Wirtschaft
anders denken.

Immer mehr Zombie-Firmen. Und was das mit der Krise des Bankensektors zu tun hat

17.12.2017
Bryan Ledgard , Lizenz: CC BY-SA 2.0

Immer mehr  Unternehmen werden nur noch durch die Niedrigzinsen am Leben gehalten, Firmen, die unter normalen Bedingungen ökonomisch nicht überlebensfähig wären. Die Existenz der Zombie-Firmen hängt eng mit der Krise des Bankensektors zusammen. 

Die OECD hat in einem Bericht vor den »Zombie«-Unternehmen gewarnt. Die Wissenschaftler sind aufgeschreckt wegen der großen Zahl der Unternehmen, die es nach den Gesetzen der Ökonomie eigentlich gar nicht geben dürfte: Die Niedrigzinsen hielten in vielen Ländern Unternehmen über Wasser, die unter normalen Bedingungen nicht überlebensfähig wären.

Schonungslos sprachen die Pariser Experten von »Zombie«-Firmen. Zombies sind Unternehmen, die zum Teil nur noch die (tiefen) Zinsen bezahlen können, aber nicht investieren und keine Innovationen auslösen. Ein weiterer Teil dieser Unternehmen kann selbst die Zinsen nicht mehr erwirtschaften. Als Hauptgrund für die Existenz dieser untoten Unternehmen nennt die OECD die Banken, die – weil oft selbst unsolide finanziert – davor zurückschrecken, Kredite fällig zu stellen.

Die Existenz der Zombie-Firmen hängt eng mit der Krise des Bankensektors zusammen. Angeschlagene Banken hoffen, dass sich angeschlagene Kreditnehmer doch noch erholen; daher verlängern sie faule Kredite immer wieder, statt sie abzuschreiben. Je schlechter es den Banken geht, desto stärker die Zombiefizierung der Wirtschaft insgesamt. Stattdessen würden die Betriebe mit weiteren Krediten am Leben erhalten, die wegen der Niedrigzinspolitik der EZB auch billig zu bekommen sind.

Warnungen der Bank für Internationalen Zahlungsausgleich

Auch die Bank für Internationalen Zahlungsausgleich (BIZ), Zentralbank für 60 Notenbanken weltweit, sah sich daher erst kürzlich zu einer Warnung veranlasst. Die hohe Zahl der Unternehmen, die nicht in der Lage seien, ausreichend Gewinne zur Deckung ihrer Zinskosten zu erwirtschaften, sei »besorgniserregend«, schrieb sie in ihrem Jahresbericht.

Zombie-Unternehmen bremsen den allgemeinen Aufschwung, weil sie Kredite binden, die für andere, erfolgversprechende Unternehmen fehlen, heißt es im OECD-Bericht. Sie tragen nicht nur direkt zu dem geringen Produktivitätswachstum bei, sondern vergiften auch gleich das Geschäft für die anderen Akteure im Markt. Und: Sobald die Zinsen steigen, werden es die Zombies viel schwerer haben, ihren Marsch fortzusetzen. Wenn dies zu Konkursen führt, hat das Auswirkungen auf den Rest der Wirtschaft.

In der Vergangenheit, als das Ausleihen von Geld noch richtig etwas kostete, gehörte das Abtreten der unprofitablen Unternehmen zum Selbstreinigungsprozess der Wirtschaft. Die jahrelange Anti-Krisenpolitik der Zentralbanken hat diesen Mechanismus außer Kraft gesetzt. Und je weiter die Zombiefizierung der Wirtschaft insbesondere in Europa fortschreitet, desto schwieriger wird es für die Geldhüter werden, ihre Politik zu beenden, ohne reihenweise Pleiten und damit die nächste Krise zu riskieren.

Zombie-Unternehmen vor allem im Süden Europas

In Europa finden sich Zombie-Unternehmen vor allem im Süden. In Italien etwa ist laut OECD der Anteil des Kapitals, das in solchen Firmen gebunden ist, zwischen 2007 und 2013 von 7 Prozent auf 19 Prozent gestiegen. In Spanien hat sich der Anteil auf rund 16 Prozent verdoppelt. Den mit Abstand größten Anteil (28 Prozent) von in Zombie-Unternehmen gebundenem Kapital gibt es in Griechenland.

Die traditionell stark fremdfinanzierte deutsche Wirtschaft profitiert enorm von der aktuellen Niedrigzinspolitik. Trotzdem konnte eine beträchtliche Anzahl der Unternehmen in den vergangenen drei Jahren ihre Zinsschulden nicht aus dem operativen Geschäft bezahlen. Das ist das Ergebnis einer vor kurzem veröffentlichten Studie von Creditreform, in welcher die Auskunftei Jahresbilanzen von 7.400 fremdfinanzierten Unternehmen aus allen Wirtschaftsbereichen und Unternehmensgrößen in Deutschland analysiert hat. In Deutschland liegt der Anteil von Zombie-Unternehmen laut OECD-Angabe bei 12 Prozent. im Betrachtungszeitraum 2014 bis 2016 konnten 15,4 Prozent der betrachteten Unternehmen ihre Zinsaufwendungen nicht aus dem Gewinn vor Steuern und Zinsen (Ebit) finanzieren.

