Wirtschaft
anders denken.

Zugang für alle oder Markt für wenige

01.11.2022
Digitales Geld vor blauem Hintergrund mit dünnen blau-türkis-rotem StreifenFoto: DrawKit IllustrationsDigital ist besser?

Was digitales Geld mit sozialer Ungleichheit zu tun hat. Aus OXI 10/22.

Kryptowährungen wie Bitcoin und Co gelten als Domäne urbaner, meist männlicher Tech-Nerds. Die wahlweise entweder in den Diensten US-amerikanischer Internetkonzerne stehen oder sich, eher old school, anarchistischen Idealen verbunden fühlen. Die Veränderung von Geld durch digitale Technologien geht jedoch weit über diese gehypten Phänomene hinaus. Ein entscheidendes Terrain, auf dem sich diese Veränderungen abzeichnen, ist der Markt für Zahlungsdienstleistungen, die sogenannte Payment Industry, die bestimmt, wer zu welchen Bedingungen Zugang zu basalen Finanzdienstleistungen wie einem Konto, einer Kredit- oder EC-Karte hat. Der (bezahlbare) Zugang zu Finanzinfrastruktur ist jedoch entscheidend für viele weitere Bereiche der öffentlichen und wirtschaftlichen Teilhabe, wie etwa die Möglichkeit zu sparen, Lohn zu erhalten, der Familie Geld zu schicken oder einen Betrieb zu eröffnen. Während »Financial Inclusion« im Hinblick auf Länder des Globalen Südens vielfach diskutiert wird, wird häufig vergessen, dass auch in Ländern des Globalen Nordens der Zugang zu Finanzdienstleistungen längst nicht für alle gewährleistet ist. So haben beispielsweise in den Vereinigten Staaten vielfach ärmere Schichten – immerhin etwa 22 Prozent der US-Amerikaner:innen – keinen oder nur unzureichenden Zugang zu Finanzdienstleistungen. Diese Rate ist noch erheblich höher in marginalisierten ethnischen Gruppen, etwa unter Afro-Amerikaner:innen. Insbesondere während der Corona-Pandemie erwies sich das als größeres Problem. So erreichten viele der bereits gewährten staatlichen Hilfen nicht ihre Empfänger:innen, da diese kein Konto besaßen. Das Finanzministerium versuchte es deshalb mit Schecks, die per Post verschickt wurden und nicht selten versehentlich im Müll landeten.

Um die Bedeutung digitaler Technogien für die Veränderung dieser Industrie zu verstehen, lohnt sich ein Blick auf die Konstruktion dessen, was wir in modernen Gesellschaften als Geld verstehen. Denn Geld tritt dort in einer spezifischen Form auf: als territoriale Währung, also in einer Form, in der Nationalstaaten festlegen, mit welchem Mittel in ihrem Territorium Zahlungen etwa für Steuern oder auch in Geschäften getätigt werden. Dieses gesetzliche Zahlungsmittel, die Währung eines Landes, wird durch die Zusammenarbeit von Zentral- und Geschäftsbanken beständig neu erzeugt. Denn Geldsysteme moderner Gesellschaften basieren bekanntermaßen nicht auf materiellen Gegenwerten, sondern auf kollektivem, intersubjektivem Vertrauen. Und ein Weg, wenn nicht der entscheidende, dieses kollektive Vertrauen beständig zu erneuern, ist eine verlässliche Zahlungsinfrastruktur. Die Festlegung eines Zahlungsmittels ist also nicht nur Ausdruck staatlicher Souveränität, sondern auch deren Grundlage. Denn durch diese täglich mehrfach genutzten Infrastrukturen wird uns beständig vor Augen geführt, dass wir bedrucktes Papier oder Zahlen auf einem Computerbildschirm tatsächlich gegen nützliche Güter wie Lebensmittel, Haarschnitte oder Möbel eintauschen können.

Doch die Aufrechterhaltung dieser Infrastrukturen ist ein überaus komplexer Prozess, an dem private und öffentliche Akteur:innen beteiligt sind und auf stabiler Basis miteinander kooperieren müssen. Vereinfacht gesagt stellen die Banken auf privater Basis Infrastruktur (Clearing-Häuser) bereit, die diejenigen Beträge berechnen, die die beteiligen Parteien einander schuldig sind oder zu viel haben. Die Verschiebung von tatsächlichem Geld (Zentralbankreserven) erfolgt dann über die Infrastruktur der Zentralbanken (Settlement). Die Konstruktion und Aufrechterhaltung jener technischen Systeme, die dafür verantwortlich ist, dass unsere alltäglichen veranlassten monetären Transaktionen tatsächlich ihre Empfänger:innen erreichen, sind so eine zentrale Voraussetzung für das Geld.

