Wirtschaft
anders denken.

Die neuen Antikapitalisten? Front National und AfD

10.03.2016
Marine Le Pen hinter einem Rednerpult. Hinter ihr sind französische Flaggen.Foto: Blandine Le Cain / / flickr CC BY 2.0 Lizenz »Ni droite ni gauche« Marine Le Pen, Vorsitzende des Front National.

Wie links sind Front National und AfD? Ganz schön antikapitalistisch, meinen einige Medien und versuchen, den Linken daraus politisch einen Strick zu drehen.

Den Mindestlohn erhöhen, Nahrungsspekulationen eindämmen, die Macht der Finanzmärkte bekämpfen, die öffentlichen Dienste ausbauen, Steuern für Reiche und Großunternehmen erhöhen, die Banken in Teilen verstaatlichen, Preise kontrollieren – wer fordert das? Der rechte Front National (FN). Spätestens seit dem Jahr 2012 setzt die französische Rechtspartei auch auf diese Themen. Zuvor war der FN eindeutig unternehmerfreundlich und damit wirtschaftsliberal ausgerichtet gewesen: mehr Markt, für Privatisierungen, gegen den Sozialstaat. So ist in Deutschland auch die Alternative für Deutschland (AfD) gestartet. Zwar plakatierte sie von Anfang an und mitten in der Euro-Krise: »Die Deutschen zahlen, die Griechen leiden, die Banken kassieren« und »Rettungsschirme für Schulen statt für Banken«. Aber zu Beginn hatten eindeutig die Wirtschaftsliberalen das Sagen: mit dem Parteivorsitzenden Bernd Lucke und beispielsweise Hans-Olaf Henkel, einst BDI-Präsident. Wenn die AfD damals schon gegen das Freihandelsabkommen TTIP mit den USA war, dann allein um die deutschen mittelständischen Unternehmen zu schützen. Wie es mit der AfD nun in Sachen Wirtschafts- und Sozialpolitik weitergehen wird, das ist offen: Bisher gibt es keine verbindlichen Aussagen zu wichtigen Punkten, über wichtige Programmpunkte soll in diesem Frühjahr entschieden werden. Spitzenpolitiker lehnen einen gesetzlichen Mindestlohn beispielsweise ab. Im Kommunal-Wahlkampf in Hessen wurden dagegen sehr wohl Forderungen nach Mindestlohn erhoben, ebenso wie die Ablehnung von Privatisierungen öffentlicher Güter bekundet. Die Prognose sei gewagt: Um ebenso wie die FN ihre Wählerstimmen maximieren zu können, wird auch die AfD bald stärker als bisher die soziale Karte spielen; zumal der wirtschaftsliberale bis marktradikale Flügel um Bernd Lucke die Partei verlassen hat. Der Erfolg der FN wird anstecken: So sollen, laut Umfragen, bei den letzten Regionalwahlen in Frankreich mehr als 40 Prozent der Arbeiter FN gewählt haben.

Das klingt nach Links

Die Forderungen, welche die Rechten übernehmen, sind Forderungen, die seit langem von Linken vertreten werden, aus deren Kultur, Tradition und Denk- und Wertewelt stammen. Deshalb ist die Verwechslungsgefahr gering. Aber: In der öffentlichen Auseinandersetzung müssen die Unterschiede betont werden. Das Wissen um sie darf nie vorausgesetzt werden: Für Linke scheiden sich die Interessen zwischen Armen, Arbeitnehmern und Mittelständlern gegenüber Reichen und Großkonzernen. Für rechte Parteien liegen die Fronten zwischen den französischen Eliten und dem französischen Volk, den deutschen Eliten und dem deutschen Volk. Dieser Unterschied macht die zwei grundsätzlich anderen Welten aus, in denen Linke und Rechte denken und sich bewegen: Internationalität versus Nationalismus, Solidarität versus nationalem Egoismus, Demokratie versus autoritär-hierarchischen Gesellschafts- und Lebensformen, liberales Denken versus autoritärem Denken, Individualität versus Volksgemeinschaft.

