Die letzte Bundesregierung der guten alten Zeit
Der nun vorliegende Entwurf des Koalitionsvertrags ist Dokument einer zu Ende gehenden Epoche, er ist Ausdruck von etwas, das man die gute alte Zeit nennen wird. Gut waren die natürlich nie. Aber das, was nach Merkel kommen könnte, macht Sorgen.
Dieser Koalitionsvertrag ist eine große Klatsche für Angela Merkel, weil die Schrumpf-SPD so viele wichtige Ministerien bekommen hat. Sagen die einen. Das Ergebnis ist eine schlimme Niederlage für die Sozialdemokratie, weil sich in den Verhandlungen nur von einer SPD vertreten wurde, die kaum zählbare »Nachbesserungen« erreichte. Sagen andere.
Es gibt natürlich noch viel mehr parteipolitisch motivierte Lautsprechereien, die ihren Ausdruck etwa in der (mitunter frohlockend klingenden) Behauptung finden, dass die SPD sich hier ihr eigenes Grab schaufele. Es gibt Leute, denen vor allem die Klimapolitik unterbelichtet ist. Es gibt andere, die sich über Details des Entwurfs freuen. Die Kapital-Lobby findet das Ergebnis »scheußlich«, weil es ihr zu sozial ist. Wohlfahrtsverbände finden das Ergebnis schlimm, weil es zu wenig sozial ist.
Es werden Wetten abgeschlossen darüber, dass die SPD-Basis dem Text nie und nimmer oder eben doch ganz sicher zustimmen werde. Martin Schulz wird ob seines machttaktischen Erfolgs belobigt. Oder ob seines, nun ja: wankelmütigen Verhaltens gescholten. Und wer noch nicht den Videoausschnitt mit dem berühmten »Nie in eine Regierung unter Angela Merkel eintreten« des Noch-SPD-Chefs getwittert hatte – der hat es jetzt ganz bestimmt getan. Bald wird es noch mehr Videos geben, dann mit Andrea Nahles.
Vom Standpunkt der Unterhaltsamkeit aus betrachtet liegen die drei Parteien also eigentlich gar nicht schlecht. Was aber könnte man ernsthaft sagen über dieses Verhandlungsergebnis?
Dokument einer zu Ende gehenden Epoche
Vieles natürlich, aber vielleicht auch das: Der nun vorliegende Entwurf des Koalitionsvertrags ist ein Dokument einer zu Ende gehenden Epoche, er ist Ausdruck von etwas, das man die gute alte Zeit nennen könnte – weil nicht auszuschließen ist, dass das, was später folgt, viel schlimmer sein wird. Ja: Den 177 Seiten Kleinteiligkeit fehlt es an jeder Ambition zur großen Veränderung, sie sind aber damit eben auch Papier gewordene Kompromisskultur und bezeugen eine Ähnlichkeit politischer Kräfte »in der Mitte«. Wobei diese »Mitte« hier weder eine soziale Kategorie ist noch ein politischer Ort, sondern eher ein Name für eine Zeit, die um das Jahr 2000 herum begann. Merkels Zeit.
Es ist vielfach der Kanzlerin als persönliche Eigenschaft zugeschrieben worden: der Ausgleich, die Zaghaftigkeit, das Übernehmen der Positionen anderer, wissend, dass sich das später vielleicht wieder auszahlen würde. Man hat das die Sozialdemokratisierung der Union genannt. Was nicht so schwer selbst für diese CDU und ihre halbrechten Kläffer von der CSU war, weil die SPD nicht eben eine besonders sozialdemokratische Phase hatte.
Merkel hat dabei eine Form des Politischen betrieben, die selbst aber auch nur Ausdruck von Verhältnissen sein konnte. Solchen, in denen eine Mehrheit sich weniger nach Polarisierung denn nach einer irgendwie praktischen Lösung sehnte, oft eine, die denen wehtat, um die sich noch weniger kümmerten. Solchen, in denen eine Mehrheit nicht nach Veränderung strebte, weil es sich wie auf einer Insel der Sicherheit in einem Meer der Unsicherheit anfühlte, natürlich auch das keineswegs für alle.
Fortschrittliche Antworten sind Mangelware
Diese guten alten Zeiten gehen vorbei. Richtig, sie waren gar keine »guten Zeiten«, jedenfalls nicht, wenn man andere Maßstäbe als Merkel anlegt. Dass mehr gegen die Klimakatastrophe getan werden müsste, gegen soziale Ungleichheit, gegen den kapitalistischen Krisenmodus, das Aufeinanderhetzen von Leuten, gegen Profite aus Rüstung und was sonst noch auf der langen Liste der Kritik an den Verhältnissen zu stehen hat, ist so richtig, wie eine fortschrittliche Antwort darauf derzeit allenfalls in vagen Skizzen formuliert ist. Von der politischen Durchsetzungsfähigkeit ganz zu schweigen.
