Wirtschaft
anders denken.

Die nationale Illusion

03.08.2016
Foto: PixabayDeutsche Exporte bestehen zur Hälfte aus zuvor importierten Gütern.

Die Rechte schreibt sich gern die Freiheit auf die Fahne – und meint Abschottung und Rückzug zwecks mehr »nationaler Souveränität«. Warum das in einer global verflochtenen Wirtschaft unmöglich ist.

Die rechten Parteien versprechen vor allem eines: Freiheit. Die österreichische FPÖ führt Freiheit im Namen und nennt sie »das höchste Gut«. Die niederländische PVV will den »Völkern die Freiheit zurückgeben«, Front-National-Chefin Marine le Pen feierte das britische Anti-EU-Votum als »Sieg der Freiheit«. Wovon die Rechten frei sein wollen, formuliert die Alternative für Deutschland (AfD) in ihrem Programm: »Freiheit von fremder Bevormundung«. Ausgedrückt ist damit eine Unzufriedenheit mit den weltpolitischen und -wirtschaftlichen Abhängigkeiten. Doch das Freiheitsversprechen der Rechten ist leer. Zumindest ökonomisch.

Zäune und Zölle zum Schutz der nationalen Interessen

Wozu die versprochene Freiheit taugen soll, sagen die neokonservativen PolitikeInnenr gleich mit: Kontrolle. »Vote leave – take back control«, warben die Brexit-BefürworterInnen: Wähle den Ausstieg aus der EU – übernimm wieder die Kontrolle. Denn wer die Kontrolle hat, der ist souverän. Ziel sei es, die nationale Souveränität wiederzugewinnen, so Le Pen und PVV-Chef Geert Wilders. »Wir gratulieren den Briten zu ihrer wiedererlangten Souveränität«, kommentierte die FPÖ das Anti-EU-Votum. In Deutschland wettert die AfD zwar pausenlos gegen die »überbordende Ausübung von Staatsgewalt« – aber nur nach innen. Gegenüber anderen Ländern propagiert sie den starken Staat, um ein »souveränes Deutschland« zu schaffen.

Die Haltung ist keine europäische Spezialität. Auch US-Präsidentschaftskandidat Donald Trump feierte, dass »unsere Freunde in Großbritannien beschlossen haben, wieder die Kontrolle über ihr Land zu übernehmen«. Das Programm heißt Rückzug, Heimat. Auch ökonomisch. Freihandelsabkommen wie Nafta bezeichnet Trump als »Vergewaltigung der USA«. Das Programm der Rechten zielt daher auf Abschottung, Zäune und Zölle zum Schutz der nationalen Interessen. Man sieht sich vom Ausland ausgebeutet. Was dabei übersehen wird: Die Weltwirtschaft ist mittlerweile so verflochten, dass Abschottung unmöglich ist. Die gemütliche Heimat, das sichere Hinterland, sie existieren nicht mehr und lassen sich auch nicht wiederbeleben.

Die wechselseitigen Abhängigkeiten – die die Rechten als Einschränkung nationaler Souveränität beklagen – lassen sich an zwei Sphären gut beschreiben: am globalen Handel mit Waren und am internationalen Kapitalverkehr.

Beispiel globaler Warenhandel

So ist der grenzüberschreitende Handel mit Waren und Dienstleistungen immer wichtiger geworden. Insbesondere die großen Unternehmen jedes Landes brauchen das Ausland als Absatzmarkt. So ist für Volkswagen China der größte Markt, nicht die Heimat. Etwa drei Viertel ihres Umsatzes machen die Konzerne aus dem Deutschen Aktienindex (Dax) jenseits des deutschen Marktes. Deutschland ist für sie zu klein.

Die Unternehmen verkaufen nicht nur ins Ausland, sie beziehen von dort auch Rohstoffe und billige Vorprodukte, um konkurrenzfähiger zu werden. Folge: In den letzten 35 Jahren ist laut Bank Unicredit die globale Wirtschaftsleistung um 150 Prozent gestiegen. Gleichzeitig wuchs der Welthandel um 900 Prozent. Globale Wertschöpfungsketten ziehen sich über die ganze Welt. In jeder ge- und verkauften Ware steckt immer mehr »Ausland«. So bestehen deutsche Exporte etwa zur Hälfte aus zuvor importierten Gütern, so die OECD.

Deutsche Exporte bestehen zur Hälfte aus zuvor importierten Gütern.

