Wirtschaft
anders denken.

Die herrschende Ökonomie – ein Männerding

21.09.2017
Amidasu, Lizenz: CC BY-SA 3.0Sie sehen hier häufig zitierte Ökonominnen und Nobelpreisträgerinnen

Die Lehre von der Ökonomie ist eine der männlichsten Männerdomänen überhaupt. Auch eine alternative Wirtschaftsordnung wird, so scheint es, von Männern erdacht. Doch konstruierte Geschlechterverhältnisse müssen nicht so bleiben.

98 von 100 ÖkonomInnen, die am häufigsten zitiert werden, sind Männer. 77 von 78 WirtschaftsnobelpreisträgerInnen ebenfalls. Wenn es um Ökonomie geht, scheint es keine Expertise von Frauen zu geben. Dem Autoren Andreas Sator stößt das auf und er schreibt auf der Webseite des österreichischen »Standard« über die Frage, warum die Ökonomie, die Wissenschaft im Allgemeinen fest in Männerhand sind und welchen Beitrag Journalistinnen und Journalisten leisten, um dieses Desaster in die Welt zu tragen und durch die Berichterstattung fortzuschreiben.

Wie wählen wir unsere Interviewpartner aus, wer gilt in unseren Augen als wirtschaftsweise und wem ordnen wir dann die eher weichen Themen zu? An der Stelle ist anzumerken, dass die Ungleichbehandlung der Geschlechter zwar in der ökonomischen Lehre besonders krass zu Tage tritt, wir aber auch in allen anderen Bereichen damit konfrontiert sind. Man muss sich nur mal über einige Monate hinweg die Zusammensetzung bei Polit-Talks anschauen und die Frage stellen, warum bevorzugt weibliche Moderatorinnen, bevorzugt männliche Expertise in die Studios setzen und sich an jedem Sonntagabend eine Alibi-Politikerin leisten, um nicht ganz und gar schlecht dazustehen.

Erfahrungen mit langer Geschichte

Wer Wirtschaft studieren wolle, brauche Mathematik, sagt der Autor. Und Mädchen erführen bereits in der Volksschule, dass sie darin schlecht sein sollten. Die Leserin denkt dabei sofort an die herzigen und halbherzigen Versuche hierzulande, die sogenannten MINT-Fächer (Mathematik, Informatik, Naturwissenschaften, Technik) zu fördern und dabei gezielt auch Mädchen und junge Frauen anzusprechen, weil: Deutschland hat ein Nachwuchsproblem.

Wenn Nachwuchs oder überhaupt Personal fehlt, diese Erfahrung, konnten Frauen in der Geschichte häufiger machen, kommen auch sie zum Zug. Das war in Kriegszeiten so, als sich Männer auf den Feldern der Ehre haben totschießen lassen, das war in Nachkriegszeiten so, als die überlebenden Männer – traumatisierte Krüppel – von der Front nach Hause kamen oder noch Jahre in Gefangenschaft verbringen mussten. Das Rollback war dann aber jedes Mal, kamen die Männer erst zu Kräften, umfassend und nachhaltig.

Aber zurück zu den Ökonominnen. In den Standardlehrbüchern der Ökonomie, in denen zur Theorie- und Wirtschaftsgeschichte, kommen sie nicht vor. Wahrscheinlich, mag der eine oder andere denken, weil es sie nicht gab. Das ist weit gefehlt: Jane Marcet, Harriet Martineau, Harriet Taylor Mill, Barbara Bodichon, Clara Elizabeth Colet, Ada Heather Big, Charlotte Perkins Gilman, Käthe Leichter, Adelheid Popp, Stephanie Hermann-Braun. Als ich in dem Buch Feministische Ökonomie von Bettina Haidinger und Käthe Knittler diese Namensliste las, war mein erster Gedanke: Verdammt, davon kennst du gerade mal drei.

Konstruierte Geschlechterverhältnisse

Damals wie heute hatten es Ökonominnen vergleichsweise extrem schwer, sich Gehör zu verschaffen, im 19. Jahrhundert waren Frauen von höherer und beruflicher Bildung sowieso weitgehend ausgeschlossen. Heute ist es schwieriger, eine Antwort auf die Frage zu finden, warum und mit welchen Methoden Frauen in der Ökonomie diskriminiert werden. Aber dass sie diskriminiert werden, ist unbestritten.

Konstruierte Geschlechterverhältnisse haben eine lange Halbwertzeit. Die gesellschaftliche und kulturelle Konstruktion und die sich daraus ergebenden festgefahrenen Verhaltensweisen und Beziehungsmuster wirken umfassend. Die Ökonomie, bzw. die Lehre von der Ökonomie ist möglicherweise nach der kriegerischen Arbeit eine der männlichsten Männerdomänen überhaupt.

»Die Ökonomie zieht aber nicht nur deutlich mehr Männer an, sie spuckt auf dem Weg nach oben auch mehr und mehr Frauen aus«, schreibt Sator. »Wenn ein Drittel der Studierenden Frauen sind, aber nur zwei Prozent der Top-Ökonomen, dann passt da etwas nicht.«

Oh doch, es passt schon. Es entspricht dem Gang der Dinge seit jeher. Und schaut man sich die Geschlechterverhältnisse bei denen an, die über eine neue, postkapitalistische Wirtschaftsordnung nachdenken, darüber Bücher schreiben, ins Fernsehen kommen, Vorträge halten etc., dann sind sie auch da nicht anders. Gibt man bei Google »Postkapitalismus« ein und schaut, wann Paul Mason abgelöst wird durch – zum Beispiel – Naomi Klein, braucht man viel, viel Geduld. Auch die nächste Wirtschaftsordnung wird, so scheint es, von Männern erdacht. Der Schein trügt. Aber unser reflexhaftes Verhalten, wenn es darum geht, Wirtschaftskompetenz abzufragen und der Öffentlichkeit zu präsentieren, verhilft ihm zu Deutungsmacht.

Geschrieben von:

Kathrin Gerlof

OXI-Redakteurin

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