Wirtschaft
anders denken.

Die Schwarze-Null-Koalition

23.10.2017
Adam Carr / GemeinfreiBundesfinanzministerium in Berlin

Die Sondierung für eine Jamaika-Koalition läuft und alle pochen auf die  Schwarze Null. Am Dienstag geht es in den Gesprächen erstmals direkt um die Themen Steuern und Finanzen. Wie sich Union, FDP und Grüne vorher in Stellung bringen – ein Überblick.

Was von einer möglichen Jamaika-Regierung zu erwarten ist? Das lässt sich schwer sagen – dieser Tage wird unter anderem folgendes gemeldet: die Union wolle sich von der Mietpreisbremse verabschieden und die Grünen fordern die Berufung von zwei Vizekanzlern. Was wir auch schon gelesen haben: Die Freidemokraten wollen keinen CDU-Finanzminister. Ansonsten viele Streitpunkte. Was sich aber, gesetzt, Union, FDP und Grüne finden zusammen, bei einer schwarzen Ampel schon jetzt abzeichnet – es dürfte eine Schwarze-Null-Koalition werden.

Nun ist gegen eine bedachte Haushaltspolitik nichts einzuwenden, hier aber geht es um die Frage, welchen Stellenwert öffentliche Investitionen haben, wie bei einer aus vier Parteien bestehenden Regierung Kompromisse erkauft werden und wie sich das auf gesellschaftlichen Fortschritt auswirkt.

Nach den ersten Gesprächen zwischen den Parteien befinden wir uns im Stadium der Warnung: Jamaika könnte zu teuer werden. Was heißt zu teuer? CDU-Fachleute hätten ausgerechnet, dass »allein die bereits bezifferbaren Forderungen« der Parteien »in Summe weit über 100 Milliarden Euro« betragen. Beim CDU-Politiker Eckhardt Rehberg kommen noch höhere Werte heraus: »Wenn ich die FDP-Wünsche zusammenzähle, dann bin ich bei 180 Milliarden, bei den Grünen bei rund 150 Milliarden Euro. Und ich denke, da muss jeder der drei Partner für sich Prioritäten setzen.« Zugleich lasse sich »der vorhandene Spielraum im Bundeshaushalt der 19. Wahlperiode« nur auf »insgesamt etwa 30 Milliarden Euro über vier Jahre« beziffern.

Schwarze Null: Die Schuldenbremse im Grundgesetz

Das ist streng von der Schwarzen Null her gedacht, also von der Idee eines Haushaltes ohne neue Kredite. So steht es auch im Grundgesetz, was den Freunden solcherart von »Sparsamkeit« es erleichtert, sich auf der richtigen Spur zu sehen. Allerdings ist erstens die Schuldenbremse kein Naturgesetz, sondern eine aus einem bestimmten politischen Willen geborene Regel, der man keineswegs huldigen muss. Und zweitens stehen im Grundgesetz auch Ausnahmen vom Kreditaufnahmeverbot, die nicht nur bei Naturkatastrophen oder dergleichen ziehen könnten. Nach jetzigem Stand wären auch Kreditaufnahmen von bis zu zehn Milliarden Euro jährlich erlaubt.

Drittens wären auch dies denkbar: steuerliche Umverteilung von oben nach unten und zu Gunsten der Allgemeinheit. Man könnte an höhere Abgaben auf Profite, Vermögen, hohe Einkommen denken – was die potenziellen Regierungspartner aber nicht tun, jedenfalls nicht laut. Stattdessen sind Steuersenkungen vor allem für die so genannte »Mitte« versprochen worden. Bleibt es bei der Schwarzen Null und dem finanziellen Rahmen des Bundesetats in den kommenden vier Jahren, gehen Beobachter schon davon aus, dass mehr als eine 15 Euro leichte Entlastung pro Kopf und Monat nicht drin sein wird, die ebenfalls von den Jamaikafreunden geforderte Soli-Abschaffung dürfte auf die lange Bank gesetzt werden.

Wie groß ist der Spielraum? Steuerschätzung Anfang November

Wie groß der finanzielle Spielraum für die neue Regierung tatsächlich ist, weiß aber auch noch niemand genau. Laut Teilnehmern der Sondierungen soll darüber auch erst nach der kommenden Steuerschätzung gesprochen werden, berichtet Reuters unter Berufung auf die Gespräche. Die Steuerschätzung ist für den 7. bis 9. November geplant. Was man also jetzt schon hört, sind Schlachtgesänge und Stellungslieder.

