Einstieg in die Bürgerversicherung höhere Weihen erhalten. Aber in beiden Fällen stellt sich die Union bisher quer.

Ebenso als »offen« sind Fragen aus den Bereichen Mieten und Wohnen, hier geht es um Mieterschutz bei Sanierungen, sowie der Arbeitsmarktpolitik bezeichnet worden. Weitere vorläufige Einigungen sind hier aufgelistet. Eine weitere Übersicht der wichtigsten Punkte gibt es hier. Wie man Berichten entnehmen kann, konnte die SPD auch Ziele wie eine wirksame Begrenzung der Managervergütung, die Anpassung von Modernisierungsumlage und Mietspiegel sowie schnelle Änderungen bei der umstrittenen weil kaum wirksamen Mietpreisbremse nicht erreichen.

Offenbar ist dafür das Ende der Luftverkehrssteuer von der GroKo in spe vereinbart worden, was eine der umweltschädlichsten Fortbewegungsarten unter der Fahne der »Wettbewerbsfähigkeit« unterstützen würde.

Finanzierbarkeit und Personaldebatte

Aus den Verhandlungen wurde darauf hingewiesen, dass über allem noch die insgesamt zu beantwortende Frage der Finanzierbarkeit hänge. Derweil dreht sich die Personaldebatte bereits in konzentrischen Kreisen, in dem einen wird SPD-Chef Martin Schulz wie in einem Strudel nach unten gezogen, da ist schon von der »heimlichen« Vorsitzenden Andrea Nahles die Rede. Der andere ist mit dem großen Postenkarussel einer möglichen Koalition verbunden, in der Sigmar Gabriel gern Außenminister bleiben möchte, was man auch als Signal gegen Schulz interpretieren darf, mindestens als eines gegen ein Ministeramt für ihn.

Bei den allermeisten Themen haben die Verhandler das Sondierungsergebnis allenfalls konkretisiert; darüber hinaus wird wenn überhaupt nur in kleinen Dosen gegangen. Die SPD wird es nicht einfach haben, hier wirklich zählbare »Nachbesserungen« ins Schaufenster zu stellen. Das auch, weil durchaus wichtige Schritte wie die Rückkehr zur paritätischen Finanzierung in der Krankenversicherung schon »durch« sind, während andere Punkte in der öffentlichen Debatte schon so kontrovers besprochen wurden, dass man daraus keinen Pokal mehr machen wird können, das gilt etwa für die geplanten Änderungen beim Solidaritätszuschlag. Beim Thema Europa, wo man mindestens konzedieren sollte, dass eine Abkehr vom Kurs Wolfgang Schäubles möglich wäre, gelingt es der SPD auch kaum, daraus eine mitreißende Sache zu machen.

Die Rhetorik der an den Verhandlungen Beteiligten zeigt das auch jetzt schon, es werden entweder die schon bekannten GroKo-Vereinbarungen noch einmal gelobt oder es wird defensiv erklärt, mehr sei mit der Union eben nicht zu machen. Statt um die Frage des Fortschritts in der Sache geht es um die der Interpretation eines im Grunde schon bekannten Standes in der Öffentlichkeit.

Wie werden die SPD-»Erfolge« von anderen gesehen?

Bei der SPD werden bisher vor allem die Themen Pflege, Europa und Rente als Pluspunkte betont. Bei der Rente buchen die Sozialdemokraten die Festschreibung des Rentenniveaus auf mindestens 48 Prozent bis 2025 als Erfolg, das wird aber durchaus auch anders gesehen. Was die vereinbarte Grundrente angeht, weist die FAZ darauf hin, dass sich bei näherem Hinsehen nicht die SPD, sondern das Modell des CDU-Politikers Karl-Josef Laumann durchgesetzt habe.

Auch bei der Bildung ist von einem »Aufbruch« die Rede. Zehn Milliarden Euro sollen zusätzlich »in die komplette Bildungskette« fließen, darunter sind 3,5 Milliarden für einen Digitalpakt, zudem soll das Kooperationsverbot fallen. Der Chef des Deutschen Lehrerverbandes, Heinz-Peter Meidinger, sagte dazu, »die Jamaika-Verhandler waren aber ambitionierter. Mit den Vorhaben von Union und SPD steht die Bildungsrepublik noch nicht vor der Tür«, So sei »noch nichts gegen Lehrermangel, gegen Unterrichtsausfall und für eine vergleichbare Qualität der Bildungsabschlüsse in Deutschland getan«.

Ähnlich kritisch wird der Stand in Sachen Pflege von Verbänden bewertet. »Aus Sicht des Paritätischen Wohlfahrtsverbands sind die von Union und SPD vereinbarten Verbesserungen bei der Pflege nicht annähernd ausreichend, um den Pflegenotstand wirksam zu beheben«, heißt es da unter anderem. Sollten dem Sofortprogramm für 8.000 neue Stellen in der medizinischen Behandlungspflege keine weiteren verbindlichen Schritte folgen, sei das allenfalls ein »Trostpflaster«, das die Dauerkrise in der Pflege nicht heilen könne. Der Bundesverband privater Anbieter sozialer Dienste nannte den Stand der Verhandlungen »enttäuschend«. Es sei weder klar, wer eine bessere Pflege unter dem Strich finanzieren werde, noch wo die benötigten Fachkräfte herkommen sollen. Der Deutsche Caritasverband begrüßte »grundsätzlich« die Einigung, zeigte sich über die genannten 8.000 zusätzlichen Stellen aber auch enttäuscht.

Breite Kritik der Verbände an Regelung zum Familiennachzug

Besonders kritisch wird die GroKo-Einigung zum Familiennachzug für Flüchtlinge mit subsidiärem Schutzstatus gesehen. Das Deutsche Kinderhilfswerk sprach von einer »menschenrechtlichen Katastrophe«. Die jetzt geplante Lösung sei »ein Kompromiss auf dem Rücken von unbegleiteten, minderjährigen Flüchtlingen«. Die Organisation Terre des hommes sieht in der Vereinbarung einen »traurigen Deal auf dem Rücken schutzbedürftiger Flüchtlingskinder. Die strikte Begrenzung des Familiennachzugs widerspricht dem im Grundgesetz verankerten Schutz der Familie und den Bestimmungen der UN-Kinderrechtskonvention.«

Der Paritätische Wohlfahrtsverband kritisierte die Einigung ebenso als »inhuman«. Die bestehende Härtefallregelung ist aus Sicht des Verbandes »völlig unzureichend, da sie nur für ganz wenige Ausnahmen gilt und an der Lebensrealität der Betroffenen vorbei geht«. Auch bei der Evangelischen Kirche in Deutschland zeigte man »große Besorgnis«.

Im ARD-Deutschlandtrend sagten 54 Prozent der Befragten, die GroKo-Pläne zum Familiennachzug gingen in die richtige Richtung, 38 Prozent erklärten, dass er in die falsche Richtung geht. Allerdings ist bei dieser Umfrage nicht belastbar zu deuten, wem im Lager der Ablehnung der »Kompromiss« zu weit geht – und wer den Familiennachzug lieber ausgeweitet gesehen hätte.

In dem Zusammenhang ist auch auf die Diskurspolitik der Beteiligten hinzuweisen. »Subsidiär Schutzberechtigte« steht für Menschen die von Folter und Tod bedroht sind, doch das ist vielen gar nicht klar – was es denen einfacher macht, die den Schutz für diese Menschen unterminieren wollen. Wenn man so will: Auch hier hat sich die Union durchgesetzt.

Geschrieben von:

OXI Redaktion

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