Wirtschaft
anders denken.

Die Rückkehr der Rechten

10.03.2017
Donald Trump am Pult, nahFoto: Gage Skidmore / Flickr CC-BY 2.0 LizenzDonald Trump – Vertreter der postfaktischen Ära.

Die »post-faktische« Ära hat begonnen. Die Mainstream-Wirtschaftswissenschaft ist daran nicht ganz unschuldig. Auch um dem Rechtsruck etwas entgegenzusetzen, muss sich die Wissenschaft neu erfinden.

Die ersten Amtshandlungen des neuen US-Präsidenten sorgten weltweit für Irritation und Bestürzung. Nicht zuletzt deswegen, weil dem Immobilien-Milliardär mit Fakten nicht beizukommen ist. Ob massenhafte Wahlfälschungen, für die es keine Belege gibt oder Verbrechen von MigrantInnen, die nie begangen wurden – es zählt die gefühlte Wahrheit. Auch in Deutschland: Ob von Geflüchteten tatsächlich mehr Straftaten ausgehen und durch Migration tatsächlich Arbeitsplätze verloren gehen – beides ist wissenschaftlich nicht belegt – ist unwichtig. Wie der AfD-Vorsitzende in Berlin es ausdrückte: »Es geht nicht nur um die reine Statistik, sondern es geht da drum, wie das der Bürger empfindet. Das heißt also das, was man fühlt, ist auch Realität.« Ob die AfD in Deutschland, die Trump-Administration in den USA, der Front National in Frankreich oder die FPÖ in Österreich – »alterative Fakten« sind das Schmiermittel des neuen Nationalismus.

Wer entscheidet, was Fake News sind?

Doch Politik, die sich auf verdrehte Fakten stützt und dabei Ressentiments bedient, ist keine Erfindung der Neuen Rechten. Beispiel Griechenland. Als die ersten »Rettungspakete« geschnürt wurden, bildeten sich Legenden über Urlaubstage und das angebliche Renteneintrittsalter in Griechenland. Der CDU-Bundestagsabgeordnete Wolfgang Bosbach verkündete bei Günther Jauch ein Rentenalter von unter 56 Jahren – eine Zahl, die begierig von den Medien aufgegriffen wurde. Die Zahl war schlicht falsch – »Fake News« also?

Beispiel Rentenreform: Wissenschaftliche Studien und Presseberichte übertrafen sich in den 2000er- Jahren mit Warnungen vor der »Zeitbombe Demographie« (WELT). Die Hiobsbotschaften einer katastrophalen Überalterung, denen sich auch Franz Müntefering (SPD) anschloss, legitimierten die Einführung der kapitalgedeckten Altersvorsorge. Vor kurzem präsentierte die Bundesregierung alternative Fakten. Die Bevölkerungsentwicklung sei stabil. Die Privatisierung des Rentensystems wird jedoch nicht zurückgenommen.

Beispiel Freihandelsverträge: Eine Studie der arbeitgebernahen Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft (INSM) präsentierte 12 Fakten zu TTIP. Mindestens fünf dieser Fakten waren jedoch falsch oder stellten die Sachverhalte verzerrt dar. So wurde ein jährliches BIP-Wachstum von 119 Milliarden Euro versprochen, wobei es sich eigentlich um einen langfristigen, einmaligen Effekt handelte – und auch dem widersprechen viele Studien. Das INSM musste seine »Fakten« später korrigieren.

Wahrheit als Ideologie der Eliten

Natürlich besteht zwischen den frei erfundenen Wahlfälschungen Donald Trumps und den hier dargestellten tendenziösen bis verzerrten Wirtschaftsfakten ein entscheidender Unterschied. Bei TTIP, Demographie-Studien und griechischen Frührentnern wurden Tatsachenbehauptungen nachträglich revidiert. Der aufklärerische Bezugsrahmen, dass so etwas wie eine Wahrheit grundsätzlich existiert und man sich ihr empirisch annähern kann, bleibt erhalten. Die Strategie der Trump-Administration und der Neuen Rechten insgesamt besteht darin, »alternative« Wahrheiten zu erzeugen und dabei den Wahrheitsbegriff insgesamt zu überwinden. Wie Tadzio Müller in einem Beitrag in der Zeitschrift LuXemburg feststellt, wurzelt dieser »neuerliche Strukturwandel der Öffentlichkeit« in der Einseitigkeit des medialen und wissenschaftlichen Diskurses und der Wissenschaft. „Das Establishment hat die politische und mediale Wahrheitsproduktion wissenschaftlich und durch unzählige ›Expertenrunden‹ untermauert, um über Jahrzehnte eine Politik gegen die Interessen der gesellschaftlichen Mehrheiten durchzusetzen. Wahrheiten wurden so für viele gefährlich, wurden zu einer abzulehnenden Ideologie.“

Die einseitigen Wirtschaftsfakten, die die Liberalisierungs- und Kürzungspolitik der vergangenen Jahrzehnte begleitet hat und die besorgniserregende Faktenresistenz der Neuen Rechten scheinen also mehr miteinander zu tun zu haben, als es auf den ersten Blick scheint. Wahrheit wird relativ, weil sie zu lange instrumentalisiert wurde. Einseitige Medien und WissenschaftlerInnen haben mit dazu beigetragen, dass die Wahrheit ihren Wert verliert.

