Wirtschaft
anders denken.

Die Sondierung, das Ergebnis, die Folgen: der OXI-Überblick

12.01.2018
Olaf Kosinsky (wikiberatung.de), Lizenz: CC BY-SA 3.0

Die SPD ist die politische Verliererin der Sondierung. Was sie in dem Ergebnispapier für sich als Erfolg reklamiert, steht im Schatten von CSU-Handschrift und Merkels Weiter-so. Für Schadenfreude von links besteht freilich kein Anlass.

Das sei sozialdemokratischer Suizid, rufen die einen. Hervorragende Ergebnisse, behaupten die anderen. Der Ausgang der Sondierung wird wenige Stunden nach Bekanntwerden der vorläufigen Einigung vor allem mit Blick darauf debattiert, was die SPD denn nun durchgesetzt hat – oder eben nicht.

Als Beispiel für die ziemlich verbreitete Ernüchterung darf gelten, dass über die Grenzen politischer Lager hinweg das Fehlen eines »großen Wurfs« beklagt wird. Irgendwie laufe alles auf ein »Weiter so« hinaus, die Große Koalition, die gar keine große ist, wolle offenbar als ihr eigener Reparaturbetrieb fortfahren. Ein Kommentar auf Twitter: »Alles soll so bleiben wie es ist aber Flüchtlinge mögen wir nicht.«

Darin dürfte eine bedeutsame Wahrheit stecken: Unter dem Strich hat sich die CSU beim symbolisch hoch aufgeladenen Thema Flucht und Migration durchgesetzt – es gibt eine De-facto-Obergrenze, der Familiennachzug bleibt massiv eingeschränkt, es soll »Asylzentren« geben und so weiter. Wenn es eine Botschaft in diesem Sondierungspapier ist, dann lautet sie: »Schluss mit ›wir schaffen das‹.« Das Ergebnis der Gespräche zeigt also auch, wie sehr Angela Merkel innerhalb der Union von rechts unter Druck steht.

SPD sieht sozialdemokratische Handschrift

Die SPD wiederum reklamiert eine starke sozialdemokratische Handschrift in dem Papier. Der Vorstand der SPD stimmte mit großer Mehrheit für die Aufnahme von  Koalitionsverhandlungen – 32 Ja, 6 Nein. Dazu wäre erstens anzumerken, dass SPD-Positionen nicht naturnotwendig auch sozialdemokratische sind. Zweitens gehört zur Politik dazu, dass Parteien eher an dem gemessen werden, was sie nicht geschafft haben – und weniger an kleinen Spiegelstrich-Erfolgen, deren Umsetzung ohnhin noch aussteht.

»Neben den 60 durchgesetzten Punkten aus dem Parteitagsbeschluss vom Dezember zur Aufnahme von Sondierungsgesprächen werden 19 weitere Punkte als Erfolge für die SPD aufgelistet«, heißt es mit Blick auf eine kursierende Positivliste. Die soll offenbar als Stimmungsaufheller für Delegierte und Basis dienen, denn bei der SPD muss zunächst ein Sonderparteitag am 21. Januar in Bonn über die Aufnahme von Koalitionsverhandlungen entscheiden. Über einen möglichen Koalitionsvertrag sollen dann noch wie 2013 die Mitglieder abstimmen.

Wenig überraschend ist, dass die parteipolitische Debatte nun von gegenseitigen Vorwürfen bestimmt ist: Grüne und Linkspartei haben der SPD bereits Bruch von Wahlversprechen vorgeworfen; jeder weiß eine Passage aus dem Sondierungspapier, aus der das angeblich absolute Versagen der Sozialdemokraten hervorgehen soll. Dass die Unternehmerlobby bereits Kritik an den – noch einmal: vorläufigen – Ergebnissen übte, findet dabei weniger Beachtung. Dies ist einerseits ein der SPD günstig erscheinendes Echo, kommt es doch vor allem deshalb zustande, weil die Sozialdemokraten doch den einen oder andern Punkt machen konnten.

Wie wäre sozialökologischer Kurswechsel möglich?