»Bevor wir in einer Kurzschlussreaktion jetzt Milliarden unters Volk werfen, sollten wir an das Vermächtnis des Finanzministers Wolfgang Schäuble denken«, wird CDU-Mann und Finanzstaatssekretär Jens Spahn zitiert. »Die Schwarze Null steht nicht zur Disposition«, sagt der FDP-Politiker Wolfgang Kubicki. Der CDU-Haushaltspolitiker Eckhardt Rehberg will nicht nur keine neuen Kredite, sondern auch eine Verpflichtung auf einen Schuldenabbau von bis zu zehn Milliarden Euro im Jahr. CSU-Vize Christian Schmidt gab in der »Neuen Passauer Presse« zu Protokoll: »Es wäre ein falsches Signal, den Weg der Solidität zu verlassen. Neue Schulden belasten den Gestaltungsspielraum künftiger Generationen.«

Je mehr Koalitionäre, desto mehr Schuldenaufnahme?

Was aber tun, wenn man zugleich seine politischen Ziele durchsetzen will? Am Dienstag steht das Thema Haushalt und Finanzen erstmals auf der Tagesordnung der Sondierung. CDU-Generalsekretär Peter Tauber, der die Schwarze Null ebenfalls als Modus nachhaltiger Finanzpolitik ansieht, mahnte bereits eine »Prioritätenliste« für Ausgaben an: »Wir haben zum Beispiel gesagt, neben dem Ausbau der Infrastruktur ist die Entlastung der Familien für uns wichtig in den nächsten Jahren.« Andere Parteien hätten andere Wünsche, und »am Ende muss sich jeder in einem Koalitionsvertrag wiederfinden«.

In der FAS hat Ralph Bollmann dazu die Anmerkung hinterlassen, »je mehr Parteien sich auf eine Koalition einigen müssen, desto teurer wird es. Das zeigt der Blick in Länder wie Belgien oder Italien«, dort gebe es eine Vielzahl von Kleinparteien im Wettbewerb um die Regierungsmacht – und dort sei auch schon vor der Krise eine hohe Staatsverschuldung zu beobachten gewesen. »Wo Volksparteien dominierten oder ein Mehrheitswahlrecht galt, hatten die Finanzminister das Defizit besser im Griff.« Bollmann meint auch, dass sich in diesem Punkt die Forschung einig sei: »Je größer die Polarisierung der Parteien in einer Mehrparteienkoalition, desto größer die Verschuldungsneigung«, zitiert er den Münchner Ökonom Robert von Weizsäcker. »In parlamentarischen Demokratien mit Vielparteiensystemen steigen die Schulden schneller«, so Harvard-Kollege Alberto Alesina.

Die Frage des Spielraumes für Jamaika dürfte auch die Debatte um den Verkauf von Staatsbeteiligungen weiter anheizen. Schon länger wird von interessierter Seite auf den Verkauf der verbliebenen öffentlichen Anteile an Post und Telekom gedrängt – die Privatisierung soll den Breitbandausbau finanzieren. Mit FDP und Grünen wäre das möglich, hofft der Wirtschaftsflügel der Union.

Grüne wollen Vorrang für Investitionen

An diesem Dienstag kommen die Jamaika-Unterhändler wieder zusammen. Dann geht es erstmals direkt um die Themen Steuern und Finanzen. Dann werden allerdings auch die Grünen nicht zum Kampf gegen die Schwarze Null blasen. Allerdings hat ihr finanzpolitischer Kurs einen wahrnehmbaren Extraton: die Rolle der Investitionen. Fraktionschef Anton Hofreiter hat diese Forderung noch einmal erneuert, »für eine gute Zukunft braucht es Investitionen in Infrastruktur, Bildung, Europa, Klimaschutz und Zusammenhalt. Die Bedarfe sind enorm«, sagte er der »Passauer Neue Presse«. Und weiter: »Union und FDP haben im Wahlkampf üppige Steuersenkungen versprochen. Wie das mit den Investitionsbedarfen und einer soliden Haushaltspolitik zusammenzubringen ist, können sie uns jetzt ja mal vorrechnen.«

Die Grünen werden sich also eher gegen Steuersenkungen aussprechen, wenn dies im Gegenzug den Spielraum für Investitionen einschränkt. Auch der Grünen-Chef Cem Özdemir fordert diesen Vorrang. Seine Losung: »Haushaltsdisziplin und notwendige Investitionen stehen nicht im Widerspruch.«

Thomas Fricke hat in seiner Kolumne daran erinnert, dass die als führend angesehenen Wirtschaftsforschungsinstitute diagnostiziert haben, dass »die Ausgabenstruktur des Staates in dieser Legislaturperiode nicht zugunsten investiver Ausgaben verschoben« wurde. Die Investitionsquote habe sich so gut wie nicht verändert. So lasse sich, schreibt Fricke, »vielleicht für eine Weile noch eine schwarze Null halten. Langfristig droht Schäubles Nachfolger aber das Geld zu fehlen – weil der Wirtschaft ohne Investitionen irgendwann auch mal die Kraft ausgehen könnte, dem Kassenwart immer mehr Steuereinnahmen zu bescheren. Das alles spricht in der Tat für eine neue Finanzpolitik, in der es weniger um jährliche schwarze Nullen geht – und mehr darum, in die Zukunft zu investieren.« So eine neue Finanzpolitik steht nicht auf dem Zettel von Jamaika .

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