Die VWL – eine postfaktische Wissenschaft?

Die Wirtschaftswissenschaft steht seit der Finanzkrise zunehmend in der Kritik. Anstatt Probleme aus möglichst vielen Perspektiven zu betrachten, dominiert nur eine Sichtweise. Wie vor kurzem mehrere Studien (Beckenbach, Heise, Kapeller) zeigten, hat sich an dem mangelnden Pluralismus in der VWL in den letzten Jahren auch wenig geändert.

Diese Einseitigkeit hat politische Konsequenzen. So widerspricht zum Beispiel die weit verbreitete wirtschaftswissenschaftliche Grundannahme, freier Handel zwischen zwei Nationen sei quasi immer wohlstandsfördernd, der direkten Lebenserfahrung von Beschäftigten in peripheren Regionen, die durch die Zunahme des freien Handels ihren Arbeitsplatz verloren haben. Dies gilt für das Ruhrgebiet ebenso wie für abgehängte Regionen in England oder den USA. Auch die Annahme, Arbeitskräfte wären quasi unbegrenzt flexibel und dementsprechend in der Lage, ihren Wohnort zu wechseln, trifft so nicht zu. Sie bleiben im Ruhrgebiet, auch wenn die Industrie inzwischen woanders ist. Die von vielen ÖkonomInnen vertretene einseitig positive Einschätzung der gesamtwirtschaftlichen Effekte von Globalisierung ist also verfehlt. Sie hat dennoch mit zu einer Wirtschaftspolitik beigetragen, die die negativen Folgen der Weltmarktliberalisierung billigend in Kauf genommen hat.

So konnte wissenschaftlich legitimiert ein Loblied auf die Globalisierung gesungen werden, während die Fakten für einen großen Teil der Bevölkerung völlig andere waren. Dass die Verlierer dieser Prozesse nun gegen die Globalisierung rebellieren, ist naheliegend. Die Kritik an den negativen Konsequenzen der Globalisierung und der europäischen Wirtschaftspolitik kommt aktuell jedoch vor allem von rechts. Die etablierte Politik tut sich schwer, Fehler einzugestehen, um die Tendenz zur Renationalisierung nicht zu befeuern. Doch in dieser Situation weiter an marktliberalen Dogmen festzuhalten wäre verheerend. Rechte »Alternativen« würden weiter gestärkt, und die Probleme des 21. Jahrhundert, ob Ungleichheit, Hunger oder Klimawandel, nicht gelöst.

Ausweg: Transformative Wissenschaft

Der Wissenschaft kommt daher eine neue Aufgabe zu: Sie muss kritische Sichtweisen aufnehmen, um Alternativen möglich zu machen. Um die Wahrheit zu rehabilitieren, muss die Wirtschaftswissenschaft pluraler werden. Der Diskurs braucht wissenschaftliche Perspektiven, die sowohl die »Globalisierungsverlierer« und ihre Lebensrealität, als auch die problematisch hohen Emissionen unseres aktuellen Wirtschaftsmodells mit berücksichtigen.

Dafür müssen ganz neue Fragen gestellt werden: Wie sieht ein sozial-ökologisches Wirtschaftsmodell aus, dass gleichzeitig attraktive Arbeitsmöglichkeiten bietet? Wie kann die Produktion regionalisiert und auf nachhaltige Beine gestellt werden? Wie können sich periphere Regionen wirtschaftlich und gleichzeitig sozial und ökologisch entwickeln? Um solche Fragen zu beantworten, braucht es eine Wissenschaft, die sich selbstbewusst progressiv verortet und Lösungsansätze für eine soziale und gerechte Zukunft entwickeln will. Einen solchen Ansatz bietet die »Transformative Wissenschaft«. Sie bekennt sich einerseits dazu, dass Wissenschaft nicht wertneutral sein kann und daher immer »transformativ« wirkt. Andererseits bekennt sie sich zum Zukunftsprojekt einer sozial-ökologischen Transformation.

In der gesellschaftlichen Rechtsverschiebung der »post-faktischen« Ära fällt den Sozialwissenschaften die Aufgabe zu, über Kritik hinauszugehen und konkrete Alternativen und Pfade zum gesellschaftlichen Wandel aufzuzeigen. Die Wissenschaft kann zusehen, wie die »rechte Internationale« ihre Kinderschuhe verlässt, oder sie kann zu einer progressiven und innovativen Transformation der Gesellschaft beitragen, die den Herausforderungen unserer Zeit gerecht wird.

Das Netzwerk Plurale Ökonomik setzt sich seit Jahren für eine pluralere Wirtschaftswissenschaft ein.

Geschrieben von:

Samuel Decker und Jakob Hafele

Netzwerk Plurale Ökonomik

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