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Die Unternehmen ex- und importieren nicht nur Waren und Dienstleistungen, sondern auch Kapital, sprich: Sie kaufen ausländische Wettbewerber, beteiligen sich an fernen Projekten, errichten Fabriken und Verkaufsorganisationen in aller Welt. Bayer greift derzeit nach Monsanto, Fraport hat sich griechische Flughäfen gekauft, Henkel holt sich Sun Products. Die Deutsche Telekom hat die Telekoms von halb Osteuropa aufgekauft, die Deutsche Post ist durch Übernahmen zum weltgrößten Logistiker aufgestiegen.

Beispiel internationaler Kapitalverkehr

Laut Unicredit sind die weltweiten ausländischen Direktinvestitionen seit 1980 um 2.500 Prozent gestiegen. Die deutschen Unternehmen haben derzeit 1.600 Milliarden im Ausland angelegt, bis zum Jahr 2030 kämen weitere 1.200 Milliarden Euro dazu. Laut Deutscher Bank betrug die deutsche Rendite auf ausländische Direktinvestitionen in den letzten zehn Jahren über fünf Prozent.

Zählt man neben den Direktinvestitionen auch noch den Wertpapierbesitz und andere Anlagen mit, so beläuft sich Deutschlands Auslandsvermögen mittlerweile auf über zehn Billionen US-Dollar. Das entspricht der Wirtschaftsleistung von zweieinhalb Jahren. Diese Summe kann niemals mehr heimgeholt werden.

Nationale Autonomie ist eine Illusion

Aber nicht nur als Anlagesphäre ist das Ausland unersetzlich, auch als Kapitalgeber. Deutsche Anleger halten nicht einmal mehr 45 Prozent der Anteile an den großen Dax-Konzernen, der Rest gehört ausländischen Adressen. Bayer ist nur noch zu einem Fünftel in deutscher Hand, 68 Prozent der Daimler-Aktien und 85 Prozent der Linde-Aktien liegen in ausländischen Depots. AusländerInnen finanzieren 60 Prozent der deutschen Staatsschuld. Die große ausländische Nachfrage nach Bundesanleihen hat dazu geführt, dass der Bund seinen GläubigerInnen nur noch knapp 0 Prozent Zinsen zahlen muss.

Import und Export von Waren, Dienstleistungen und Kapital – Ergebnis ist eine globale wechselseitige Abhängigkeit, die nur theoretisch wieder rückgängig gemacht werden kann. Praktisch nicht. Der Traum von nationaler Autonomie bleibt ein Traum. Jedes Land ist ökonomisch auf die anderen als Absatzmarkt, Anlage, Rohstoff- und Kapitalquelle angewiesen. Jedes Land muss sich mit den anderen ins Benehmen setzen. Denn alle wissen, dass eine entfesselte Standortkonkurrenz niemandem nutzt.

Was die Rechten wirklich wollen

Die somit erzwungene Rücksicht auf die Interessen der anderen beklagen die rechten Parteien – und nicht nur sie – als Fessel nationaler Souveränität. Die daraus folgende Kritik an der »Globalisierung« ist allerdings weniger eine Beschwerde über die weltwirtschaftlichen Verflechtungen an sich, sondern eher eine Beschwerde darüber, dass sich dieses Arrangement für die je eigene Nation zu wenig lohnt: Alle Länder beklagen unzureichendes Wirtschaftswachstum, hohe und steigende Schulden, faule Kredite. Globaler Waren- und Kapitalverkehr spielt nicht mehr die erwünschten Erträge ein. Es sind die Nachwirkungen der Krise, die die Unzufriedenheit nähren und den Wunsch nach Souveränität und Kontrolle aufkommen lassen.

Da die wechselseitigen Geschäftsverbindungen nicht gekappt werden können, bleibt den PolitikerInnen nur ein Weg, dem Ziel der Souveränität wieder näher zu kommen: nicht Abschaffung der Verbindungen zum Ausland, sondern ihre Kontrolle. Und das bedeutet: Ausbau der nationalen Macht über andere. Denn nur wer das Ausland beherrscht, ist wirklich souverän, sprich: frei zu handeln. Alle rechten Parteien plädieren daher für einen Ausbau des Militärs.

Nur wer das Ausland beherrscht, ist souverän – das weiß auch die Bundesregierung.

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Und nicht nur sie. Bundeskanzlerin Angela Merkel fordert, dass Deutschland international »eine größere Rolle spielen« muss. Das deutsche Militär soll laut Bundesregierung »die gewachsene Rolle (Deutschlands) in der internationalen Sicherheitspolitik« absichern. Denn laut Außenminister Frank-Walter Steinmeier ist »Deutschland klar geworden, dass es seiner Verantwortung nicht entkommen kann«. Während die Rechten also noch von einem eher defensiven Rückzug in die Heimat träumen, ist die große Politik schon weiter. Offensive ist angesagt: Deutschland in alle Welt.

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