Anteil der Zombie-Firmen doppelt so hoch wie vor der Finanzkrise 2008

Laut den Untersuchungen der Bank für internationalen Zahlungsausgleich liegt der Anteil der Zombie-Firmen in 14 der wichtigsten Industrieländer bei 10,5 Prozent, fast doppelt so hoch wie vor der Finanzkrise 2008. Es sei daher dringend an der Zeit, die Ressourcen für »produktivere Zwecke« einzusetzen. Ein klarer Seitenhieb in Richtung der Notenbanken: Immerhin warnt die BIZ seit Jahren vor den Nebenwirkungen der ultralockeren Geldpolitik – und vor dem Crash, zu dem das alles irgendwann führen wird.

Chris Watling von Londons Longview Economics hat in der »Financial Times« Zombie-Unternehmen näher betrachtet. Es handelt sich um Unternehmen, die in einem Zeitraum von drei aufeinander folgenden Jahren nicht genug Einnahmen vor Zinsen und Steuern erzielt haben, um ihre Zinszahlungen zu decken, und mindestens 10 Jahre alt sind (um junge Unternehmen von der Kreditaufnahme auszuschließen, um ihre Wachstumsphase zu finanzieren). Der Anteil der Zombies in den USA ist seit der Krise erschreckend gestiegen, 12 Prozent der Unternehmen sind als solche zu betrachten.

Mittlerweile ist der Trend global, ist aber in den meisten Ländern nicht so ausgeprägt wie in den USA. Rund 9 Prozent der von Longview befragten Unternehmen in 18 Ländern gelten als Zombies, Tendenz steigend.

Phänomen ist nicht nur auf die Industrie beschränkt

Die Nullzinspolitik trägt dazu bei, dass Unternehmen sich am Markt halten können, die bei höheren Zinsen Insolvenz anmelden müssten. Allerdings gebe es noch mehr Ursachen, etwa die schlechte Wirtschaftsentwicklung in Teilen Südeuropas, das Konkursrecht sowie die Bankenaufsicht.

Das Phänomen ist längst nicht nur auf die Industrie beschränkt. Auch der Bankensektor in der Euro-Zone ist alles andere als gesund. Vor allem in Italien und Spanien sitzen die Institute nach jahrelangen Rezessionen und einer geplatzten Immobilienblase auf einem Berg fauler Kredite. Ein Kartenhaus, das in erster Linie noch steht, weil die Europäische Zentralbank (EZB) die Wirtschaft mit milliardenschweren Anleihekäufen unterstützt – und dadurch zur größten Gläubigerin der Euro-Zone geworden ist.

Auch die PolitikerInnen haben sich an die Niedrigzinsen gewöhnt. Als  Zombie-Institutionen müssen auch einige Staaten in Europa eingestuft werden, deren Schuldenquote ab Überschreitung von gewissen Zinsschwellen ohne weitere Korrekturen stark ansteigen würde. Die niedrigen Zinsen haben den Mitgliedstaaten der Euro-Zone seit dem Jahr 2008 fast eine Billionen Euro an Erleichterung im Schuldendienst  gebracht, wie die Bundesbank jüngst schätzte. Die Bemühungen, die öffentlichen Finanzen zu konsolidieren, sind häufig auf der Strecke geblieben. Diese Praxis wird sich bei einem Zinsanstieg negativ bemerkbar machen.

Zinspolitik der Fed und der EZB

Wie erwartet hat die US-Notenbank Fed die Leitzinsen um einen Viertelprozentpunkt auf eine Spanne von 1,25 bis 1,5  Prozent angehoben. Es ist bereits die dritte Zinserhöhung im laufenden Jahr. 2018 sollen drei weitere Zinserhöhungen folgen. Für die aktuelle Anhebung der Zinsen stimmte auch der von Präsident Trump ernannte künftige Notenbankchef, Jerome Powell.

Drei Faktoren sind für die Geldpolitik der USA entscheidend: das Wirtschaftswachstum, der Arbeitsmarkt und die Inflation. Zwei der drei Kriterien sprechen deutlich für ein Anziehen der lockeren Geldzügel. Die Wirtschaft wächst weiterhin kräftig, im dritten Quartal hat das BIP weit überdurchschnittlich um 3,3 Prozent zugelegt. Die Arbeitslosenquote in den Vereinigten Staaten ist im Oktober und November sogar auf ein Siebzehnjahrestief von 4,1 Prozent gesunken. Lediglich bei der Teuerung wird das angestrebte Ziel von 2 Prozent nicht erreicht. Die Gesamtteuerung betrug im Oktober nur 1,6 Prozent.

