Die Trumps aus Bayern und was deren Kurs für progressive europäische Lösungen bedeutet
In der CSU wird nun immer aggressiver die Linie »Deutschland zuerst« verfolgt. Das sind nicht nur Provokationen von Provinzfürsten, die eine Regionalwahl in Bayern vor sich haben. Wo bisher auch deutsche Interessenpolitik in internationale Systeme eingebettet war, stehen Seehofer, Söder und Co. für eine nationalistische Regression weg vom Multilateralismus. Das hat Folgen auch für progressive europäische Lösungen.
Aus dem Krach, den zurzeit Bayern in Berlin machen, tönt eine Formulierung immer lauter heraus: Deutschland zuerst. Der bayerische Ministerpräsident Markus Söder sieht »die Zeit des geordneten Multilateralismus« zu Ende gehen, sie werde von »etwas abgelöst von Einzelländern, die auch Entscheidungen treffen«. Die Rolle Deutschlands resultiere daraus, »dass wir auch in der Lage sind, unsere Interessen selbst wahrzunehmen«. Und an anderer Stelle: Er, Söder, »glaube, dass erst dann Bewegung in Europa kommt, wenn Deutschland einen klaren Akzent setzt«.
Der Soundtrack nationalistischer Regression
Es geht hier um die Frage der umstrittenen Abweisung von Schutzsuchenden an den deutschen Grenzen. Doch was die CSU da tönt, reicht weit über Asylpolitik und das Migrationsthema hinaus. Es geht darum, in welchem internationalen Setting deutsche Politik betrieben wird. Kooperation? Gegebenenfalls könnte man ja deutsche Alleingänge wieder zurücknehmen, »wenn es einmal eine europäische Lösung gibt, dann kann man drüber nachdenken«.
Söder spricht hier keineswegs allein. CSU-Generalsekretär Markus Blume sagte in einer Zeitung: »Wir hoffen seit Jahren vergeblich auf eine europäische Lösung. Die ist ganz klar nicht in Sicht. Wir sollten nicht länger auf die Europäische Union warten, sondern selbst handeln, so wie es andere europäische Staaten auch tun.« Worum es also geht: um eine Abkehr vom Multilateralismus.
Der Soundtrack dazu wird auch anderswo gesungen. Der Ökonom Friedrich Heinemann etwa meint, »dass eine geschwächte deutsche Regierung in der wichtigen EU-Reformdebatte keine eigenen Akzente setzen kann und vielleicht sogar politisch überrollt wird von Frankreich und Brüssel. Wer mit Kämpfen nach innen beschäftigt ist, kann die Kämpfe nach außen nicht gut führen.« Europa nicht mehr als Raum des (schwierig zu erreichenden) Gemeinsamen, sondern des Jeder gegen Jeden.
Ein Europa des Jeder gegen Jeden
Beim Sender ntv heißt es, »Multilateralismus ist mehr als ein abstraktes Konzept aus Politikseminaren. Der Begriff meint, dass ein Staat nicht allein auf seine Macht setzt und versucht, seine nationalen Interessen ohne Rücksicht auf Verluste durchzusetzen, sondern sich mit mehreren Staaten abstimmt. Multilateralismus ist das Grundprinzip der deutschen Außen- und Europapolitik. Sie gehört zum Kern des Selbstverständnisses von CDU und CSU. Zumindest bislang war das so.«
Natürlich hat es auch bisher eine starke Durchsetzung deutscher (Kapital-)Interessen innerhalb zum Beispiel europäischer Gremien gegeben. Die exportnationalistische Gewinnerposition der deutschen Wirtschaft ist in transnationalen Regelwerken betoniert worden; die Rede von einem deutschen Europa kommt nicht von ungefähr.
Was aber das CSU-Gebell gefährlich macht, ist die grundlegende Abkehr von einem Prinzip, bei dem es zwar durch konkrete Anwendung Ergebnisse geben kann, die man kritisieren muss – siehe die aktuelle Beschaffenheit der EU-Politik -, das aber in jedem Fall auf einen Ausgleich mit anderen Regierungen orientierte, wodurch die so zu erzielenden Ergebnisse eben auch zu einem Faktor von politischen Kräfteverhältnisse werden. Was wiederum im Fall Deutschland zu einer objektiven Einhegung führte, die auch aus historischen Gründen von Nachbarstaaten dankbar gesehen wurde.
Neue und schwer zu überwindenden Hürden
Für die CSU also ist nun »die Zeit des geordneten Multilateralismus« vorbei. Die so sprechen, können bereits ein »Danach« formulieren: Was Söder und Co. anstreben, ist ein Zustand, in dem politisches Handeln mit Wirkungen für andere Länder und Regionen nicht mehr gemeinsam wenn auch bei asymmetrisch verteilten Kräften, sondern komplett »abgelöst von Einzelländern« verfolgt wird.
In der »Süddeutschen Zeitung« wird darauf hingewiesen, dass so ein Kurs in Bayern nicht allein steht, dass er zu einer größeren Entwicklungslinie gehört – einer gefährlichen nationalistischen Regression. Die bestehenden supranationalen Ordnungen und internationalen Institutionen werden »von einer Allianz der Zerstörer angegriffen, deren Paten in Moskau und Washington sitzen, deren Mitglieder aber auch bereits in Warschau, Budapest und Rom regieren. Und womöglich auch schon in München.«
Ein Problem dieser Rechtsradikalisierung der CSU und von Teilen der CDU besteht darin, dass ganz generell die Bühne für die politische Auseinandersetzung um die Zukunft etwa von Welthandel und der Europäischen Union davon betroffen sind. In Sachen des globalen Kapitalismus hat Joachim Bischoff hier bereits darauf hingewiesen, dass »mit einer Zerstörung der Welthandelsordnung«, wie sie derzeit unter anderem von Trump betrieben wird, »neue und schwer zu überwindenden Hürden für alle diejenigen« entstehen, »die eine neue Reform-Agenda auf den Weg bringen wollen«.
