Das Internet, wie es mal versprochen war
Nicht nur Konzerne, auch Staaten missbrauchen das Internet als Überwachungsinstrument, sagt Patrick Breyer, Mitglied des Europäischen Parlaments für die Piratenpartei Deutschland. Gespräch über den Digital Services Act aus OXI 12/21.
OXI: Der Digital Services Act (DSA) ist eines von zwei geplanten Gesetzespaketen der EU für Online-Dienste und wird voraussichtlich erst im Januar im Europäischen Parlament verhandelt. Warum ist eine Reform der Regeln für digitale Plattformen und Dienste dringend geboten?
Patrick Breyer: Wir verhandeln über diesen Digital Services Act schon seit Wochen und Monaten. Es wird sehr intensiv darüber gestritten. Aber abgestimmt wird wirklich erst Anfang kommenden Jahres. Es geht darum, dass das Internet immer das Versprechen gab, es sei ein freier Raum, in dem alle gleichberechtigt miteinander kommunizieren und sich austauschen könnten. In der Realität haben sich aber große Konzerne als Gated Communitys entwickelt, in denen jede Aktion total überwacht und anscheinend willkürlich zensiert wird. Auch Staaten tun sich damit hervor, das Internet als Überwachungsinstrument zu missbrauchen. Vor dem Hintergrund müssen wir das Gebaren der Internetkonzerne in Einklang bringen mit unseren Werten und den Grundrechten der Nutzer:innen.
Was würde oder könnte der Digital Services Act konkret für die Nutzer:innen, also die EU-Bürger:innen bringen?
Das hängt davon ab, was wir erreichen. Im schlechtesten Fall wird es so eine Art NetzDG-Gesetz auf EU-Ebene, was zu Internetzensur und zu Upload-Filtern führt. Es würde den Behörden im schlechtesten Fall sogar erleichtert werden, Bürger:innen auszuspionieren. Und an den Problemen der Monopolbildung im Netz würde der DSA vorbeigehen. Das wäre das Ergebnis, wenn der Entwurf der EU-Kommission unverändert beschlossen würde. Deswegen kämpfen wir für Verbesserungen.
Welche Verbesserungen wollen Sie umsetzen?
Wir müssen dem Geschäftsmodell des Überwachungskapitalismus eine Grenze setzen. Da werden Menschen bis in intimste Räume hinein ausspioniert und manipuliert für Werbezwecke. Wir brauchen dazu Schritte gegen dieses personalisierte Targeting (genaue Zielgruppenansprache in Online-Diensten, die Red.) und ein Recht auf anonyme Nutzung von Internetdiensten. Wir brauchen eine Zurückdrängung der fehleranfälligen Upload-Filter, um das Recht auf freie Meinungsäußerung im Netz zu verteidigen. Und wir brauchen ein Recht auf Interoperabilität, das heißt, es muss möglich sein, von den dominanten Diensten zu wechseln und trotzdem mit seinen Kontakten quasi plattformüberschreitend in Verbindung bleiben zu können. Das ist der Schlüssel dafür, diese gefährliche Macht von Facebook, Google und anderen zu brechen, die darauf beruht, dass man eben gerade nicht dienstüberschreitend kommunizieren und Personen folgen kann. Das Problem können wir nur durch Interoperabilität lösen.
Wie optimistisch sind Sie, dass der vorliegende Entwurf in diese Richtung verbessert werden kann, wenn man bedenkt, dass die größten Tech-Giganten in den USA sitzen und sich dem Europäischen Recht ja nicht verpflichtet fühlen?
Die Tech-Konzerne selbst scheinen ja davon auszugehen, dass es gelingen könnte. Denn die umfangreiche Lobbyarbeit, die wir hier sehen, spricht dafür. Die ist so groß wie nie zuvor. Die EU kann natürlich sehr hohe Strafen verhängen. Die Konzerne haben alle Niederlassungen in Europa. Natürlich müssen sie sich an Europäisches Recht halten. Das ist auch genau der Wert dieser Reform, dass man gemeinsam als Europa vorangeht und das dann auch nicht mehr ignoriert werden kann, ähnlich wie bei der Datenschutzgrundverordnung (DGVO). Die Frage ist jedoch, ob der politische Wille da ist, das zu tun und ob es dafür eine Mehrheit gibt. Im Moment scheint das eine Mitte-rechtsKoalition verhindern zu wollen.
Wie lassen sich Mehrheiten schaffen oder wird es am Ende auf einen schlechten Kompromiss hinauslaufen?
Im Europäischen Parlament wird es zum Beispiel bei dem Thema »Personalisiertes Targeting und Werbung« sicher auf eine Kampfabstimmung hinauslaufen. Da gab es schon mal eine Abstimmung im vergangenen Jahr, die sehr knapp gewonnen worden ist. Es gibt sogar eine parteiübergreifende Gruppe von Abgeordneten, die sich für ein Verbot personalisierter Werbung einsetzen. Die Zivilgesellschaft ist sehr aktiv engagiert. Am Ende wird möglicherweise sehr knapp abgestimmt werden. Man kann heute nicht sagen, wie es ausgeht. Dann muss aber natürlich auch mit den EU-Mitgliedsstaaten verhandelt werden. Selbst wenn das Parlament positiv entscheidet, heißt das nicht, dass die dann alle mitziehen.
Wie sehen die nächsten Schritte aus? Vor der Abstimmung im Parlament muss der Binnenmarkt-Ausschuss seine Position formulieren. Wie geht es weiter?
Es wird zuerst eine Abstimmung im federführenden Ausschuss geben. Der Termin steht noch nicht fest. Danach wird im Plenum abgestimmt. Wenn dann auch die EU-Regierungen, also der EURat sich positioniert hat, geht man in gemeinsame Verhandlungen. Das ist der sogenannte Trilog, der findet hinter geschlossenen Türen statt. Einige hoffen, dass dies alles im ersten Halbjahr des kommenden Jahres abgeschlossen werden kann. Ich vermute eher, dass es länger dauern wird.
Im jetzigen Gesetzestext des Digital Services Act ist davon die Rede, dass Konzerne überwacht werden sollen bzw. dass eine EU-Behörde die Mitgliedsstaaten unterstützen soll. Kann so etwas funktionieren? Oder werden die Mitgliedsstaaten am Ende wieder ihr eigenes Ding machen?
Geplant ist, dass die EU-Kommission eine Koordinierung vornehmen soll oder die sehr großen Konzerne eventuell auch selbst regulieren soll. Ich denke, das ist realistisch. Man hat aus der Datenschutzgrundverordnung gelernt, dass dieses rein dezentrale Modell nicht wirklich effektiv ist. Da sind die ganzen Internetkonzerne in Irland ansässig, und da tut sich viel zu wenig zur Durchsetzung unserer Datenschutzrechte.
Mehr Informationen zur Arbeit von Patrick Breyer erhälten Sie auf seiner Homepage.
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