Wirtschaft
anders denken.

Die Kunst, der Markt, das Geld

07.04.2017

Die Kultur- und Kreativwirtschaft (KKW) gibt es nicht wirklich. Sie ist ein statistisches Konstrukt. Sehr viele der MusikerInnen und DesignerInnen, SchauspielerInnen und JournalistInnen, MalerInnen und ArchitektInnen kommen wirtschaftlich aber nur mit Mühe über die Runden.

Was sie nicht alles sein soll: »eine Zukunftsbranche mit Modellcharakter für zukünftige Arbeits- und Lebensformen«, der Vorreiter »in eine wissensbasierte Ökonomie in Deutschland«, so das Bundeswirtschaftsministerium schon 2009. Gemeint sind elf Teilbranchen von der Filmwirtschaft bis zur Werbebranche, die mit knapp 150 Milliarden Euro pro Jahr mehr umsetzen als die chemische Industrie. Ihr besonderes Kennzeichen: Die Produkte kreativen Schaffens haben einen Doppelcharakter, sie sind Kultur- und Wirtschaftsgüter zugleich.

Die KKW umfasst insbesondere Aktivitäten, die professionell mit Deutung und Gestaltung zu tun haben. Und deren Anteil an der Gesamtwirtschaft wächst stetig. Die großen Agenturen, Produzenten, Verlage, Veranstalter und Vermarkter gehören dazu. Die kommen wirtschaftlich gut zurecht, wenn sie die Digitalisierung nicht verschlafen. Es gibt aber auch die »kleine Kulturwirtschaft«, die künstlerischen und publizistischen FreiberuflerInnen, die Klein- und Kleinstbetriebe. Sie wollen entweder eigene Ideen auf den Markt bringen oder liefern den großen zu – auch den öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten. Sie springen ein, wenn die Festangestellten in Urlaub oder krank sind oder einzelne Projekte mehr als das feste Personal erfordern. Aber viele dieser unentbehrlichen Kreativen erreichen, von wenigen Stars abgesehen, das Existenzminimum nur mit Mühe.

Arme Poeten sind unter uns

Es ist ein Dauerproblem: Die KulturwissenschaftlerInnen Karla Forbeck und Johannes Wiesand veröffentlichten vor etwa 40 Jahren (1975) den Künstlerreport, eine systematische Untersuchung mit dem Ergebnis: Die in Kulturberufen Tätigen leben im Schnitt in schlechter wirtschaftlicher Lage. Einige Jahrzehnte später, im Dezember 2007, berichtete die Enquetekommission »Kultur in Deutschland« über die bescheidenen Einkommen der KünstlerInnen. Und forderte Abhilfe.

Die wäre weiterhin nötig: Überdurchschnittlich viele, die in dieser Branche arbeiten, sind Selbstständige und ein extrem hoher Anteil hat einen Jahresumsatz von weniger als 17.500 Euro. Sie müssen sich mit berufsfremden Arbeiten wie Kellnern oder Taxifahren finanzieren, werden von Familienangehörigen oder der öffentlichen Hand unterstützt. Spitzwegs arme Poeten sind noch immer unter uns, auch als MusikerInnen oder BildhauerInnen, und es gibt nach wie vor VerfechterInnen der reinen Kultur, die dies für die eigentlich angemessene Existenzform der KünstlerInnen halten — und jede erwerbswirtschaftliche Orientierung für verwerfliche »Ökonomisierung«.

Viele dieser unentbehrlichen Kreativen erreichen das Existenzminimum nur mit Mühe.

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Aber: Kunst und Kultur waren und sind immer auch Wirtschaftsgüter, die Kulturschaffenden auch Gewerbetreibende – früher bei Hofe, heute auf dem Markt. Es werden in diesen Berufen, insbesondere an Kunstakademien und Musikhochschulen, viel mehr junge Menschen ausgebildet, als öffentlich finanzierte Kultureinrichtungen brauchen. Sie müssen entweder den Beruf wechseln oder ihre Qualifikationen anderweitig vermarkten. Was kann der kleinen Kulturwirtschaft helfen? Wie könnte es dem »kreativen Prekariat« künftig besser gehen?

