Die plurale Ökonomik der Linken in voller Breite
Einerseits radikale Wachstumskritik von Niko Paech, andererseits fundamentalistische Kapitalismuskritik von Tomasz Konicz – dies seien zwei Extrempositionen linker Ideen, abgedruckt in der OXI-Monatszeitschrift vom Juni 2017, sagt Michael Wendl und sieht sich zu einer Kritik herausgefordert.
In OXI vom Juni 2017 wird ein interessanter Mix geboten. Einerseits die radikale Wachstumskritik von Niko Paech, andererseits die fundamentalistische Kapitalismuskritik von Tomasz Konicz, die im Rahmen der radikalen Kapitalismuskritik ein Alleinstellungsmerkmal aufweist: die »Wertkritik«. Es ist interessant, dass auf diese Weise sich ausschließende Extrempositionen linker Sozialphilosophien vorgestellt werden.
Zunächst die Gemeinsamkeiten: Eine Avantgarde verändert die Welt, einmal durch Vorbild, durch beispielhaftes Vorleben eines ökologisch korrekten Lebens. Ein anderes Mal durch Aufklärung über die Irrationalität des Kapitalismus. Hinzu kommt Alarmismus, die Zeichnung einer bevorstehenden Apokalypse.
Dann die Unterschiede: Einmal bestimmen die Lebensweisen der Konsumenten die Produktion und Verwendung von Gütern und Dienstleistungen, auf der anderen Seite sind die Menschen nur »Charaktermasken« und »Personifikationen« ökonomischer Verhältnisse, deren Gesetze sie folgen. Hier kommt dann eine spezielle, auf den Theoretiker Robert Kurz zurückgehende Sicht hinzu: Der »Wert« – gemeint ist die Zusammenfassung verschiedener privat verausgabter Arbeiten zu einer über den Markt hergestellten abstrakten Arbeit – bestimmt die Gesetze dieser ökonomischen Verhältnisse. Einen Einfluss der Konsumenten auf ihr Konsumverhalten gibt es in dieser Sicht nicht, weil dieser so konstruierte Kapitalismus nicht für die Bedürfnisse der Konsumenten produziert, sondern nur Mittel für die Verwertung des eingesetzten Kapitals ist.
Extrempositionen linker Sozialphilosophien
Paech und Konicz skizzieren hier zwei extreme Sichtweisen: Einmal die Annahme, dass die Menschen ihr Leben radikal ändern können, sobald sie ihren falschen Lebensstil erkannt haben und bereit sind, sich an einen radikal anderen Lebensstil zu orientieren, den eine kleine aufgeklärte Minderheit vorlebt. In der Sicht von Konicz handeln die Menschen dagegen als quasi bewusstlose Sklaven der Bewegung des sich selbst verwertenden Werts; der hier übrigens völlig anders als bei Marx zum Bewegungsgesetz wird, das die gesamte Gesellschaft übergreift, und eine Emanzipation nur durch Revolution möglich macht. Einschub: Für Marx war der Wert eine Größe, die die Gesetze des Warentauschs erklärt; sein Ziel war es, die gesellschaftliche Produktion anders zu regulieren.
Der zweite Unterschied besteht darin, dass bei Paech das Ideal einer neuen Postwachstumsgesellschaft in der Rückkehr zu einer vorkapitalistischen Idylle von bäuerlich und handwerklich geprägter Gesellschaft besteht. Diese wird im Rückblick nicht nur zu einer Idylle verklärt, sondern zudem von der Utopie getragen, dass die Rückentwicklung der gegenwärtigen Produktivkräfte zu einem besseren und nachhaltigeren Leben führen kann. Konicz stellt sich diese Frage nicht, möglicherweise, weil die bevorstehende »Endkrise« des Kapitalismus den von ihm kritisierten Fetischcharakter der ökonomischen Formen aufhebt. Dann müssen die Menschen nicht mehr entfremdet handeln, sondern wissen spontan, was sie zu tun haben, damit alles gut wird. Oder die politische Avantgarde, die sie erfolgreich über den Kapitalismus aufgeklärt hat, leitet sie dann zu den Handlungen an, die notwendig sind, um die künftige nichtkapitalistische Ökonomie zu steuern. Das ist zwar in der Geschichte grausam gescheitert, aber vielleicht klappt es beim zweiten oder dritten Mal.