Im Gegensatz dazu agiert die europäische Zentralbank. Trotz steigenden Drucks, den Ausstieg aus der Politik des ultra-billigen Geldes zu beschleunigen, hält die Notenbank an der Niedrigzinspolitik fest. Den Leitsatz zur Versorgung der Geschäftsbanken mit Geld beließen die Währungshüter erwartungsgemäß auf dem Rekordtief von 0,0 Prozent. Auf diesem Niveau liegt er bereits seit März 2016.

Auch die EZB hat das Ende der expansiven Geldpolitik in Aussicht gestellt. Die Notenbank hatte im Oktober den ersten Schritt zum Eindämmen der Geldflut (»Tapering«) beschlossen: Zwar setzt sie ihre vor allem in Deutschland umstrittenen Wertpapierkäufe bis Ende September 2018 fort, halbiert aber das Volumen ab Januar auf monatlich 30 Milliarden Euro. Der Leitzins im Euroraum bleibt mindestens bis zum Ende des Kaufprogramms auf dem Rekordtief von null Prozent.

»Wir sollten uns immer wieder klarmachen, dass die außergewöhnlich lockere Geldpolitik rund um die Welt eine Antwort auf die abnormale Situation der realen Volkswirtschaften ist«, sagte der frühere EZB-Chef Trichet. »Wir müssen unsere Volkswirtschaften so bald wie möglich wieder zurück in die Normalität führen.«

Zweifel an der Normalisierung

An dieser Tendenz zur Normalisierung gibt es seit langem Zweifel. Als Reaktion auf die Finanzkrise 2007/2008 und die folgende Euro-Schuldenkrise öffneten Europas Währungshüter die Geldschleusen weit und verhinderten mit den unkonventionellen Methoden den drohenden Absturz in eine tiefe Wirtschaftskrise. Die These ist: Man hätte statt den Notenbanken die Aufgabe der Krisenbekämpfung zu zuschieben, besser daran getan, eine monetär finanzierte Fiskalpolitik aufzulegen. Dies wäre besser gewesen als die Politik des Aufkaufs von Anleihen (»quantitative easing«) durch die Notenbanken, die vor allem die Preise der Vermögenswerte steigen ließ. Dies ist gut für die bereits Wohlhabenden, die dann vielleicht mehr ausgeben. Deshalb wären z.B. in Großbritannien 50 Milliarden Pfund an permanenter monetärer Finanzierung zielführender gewesen als 350 Milliarden Pfund an Anleihekäufen.

Eine permanente monetäre Finanzierung war wegen der politischen Ökonomie innerhalb der Euro-Zone unmöglich. Vor allem die Verteilungsfrage – welches Land gewinnt, und welches Land verliert – war hinderlich. Die Geldpolitik hatte von Beginn an Schattenseiten.

Gewinner und Verlierer

»Die grundlegenden Probleme, die geholfen haben, dass die Kreditrisiken zunehmen, sind nicht entschieden angegangen worden. Das Wirtschaftswachstum in den Industriestaaten ist seit dem Jahr 2008 sehr enttäuschend. Zudem hat sich die Ungleichheit erhöht. Dies zusammengenommen heißt auch, dass eine große Zahl von Leuten nicht mehr daran glaubt, dass der Kapitalismus oder ›das System‹ ihnen etwas bringt. In den Vereinigten Staaten haben viele keine Reallohnzuwächse seit 20 oder 30 Jahren mehr erhalten, oder die Löhne sind gefallen. Vor der Krise hat man angenommen, dass freie Märkte, Freihandel, freie Finanzmärkte und freier Kapitalverkehr im Grossen und Ganzen alle am steigenden Wohlstand teilhaben liessen«, so formulierte es Adair Turner, ehemaliger Chef der britischen Finanzaufsicht im November in der »NZZ«.

Und weiter: »Das erwies sich als falsch. Und dies äußert sich auch in populistischen Reaktionen wie in den USA mit Präsident Trump und dem Brexit … Was in den letzten 30 Jahren passiert ist, ist vor allem ein signifikanter Anstieg der Ungleichheit. … Es hieß, dass Globalisierung, Migration, freier Kapitalverkehr und technischer Fortschritt für alle gut sei. Langfristig würden alle profitieren. Aber die lange Frist kann sehr lange sein. Wir haben nicht genug berücksichtigt, dass es in diesem Prozess Gewinner und Verlierer gibt. Man hätte das Tempo der Liberalisierung drosseln oder begleitende Massnahmen zur Umverteilung treffen müssen. Dies wurde nicht unternommen, was jetzt auf uns zurückfällt.«

Der Beitrag erschien zuerst auf der Website der Zeitschrift »Sozialismus«.

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