Diese große Koalition, die nicht mehr allzu groß ist, was schon für sich genommen ein Beleg für das Ende der guten alten Zeit ist, die gar keine besonders gute war, wird die letzte ihrer Art sein. Beim nächsten Mal wird sich die große Sehnsucht nach Polarisierung in einem Wahlergebnis Ausdruck verschaffen – und das wird Konsequenzen haben.
Wenn eine Partei Feuer mit Benzin löschen will
Nicht etwa, weil dann erfüllt würde, was jene nun als Leerstelle beklagen: also »die großen Herausforderungen anpacken« und so. Sondern weil dann genau das Gegenteil passiert.
Ein »Heimatministerium« unter Führung einer CSU, deren Rhetorik zur Normalisierung der AfD mehr beigetragen hat als vieles andere, kündet schon von dem Kommenden. Bis zur Landtagswahl in Bayern wird man zu lernen haben, was es heißt, wenn eine Partei Feuer mit Benzin löschen will und dazu die Macht hat, aus Regierungsressourcen zu schöpfen. Oder das Stichwort Flucht und Migration: Ob die Obergrenze nun so heißen darf oder nicht, politisch ist hier schon viel mehr Österreich, als die meisten wollen, Schutzrechte werden zu Gnadenangelegenheiten und Lotterien. Was, wenn wirklich österreichische Verhältnisse kommen?
Mehr noch: Merkel hat, um der guten alten Zeit zusammen mit der SPD noch diese Ehrenrunde zu verschaffen, auch die in der CDU schon mit den Hufen scharrende Generation noch einmal abtropfen lassen. Irgendwer wird nachkommen, es werden nicht die Merkelisten sein, also Vertreter einer »zentristischen Kultur«, sondern eher Anhänger einer »neuen Klarheit«.
Darunter sind jene, denen die angebliche »Sozialdemokratisierung« der Union sozial- und wirtschaftspolitisch zu weit geht. Das hieße also: noch weniger Umverteilung, noch weniger Aussicht auf Stärkung des Faktors Arbeit gegenüber dem Kapital. Darunter sind auch solche, die bisweilen gar von »bürgerlichen« Mehrheiten reden und dabei sogar auch an die AfD denken.
Was würde eine Regierung der Polarisierung machen?
Wem jetzt aufstößt, dass es an großen Entwürfen, echten Reformen und zukunftsfähigen Schritten fehlt, der darf sich keinesfalls sicher sein, ob es »danach« besser wird. Polarisierung heißt übersetzt in Regierungspolitik: noch weniger für Alle, noch mehr für Wenige. Was jetzt als unambitioniert und kompromisslerisch erscheint, also hier ein bisschen Beschäftigtenschutz und da ein bisschen was für die Lobbyisten, hier ein bisschen Modernisierung und da ein bisschen Festhalten am Alten, wird dann ersetzt durch viel eindeutigere Politik zugunsten von Interessen.
Man soll sich angesichts der Lage der Linken nicht täuschen: Es wird dann künftig noch weniger um universelle soziale Rechte gehen oder darum, Brücken zu bauen, Gräben zu schließen etc. pp. Sondern um Ausschluss von anderen, um Zäune, die Wohlstand für irgendwelche Wir-Konstruktionen einhegen. Andere müssen draußen bleiben. Die »Bild«-Zeitung macht es vor: Politisches Engagement in Parteien – doch bitte nur für Biodeutsche!
Wer immer in der CDU demnächst Führung beansprucht, wird es unter der Losung tun, Merkel zu überwinden. Das ist nicht nur eine personelle Frage oder eine der Generation. Sondern wohl eine inhaltliche. Es klingt nicht zufällig sogar das Gebrülle der »Besorgten« darin ein wenig mit an, die das »System Merkel« an den symbolischen Galgen bringen wollen.
Ja, das sind keine guten Aussichten. Und es können auch keine Aussichten sein, an etwas festzuhalten, was man zu Recht kritisiert: eben, weil die guten alten Zeiten gar keine sind. Aber zwei Dinge zum Bedenken: Allein magisches Denken darüber, was sich bei einem noch möglichen Nein der SPD-Basis alles zum Besseren wenden würde, wendet leider in Wahrheit erst einmal gar nichts. Also auch nicht zum Besseren. Und was die Frage der durchsetzungsfähigen Alternativen angeht, die man mindestens europäisch denken müsste und die ein von einer Kritik der Politischen Ökonomie auf der Höhe der Zeit her entwickeltes Fundament braucht, wird man sich auch keine Illusionen machen können.
Die letzte Bundesregierung der guten alten Zeiten? Könnte sein, dass vielen erst dann auffallen wird, was es mit diesen Zeiten auf sich hatte, wenn sie endgültig vorbei sind. Nach der nächsten Wahl.
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