Wirtschaft
anders denken.

Die undenkbare Landreform Südafrikas

06.04.2018
Foto: Ben Luig

Die hysterischen internationalen Reaktionen auf die Landreform in Südafrika zeigen: Die Ungleichheit kann noch so extrem sein, das Eigentum der wenigen Großbesitzer von Land anzutasten, gilt als Sakrileg, ganz anders als noch im 20. Jahrhundert. Dabei ist die Option der Enteignung von Land fest in der südafrikanischen Verfassung verankert.

Hört man auf rechte Stimmen wie die des Vorsitzenden der AfD, Jörg Meuthen, so steht in Südafrika eine »Black Apartheid« gegen Weiße kurz bevor, die »nicht minder fürchterliche Konsequenzen wie die White Apartheid hätte«. Meuthen macht sich hier zum Sprachrohr der Suidlanders, eines rechtsradikalen Netzwerks, das seit Jahren in Südafrika die wirre Theorie eines »White Genocide« verbreitet. Unterstützung findet das Netzwerk auch bei US Nazis wie David Duke und dem Ku-Klux-Klan.

Fakt ist: Die südafrikanische Nationalversammlung hat am 27.Februar 2018 einen Prozess in Gang gesetzt, der darauf abzielt, einen Zusatz zu Artikel 25 der Verfassung zu formulieren. Dieser Zusatz sieht die Option der staatlichen Enteignung von privatem Agrarland ohne finanzielle Entschädigung (»expropriation without compensation«) vor. Die Fraktionen von ANC und EFF stimmten geschlossen dafür. Das Constitutional Review Committee des Parlaments soll nun bis Ende August eine Formulierung erarbeiten.

Das Paradoxe daran: Die gegenwärtige Verfassung (Artikel 25) erlaubt bereits die Enteignung von Land mit dem Zusatz, die Entschädigung müsse »just and equitable« sein. Da dies niemals näher definiert wurde, stand dem ANC seit 24 Jahren immer die Möglichkeit offen, weiße Farmer mit sehr geringer Kompensation zu enteignen. Diese hat er jedoch nie genutzt, sondern nach Marktprinzip Land von weißen Farmern aufgekauft. Eine zentrale Rolle bei der Abkehr von der eigentlich vorgesehenen Umverteilungspolitik spielte die Beratungsarbeit der Weltbank. Deren Konzept der »marktbasierten« Umverteilung, die einen freiwilligen Verkauf des Landes durch die Grundeigentümer vorsieht, scheiterte nicht nur in Südafrika, sondern auch in Ländern wie Brasilien und den Philippinen.

Die wirtschaftliche Bedeutung der Landfrage

Seit 1994 sind lediglich zwischen sechs und neun Prozent des Landes »umverteilt« worden, auf Basis des »willing-seller« Prinzips und mit finanzieller Kompensation zu (geschätzten) Marktpreisen. Über dreiviertel des Agrarlandes sind immer noch in der Hand weniger weißer Farmer. In dem gleichen Zeitraum wurden jedoch mehr als zwei Millionen schwarze Landarbeiter und Angehörige, die bis dahin auf den Farmen lebten, ohne jegliche Kompensation vertrieben. 40 Prozent der schwarzen Bevölkerung ist arbeitslos. Südafrika ist bis heute das Land mit der größten Ungleichheit weltweit. Eine umverteilende Landreform, so empfindet es die übergroße Mehrheit der Bevölkerung, steht noch immer aus. Wirtschaftlich ist die Landfrage und die Frage nach der Ausgestaltung des Ernährungssektors somit zentral, nicht zuletzt da er nach wie vor stark arbeitsintensiv ist. Auf eine Million investierte Rand kommen in der Landwirtschaft 4,5 Arbeitsplätze (im  Vergleich zu 2,94 Arbeitsplätze im gesamtwirtschaftlichen Durchschnitt), insbesondere durch aufstrebende (von schwarzen Bauern geführte) mittlere Agrarbetriebe. Zudem ist der nahrungsmittelverarbeitende Sektor der arbeitsintensivste Industriezweig im Land. Der Agrarsektor ist also ein zentraler Baustein in der Frage, wie die Wirtschaftsstruktur des Landes für die große Mehrheit der schwarzen Bevölkerung geöffnet werden kann.

Ein genauerer Blick auf die gegenwärtigen Strukturen entlarvt dabei den Mythos des hochproduktiven Betriebs der weißen Farmer, die auf keinen Fall angetastet werden dürfen. Nach Schätzungen des Agrarwissenschaftlers Ben Cousins etwa sind lediglich 7000 Agrarbetriebe, d.h. etwa 20 Prozent der Betriebe, die in der Hand von weißen Farmern sind, hochgradig produktiv und tragen die Basis der Exportlandwirtschaft und die Versorgung der wachsenden urbanen Bevölkerungen. In Bezug auf die übrigen 80 Prozent der Betriebe sei eine schrittweise, transparente Umverteilung durchaus wirtschaftlich sinnvoll.

Ein Blick zurück auf das 20.Jahrhundert

Die internationalen Reaktionen auf die aktuelle Landdebatte Südafrikas zeigen, wie panisch auf die Infragestellung des Prinzips des unantastbaren Privateigentums reagiert wird. Vergleichen wir die heutige Situation mit der zweiten Hälfte des 20.Jahrhunderts: Es galt im Kalten Krieg sowohl auf kapitalistischer wie auf staatssozialistischer Seite als Konsens, dass postkoloniale Staaten Landreformen benötigen, um produktivere Agrarstrukturen und Wachstum zu generieren. Dies war auch die Position der Landexperten der Weltbank wie Klaus Deininger. Die erfolgreichsten Landreformen , die es in Japan, Südkorea, Taiwan, Peru (in den späten 1960er und frühen 1970er Jahren) oder Ägypten (1950er und frühe 1960er Jahre) gab, waren hochgradig staatszentriert. Chile, die Philippinen oder Südkorea haben zudem gezeigt, dass umverteilende Landreformen keineswegs Investoren abschrecken, sondern auch anziehen können.

Kommen wir auf Südafrika zurück. Die brutale Ungleichheit und massenhafte Arbeitslosigkeit unter jungen schwarzen SüdafrikanerInnen bergen gegenwärtig einen enormen sozialen Sprengstoff. Nicht die Umverteilung des Landes, sondern das weitere Hinausschieben der Landreform wäre brandgefährlich.  Im letzten Jahr hat eine Fachkommission unter der Führung des ehemaligen Präsidenten Kgalema Motlanthe die gescheiterte Landpolitik detailliert ausgewertet und konkrete Vorschläge auf den Tisch gelegt. Sie zeigen: Ohne Enteignung und Umverteilung durch den Staat geht es nicht. Hieraus ergibt sich auch die zentrale Frage nach der gerechten Landzuteilung. Unter welchen Bedingungen und mit welcher Unterstützung soll künftig Land zugesprochen werden? Bis heute hat der ANC hierzu kein überzeugendes Konzept erarbeitet. Dass der ANC nun stattdessen die Enteignung »ohne Kompensation« in die Verfassung schreiben will, ist dem Wahlkampf mit Blick auf 2019 geschuldet. Es macht den schwierigen, aber notwendigen Prozess der Landreform nicht leichter.

Geschrieben von:

Benjamin Luig

Programmleiter Dialogprogramm Ernährungssouveränität RLS

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