Es zeigt sich andererseits in der SPD-Fokussierung aber auch, dass es wenig Bereitschaft gibt, die real existierenden Grenzen zu debattieren, die derzeit einen sozialökologischen Kurswechsel offenbar unmöglich machen. Weder hätte eine solche Politik derzeit die Mehrheit der Abgeordneten im Bundestag, noch ist eine Mitte-Links-Mehrheit bei Neuwahlen auch nur annäherungsweise in Aussicht.

Unter diesen Bedingungen war es der SPD nicht unbedingt vorzuwerfen, keine Neuwahlen angestrebt zu haben. Und eine Minderheitsregierung unter Angela Merkel hätte in der aktuellen Lage alles andere als einen demokratiepolitischen Befreiungsschlag bedeutet. Auch Jamaika wäre ganz sicher kein Fortschritt im Vergleich zu diesem Ergebnis geworden.

Die SPD kann ihre derzeit schier aussichtslose Lage dennoch nicht auf andere abwälzen – die Mischung aus falscher Kursentscheidung unter Gerhard Schröder, der Unfähigkeit, daraus Schlüsse zu ziehen, als es noch einen politischen Tanzboden gab, auf dem man nach einer anderen Melodie hätte tanzen können, dem Ausbleiben einer »Erneuerung«, die diesen Begriff erst dann verdient, wenn es auch personell und programmatisch entsprechende Entscheidungen gibt, all das hat die SPD selbst in der Hand gehabt.

Die von links oft formulierte Behauptung allerdings, eine Erneuerung könne nur in der Opposition möglich sein, mag verständlich sein; zugleich aber pochen die, die so reden, meist auch auf die Position, es müsse erst von historischen Fehlern wie Hartz IV praktisch abgekehrt werden – was man wiederum nur in einer Regierung durchsetzen könnte. Allerdings: Bei dieser auch symbolisch für weit mehr als einen Teil ihres Kernklientel so wichtigen Frage wurde in den Sondierungen praktisch nichts Zählbares erreicht.

Ein paar erfolgreiche Punkte reichen nicht

Das kann auch durch kleinere SPD-Erfolge wie im Themenkomplex Rente und bei der Bildung (u.a. Wegfall des Kooperationsverbots) nicht kompensiert werden. Der wohl wichtigste Punkt, die Wiederherstellung der Parität bei den Beiträgen zur gesetzlichen Krankenversicherung, ist auch kein hinreichendes Trostpflaster für das Scheitern der SPD, wenigstens einen Einstieg in die Bürgerversicherung im Sondierungspapier zu verankern.

Die Ausgestaltung der Senkung des Solidaritätszuschlages bis 2021 um zehn Milliarden Euro könnte zwar tatsächlich auf eine Entlastung der mittleren Einkommen hinauslaufen, bei der hohe Einkommen weiterhin den Soli zahlen müssten. Aber die Beibehaltung des Spitzensteuersatzes auf dem derzeitigen, also niedrigen Niveau, ist eine schwere Schlappe aus SPD-Sicht.

Natürlich, eine 20-Prozent-Partei kann nicht 100 Prozent ihrer Ziele durchsetzen. Aber dann muss man dafür sorgen, dass man drei Erfolge einfährt, in denen mehr steckt als deren eigene nüchterne Summe. Mit einer deutlichen Korrektur bei Hartz IV, mit einem Einstieg in die Bürgerversicherung und mit einem Aufschlag bei der Besteuerung hoher Einkommen hätte die SPD drei Pflöcke einschlagen müssen, an denen man drei kleine Wimpel hätte aufhängen können: Wir haben verstanden, dass Selbstkorrektur nötig ist. Wir zielen auf Wiederherstellung gesellschaftlicher Solidarität. Wir fangen dazu ein Projekt der Umverteilung von oben nach unten an – und zwar auch unter ungünstigen politischen Bedingungen.

Die Sondierung ist nun anders ausgegangen. Für Schadenfreude darüber, dass die SPD dies womöglich bitter bezahlen muss, besteht kein sinnvoller Anlass. Es gibt keinen Grund anzunehmen, dass bei einem weiteren Verlust der Sozialdemokraten die anderen der Linken zugerechneten Parteien wachsen. Und: Wie stark die sozialdemokratische Linke ist, wird sich in den Ergebnissen des Parteitags und gegebenenfalls im Mitgliederentscheid erst erweisen müssen.

Geschrieben von:

OXI Redaktion

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