Zwei Elemente widerspruchsvoll verknüpft
Das Prinzip »Scherben bringen kein Glück« gilt auch für die europapolitischen Debatten ein Jahr vor der Europawahl. Wenn etwa der linke Europaabgeordnete Martin Schirdewan davor warnt, dass die Eurozone »aufgrund ihrer Konstruktionsfehler, die zugleich das Erstarken nationalistischer Kräfte begünstigen«, drohe auseinanderzubrechen, sind zwei Elemente widerspruchsvoll miteinander verknüpft.
Erstens werden hier die real existierenden Probleme der EU-Konstruktion angesprochen, also etwa die Dominanz ökonomischer Wettbewerbsprinzipien, der Euro, der Deutschland finanziell und wirtschaftlich von der relativen Schwäche der anderen Euro-Staaten profitierten lässt, die unzureichende soziale, wirtschaftspolitische und demokratische Integration. Zweitens wird darauf hingewiesen dass aufgrund dieser schiefen Konstruktion nun ein Rechtsruck befeuert wird, der auf diese Konstruktion selbst zerstörerisch zielt – siehe Söders Abgesang auf die »Zeit des geordneten Multilateralismus«.
Für das progressive Lager bedeutet dies, zur Verteidigung von Zuständen gezwungen zu sein, deren Aufhebung von rechts in die Katastrophe führen würde, die von links aber auch nicht als schon erreichtes Ziel von Politik gesehen werden können.
Im Bundestag ist bisher kaum beachtet ein Antrag der Linksfraktion eingebracht worden, mit dem »Ein demokratischer Aufbruch für Europa und ein Neustart der EU« gefordert wird. Darin wird auf die Folgen der »grundlegend falschen Konstruktion der Eurozone, der Europäischen Zentralbank (EZB), des Stabilitäts- und Wachstumspaktes sowie der neoliberalen Ausrichtung der EU-Verträge« hingewiesen. Die Problemanalyse kommt zu der Ansicht, dass »die aktuelle Konstruktion der EU und der Eurozone« einem in den Lissabon-Verträgen verankerten Ziel, nämlich »der zunehmenden Angleichung (Konvergenz) der Lebensverhältnisse«, entgegenstehe. Wirtschaftlich und sozialpolitisch entwickeln sich die Mitgliedstaaten auseinander.«
Linke Forderungen für eine andere EU
Als politische Gegengewichte sind in dem Antrag eine Reihe von Forderungen aufgelistet, mit denen sich vor allem ein neues wirtschaftspolitisches Fundament gießen ließe. Analog zum deutschen Stabilitätsgesetz von 1967 solle auch innerhalb der EU auf einen »ausgeglichenen Außenhandel zum Wohle der Beschäftigten in Deutschland sowie der europäischen Partner« gesetzt werden, Ziele einer solchen Verpflichtungen seien auch wachsende »Löhne sowie öffentliche Investitionen«. Deutschland solle »konkrete wirtschaftspolitische Maßnahmen zum Abbau der chronischen Exportüberschüsse« einleiten und sich »auf EU-Ebene für eine Sanktionierung dauerhafter Leistungsbilanzüberschüsse einsetzen«.
Eine europäische Schuldenkonferenz soll die Möglichkeit bieten, dass einzelne Staaten die milliardenschweren Steine von ihrem Hals losbekommen, eine befristete, EU-weit koordinierte Vermögensabgabe von Millionären soll zur Finanzierung des Lastenausgleichs beitragen, bis zur Neuformulierung der EU-Verträge sollen der Fiskalpakt ausgesetzt und eine »goldene Investitionsregel« eingeführt werden, die zivile öffentliche Investitionen von den Defizitkriterien von Maastricht ausnimmt. Über die EZB sollen »gemeinsame strategische Investitionen in Höhe von zwei Prozent des Bruttoinlandsprodukts – etwa in Forschung, Bildung, zur Bekämpfung des Klimawandels sowie der Jugendarbeitslosigkeit« ausgelöst werden. Auch arbeitsmarktpolitisch und die soziale Absicherung betreffend sind bessere transnationale Standards gefordert, etwa mit Blick auf die EU-weite Festlegung von nationalen Mindestlöhnen auf einem bestimmten Niveau. Und nicht zuletzt: »Im Wege der verstärkten Zusammenarbeit« wolle man »einen koordinierten Mindeststeuersatz von 25 Prozent auf Gewinne von Kapitalgesellschaften« anstreben.
Es gibt in dem Antrag noch weitere Forderungen, aber worum es hier vor allem geht: Selbst wenn die Linksfraktion einen Horizont aufmalt, der angesichts der gegenwärtigen Renationalisierung und des längst nicht mehr nur rhetorischen Angriffs der »Allianz der Zerstörer« wenig realistisch erscheint, nämlich »eine grundlegende Revision der EU-Verträge«, die »als unerlässlich« angesehen werden, so muss man eben doch eines immer wieder betonen: Was da angestrebt wird, wäre wenn nur im Rahmen »des geordneten Multilateralismus« umsetzbar: durch transnationale Kooperation, Vereinbarungen, gemeinsam oder eben gar nicht.
Foto: Ludwig-wagner / CC BY-SA 3.0
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