»Kreativpiloten« werden gefördert

Der Bund, viele Länder und Städte machen seit 2007 einiges – beispielsweise angeschoben von der »Initiative Kultur und Kreativwirtschaft« des Bundes: Die Kreativen und KünstlerInnen können sich beraten lassen, wie sie sich am besten selber helfen, wie sie ihre Fähigkeiten realistisch einschätzen und Dienstleistungen und Produkte entwickeln, die am Markt eine Chance haben – um ein halbwegs stabiles Einkommen zu erreichen. Besonders gefördert und ausgezeichnet werden jedes Jahr 32 »Kreativpiloten«, meist junge FreiberuflerInnen oder Kleinstunternehmen, deren Geschäftsideen als beispielhaft gelten; ihnen wird vor allem geholfen, ihre Ideen wirtschaftlich umzusetzen, KooperationspartnerInnen zu finden und sich zu vernetzen.

Ein Beispiel: die »Morethanshelters GmbH«, ein interdisziplinäres ExpertInnen-Team, das lebenswerte Bedingungen für Geflüchtete und hilfsbedürftige Menschen schaffen will. Die Firma entwickelt gemeinsam mit den Betroffenen Unterkünfte, die deren Leben besser entsprechen als die bisherigen: »Es ist unser Ziel, ein individuelles Zuhause für die Menschen zu schaffen, die in eine Notsituation gezwungen wurden, und ihnen die Chance zu geben, sich selbst zu helfen.« »Morethanshelters« betreibt Unterkünfte in Jordanien, Nepal, Griechenland und Hamburg, plant gerade ein neues Projekt in Syrien. Die traditionellen Hilfsorganisationen tun sich etwas schwer, solch innovative neue Konzepte einzubeziehen. Es gibt gelegentliche Kooperationen, doch ohne selbst organisierte Finanzierung und Spenden könnte »Morethanshelters« nicht aktiv sein.

Gute Beratung ist oft hilfreich. Viel weiterreichend wäre es jedoch, wenn sich systematisch Menschen mit künstlerisch-kreativen und technisch-handwerklichen Qualifikationen zusammentun würden, und genau das von der Politik und den öffentlichen Verwaltungen gefördert würde: »Die Kreativen« arbeiten mit, wirtschaftliche, soziale und ökologische Probleme zu lösen, so wie die »Morethanshelters GmbH«. Nach der Devise von Albert Einstein: »Probleme kann man niemals mit derselben Denkweise lösen, durch die sie entstanden sind«, muss man die Arbeit an bisher ungelösten Aufgaben anders angehen als bisher.

Begegnungen einer neuen Art

»Kulturpolitik ist keine Instanz, der das Wohlergehen selbstständig arbeitender Künstler am Herzen liegt«, schrieb der Kultursoziologe Dieter Haselbach 2014 in den »Kulturpolitischen Mitteilungen«. Das sollte nicht so bleiben. Die Kulturpolitik müsste also über ihre bisherige kleine Welt hinausdenken: Den freiberuflichen KünstlerInnen, MusikerInnen, AutorInnen und FilmemacherInnen helfen, dass sie mit ihren Fähigkeiten auch jenseits der Künste ihr Geld verdienen, indem sie z.B. an Mobilitätskonzepten, Umweltschutz, Gesundheitsvorsorge, bei der Integration von Flüchtlingen, beim Bau neuer Stadtteile und an Produkten mitarbeiten, die nachhaltig und zugleich marktfähig sind.

Das erfordert Begegnungen einer neuen Art: Wenn bei solchen und anderen Projekten traditionelle mittelständische HandwerkerInnen und UnternehmerInnen auf KreativwirtschaftlerInnen treffen, begegnen sich zwei kulturell fremde Welten. Die entsprechenden Hindernisse lassen sich am besten überwinden, wenn sie zusammen an konkreten Projekten arbeiten, miteinander Erfahrungen sammeln. Die öffentliche Hand kann und sollte mit entsprechender Auftragsgestaltung diese Kooperationsfähigkeit einfordern, denn heterogene Teams sind innovativer und produktiver als homogene. Auf die Ergebnisse dürfte das Publikum sehr gespannt sein.

Dieser Beitrag erschien in der OXI Märzausgabe 2017.

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