Paechs Ausstieg aus der Industriegesellschaft
Interessanter ist die Sozialphilosophie von Paech. Im Kern präsentiert er ein altes Modell: Ausstieg aus der Industriegesellschaft und Rückkehr in vorkapitalistische Lebensweisen. Diese Lebensweisen werden dann ohne die ganze Armut und brutale Herrschaft und Ausbeutung gekennzeichnet, die sie in der Wirklichkeit gekennzeichnet haben. Es ist der Verein freier Menschen, eine Assoziation bewusster Teilung und Organisation der verausgabten Privatarbeiten. Eine schöne Utopie, gekennzeichnet – im Unterschied zum utopischen Sozialismus des 19. Jahrhunderts – von einer Verklärung des Vergangenen. Wenn wir dieses Modell von Paech tiefer hängen und es als individuelle Reaktion auf die gegenwärtigen Formen der Naturzerstörung und des unnötigen Konsums verstehen, so ist gegen dieses Modell eines alternativen Lebens nichts einzuwenden. Wer dazu bereit ist und es sich materiell leisten kann, soll so auch leben. Es ist auch sinnvoll, für eine solche Lebensweise zu werben. Das gehört zur Anerkennung einer Pluralität der Lebensstile. Eine solche Lebensweise lässt sich aber nicht dekretieren, weil viele Menschen unter Bedingungen leben und arbeiten, die ein solches Leben nicht zulassen. Es sind umfassende Veränderungen der gesellschaftlichen und ökonomischen Bedingungen nötig, um solche Lebensweisen auf eine breitere Basis stellen zu können.
Die damit verbundene Wachstumskritik ist jedoch wirklichkeitsfremd. Solange von der weiter wachsenden Weltbevölkerung (von aktuell 7,5 Milliarden Menschen) zwischen 1,5 und 2 Milliarden unter dem Existenzniveau leben, wird es Wachstum geben und geben müssen. Die Ansprüche dieser Menschen auf ausreichende Nahrung, auf Wohnungen, auf Bildung und Einkommen oberhalb der Armutsgrenze erfordern nach den Konventionen der volkswirtschaftlichen Gesamtrechnungen ein weiteres Wachstum der Wertschöpfung. Diese Berechnung von Wachstum steht in keiner direkten oder kausalen Beziehung zu den Prozessen der Naturzerstörung und des Ressourcenverbrauchs. Es kann beide Prozesse auch einschränken. Solange die Weltbevölkerung weiter wächst, wird es in der Weltwirtschaft Wachstum geben. Aus einer auf Europa und Nordamerika zentrierten Sicht ist es möglich, diese Herausforderungen an die Wertschöpfung zu ignorieren. Sicher können und sollten die Ober- und Mittelklassen in den reichen Gesellschaften auf Konsum und Reisen verzichten und ihre Lebensweise ändern. Aber sie werden das, wie Paech auch, selbst entscheiden müssen. Wie weit eine solche Vorbildfunktion wirken kann, ist offen.
Rückbesinnung auf eine Imagination
Die aus sozialwissenschaftlicher Sicht spannende Frage lautet: Warum findet in Zeiten schwerer ökonomischer wie politischer Krisen – bei uns auch eine Krise der demokratischen Legitimation – eine Rückbesinnung auf eine Imagination oder romantische Verklärung der Vergangenheit statt? Das gilt für die ökologische Linke wegen ihrer grundsätzlichen Wachstumskritik. Es gilt für die traditionssozialistische Linke für das Festhalten an einem Ideal von Sozialismus, das aus dem frühen 20. Jahrhundert stammt. Es gilt auch für die Rechte wegen deren Verklärung der segensreichen Wirkung der Marktkräfte. Gerade die neoklassische Doktrin hat das mit der Orientierung ihres ökonomischen Basismodells an Robinsons Insel vorgemacht und orientiert sich heute noch an einer Ökonomie des tugendhaft handelnden Einzelhaushalts (»schwäbische Hausfrau«). Mit dieser Verklärung vermeintlich einfacher, durchschaubarer sozialer Verhältnisse, die aus einer idealisierten Rückschau auf Vergangenes gewonnen werden, lassen sich die Herausforderungen gerade nicht erkennen: die aus wachsender Weltbevölkerung, der Übernutzung natürlicher Ressourcen und dem damit verbundenen Klimawandel entstehen. Es findet eine Rückschau auf ganz andere, lange überwundene gesellschaftliche und ökonomische Bedingungen statt. Das ist ausreichend, um die Wertigkeit unterschiedlicher Lebensstile zu begründen, wie sie beispielsweise der Soziologe Pierre Bourdieu mit seiner Theorie der Distinktion, der »feinen Unterschiede« oder vorher Thorstein Veblen mit der »Theorie der feinen Leute« (Theory of the Leisure Class) skizziert und begründet haben. Der Unterschied zu diesen Analysen besteht dann darin, dass nicht die Fähigkeit zu verschiedenen Varianten des Luxuskonsums als Unterscheidung verstanden wird, sondern die Fähigkeit zum einfachen Leben im Einklang mit der Natur. Nicht die Überwindung von Armut, körperlicher Arbeit und Beschränkung der Bedürfnisse wird gefeiert, sondern die Rückkehr zu diesen Verhältnissen wird als soziale und kulturelle Unterscheidung herausgehoben.
Zum Themenschwerpunkt »Weniger Wachstum – mehr Zukunft« im Juni 2017 erschien auf oxiblog.de auch Je gebildeter desto umnweltschädlicher.
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