Die Rückbesinnung auf den Nationalstaat

Das schlägt sich auch in den konkreten Forderungen der Rechten nieder: kriminelle Ausländer sofort abschieben, Vorrang für französische wahlweise deutsche klein- und mittelständische Unternehmen, Ausstieg aus dem Euro (FN: »Trojanisches Pferd der Ultra-Liberalisierung«) und Wiedereinführung von nationalen Parallel-Währungen, Sozialleistungen für Franzosen wahlweise Deutsche. Auch Linke diskutieren zurecht kritisch beispielsweise über Sinn und Unsinn des Instrumentes der Euro-Währung. Entscheidend für den grundlegenden Unterschied ist der Zusammenhang, in dem Rechte diskutieren und denken: Alles ist bestimmt von dem Rückzug auf den Nationalstaat, dessen Volk zudem möglichst homogen zu sein hat. Das Nationale schürt als grundlegendes Prinzip Ressentiments gegen »die da oben« und gegen die »anderen da draußen«; beides gehört zusammen und ist bei den Rechten nur in diesem Doppelpack zu bekommen.

»Ni droite ni gauche«

In der Neuen Züricher Zeitung (27. Februar 2016) gab es jüngst eine Analyse über die »national-sozialistische« Wende des FN. Verbunden wurde sie mit der These, links und rechts (ni droite ni gauche) seien nicht mehr zu unterscheiden, der FN vereinige beide politischen Seiten in sich; der FN selbst pflegt die Parole: »Weder rechts noch links – französisch«. Die Schlussfolgerung der Autorin: Es gebe eine inhaltliche Fusion »von xenophobem Nationalismus auf der einen und antiliberalen Etatismus auf der anderen Seite«. Das Angebot von Le Pen sei also »national-sozialistisch«. So ist für die Autorin Linkssein: nicht liberal und auf den Staat fixiert sein. Damit sind rechte Diktaturen gut beschrieben, mit einer Beschreibung von Linkssein hat das nichts zu tun.

In der Süddeutsche Zeitung (SZ) fasste jüngst der Autor unter der Headline »Was die Populisten gemeinsam haben« die Entwicklung so zusammen: Es gebe einen »Aufstieg des Populismus«. Die Gründe: Es gebe einen »Zorn über die Finanzkrise«, und vor allem Geringverdiener seien frustriert über deren Folgen. Es gebe linke Populisten (Bernie Sanders, Gegenkandidat von Hilary Clinton bei den US-Vorwahlen) und rechte Populisten (AfD, die Schweizer SVP mit ihrem Mentor Christoph Blocher, der Immobilien-Milliardär Donald Trump), und die gäben »oft die gleichen Antworten« auf die wirtschaftlichen Probleme. So sei auch Donald Trump für einen Mindestlohn, für Strafzölle auf Importe aus China; wie die Linke, so wird suggeriert, wenngleich nicht geschrieben. Das Wirtschaftsprogramm der FN fasst der Autor der SZ so zusammen: »ein stark nationalistisch gefärbter Sozialismus«. Auch hier ist das Bemühen zu erkennen, unter der Überschrift Populismus mehr zusammenzurühren denn zu unterscheiden. Ein Artikel in der Welt von Anfang März unter der Headline »Die neuen Antikapitalisten« toppt jedoch diese Anstrengungen des Verrührens. Eine »stramm linke« Wirtschaftspolitik wird dort am Beispiel Slowakei so definiert: ein starker Einfluss des Staates auf strategisch wichtige Unternehmen, die heimische Wirtschaft abschotten, Mindestbesteuerung großer Einzelhandelsketten. Wenn das links ist, dann wurden zahllose Länder von Japan bis Frankreich Jahrzehnte lang von Linken regiert.

Die soziale Karte

Dass die Rechte zunehmend die soziale Karte spielt und sich als Kritiker des erbarmungslosen weltweiten Wettbewerbes geriert, das kann niemand leugnen. Dies als Maskerade abtun, wird nur die eigenen Anhänger überzeugen. Bei einer Demonstration, die fordert, die Finanzmärkte endlich zu regulieren, kann immer einer oder eine neben einem stehen und sagen: gut, den reichen Rothschilds soll es endlich an den Kragen gehen. Und es wird diejenigen geben, die für den Mindestlohn eintreten, aber nur für die Deutschen, nicht für Ausländer und Geflüchtete. Das zwingt, eindeutig zu sein: es geht um das Soziale und das Demokratische, als zwei Seiten einer Medaille, als ein untrennbares Erfolgs-Duo. Das ist die Wegscheide.

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