Die Digitalisierung fordert nun diese historisch gewachsen Infrastrukturen in zweifacher Hinsicht heraus. So wird es erstens durch digitale Technologien einfacher für Nicht-Banken, Zahlungsmittel zu emittieren, das heißt Geld zu schöpfen, das nicht von Staaten kontrolliert wird. Der wohl bekannteste Versuch, dies im großen Stil zu tun, war Diem (vormals Libra). Im Jahr 2019 hatte Facebook-CEO Mark Zuckerberg angekündigt, eine digitale Währung zu emittieren, die weltweit für Zahlungen eingesetzt werden kann. Auch wenn dieses Vorhaben mittlerweile – nicht zuletzt aufgrund des regulatorischen Widerstands diesseits wie jenseits des Atlantiks – gescheitert ist, zeigt dieser Vorstoß, dass Geld als exklusives Erzeugnis nationalstaatlichen Handelns möglicherweise bald der Vergangenheit angehört. Ein weiteres, weniger bekanntes, jedoch sehr viel erfolgreicheres Beispiel der Geldproduktion privatwirtschaftlicher Unternehmen ist das sogenannte »Mobile Money«, also Geld, das von Mobilfunk-Unternehmen herausgegeben wird. Der Beginn dieses Phänomens markiert die sich in den 2010er Jahren in einigen afrikanischen Staaten immer stärker durchsetzende Praxis, Mobilfunkguthaben für Zahlungen an regional entferne Empfänger:innen zu verwenden. Im Laufe der Zeit lösten sich die Mobilfunkguthaben von ihrem Ursprung ab und wurden zu Geld an sich, zu Mobile Money. Viele der politischen Entscheidungen hinsichtlich der Regulierungen des Finanzsystems des letzten Jahrzehnts bis hin zu den Initiativen vieler Staaten, digitale Zentralbankwährungen zu etablieren, können im Kontext dieser Bedrohung verstanden werden. Nationalstaaten wollen die Souveränität über das erhalten, was in ihrem Territorium als gesetzliches Zahlungsmittel gilt. So wurden in den meisten afrikanischen Staaten Gesetze erlassen, durch welche die jeweiligen Zentralbanken und Regierungen zumindest teilweise die Kontrolle über dieses von privaten Unternehmen emittierte Geld zurückerlangten. Dies erreichten sie über Bestimmungen, die festlegen, in welchem Umfang (vielfach sogar zu 100 Prozent) die Mobile-Money-Guthaben bzw. die Guthaben in digitalen Währungen bei Banken vorliegen müssen.

Digitale Technologien fordern Zahlungssysteme jedoch noch in einer zweiten Hinsicht heraus: So ist die traditionelle Infrastruktur zur Abwicklung von Zahlungen in ihren Grundzügen kooperativ angelegt. Üblicherweise haben alle Geschäftsbanken eines Landes Zugang sowohl zu den privaten wie den öffentlichen Institutionen, die für die Abwicklung von Zahlungen zuständig sind. Durch diese historisch gewachsene Konstruktion werden die bei Infrastrukturen typischerweise auftretenden Skaleneffekte gebremst. Durch die Ablösung des Zahlungsverkehrs von Banken wird jedoch der kooperative Charakter von nationalen Zahlungssystemen verwässert. Wenn nun ein globales Unternehmen digitale Zahlungsinfrastruktur anbietet, besteht die Gefahr, dass es zu dem kommt, was die Volkswirtschaftslehre ein »natürliches Monopol« nennt: eine Situation, in der die Bereitstellung eines Gutes durch das Verhältnis von sehr hohen Fixkosten und niedrigen Grenzkosten kostengünstiger von einem Unternehmen erfolgen kann als durch mehrere. Dies bedeutet auch, dass dieses Unternehmen dann die Preise bzw. die Bedingungen diktieren kann, unter welchen Akteure die bereitgestellte Infrastruktur nutzen können. Diese Dynamik können wir derzeit an der wachsenden Bedeutung US-amerikanischer Zahlungsdienstleister wie Mastercard, Visa oder Paypal beobachten. Trotz intensiver regulatorischer Bemühungen und der finanziellen Unterstützung von Start-ups im Finanzsektor ist es in Europa bisher nicht gelungen, eine ernst zu nehmende Alternative für die grenzübergreifende Abwicklung von Zahlungen zu etablieren.

Die politischen Bemühungen, unabhängiger von US-amerikanischer Finanzinfrastruktur zu werden, haben zum einen geopolitische Gründe. Es geht jedoch um sehr viel mehr. Es geht um die Frage, wer von der Digitalisierung der Zahlungssysteme profitiert. In vielen Ländern Afrikas (allen voran Kenia) bewirkte die Digitalisierung einen enormen Inklusionsschub. Hatten im Jahr 2011 nur etwa 23 Prozent der Menschen Zugang zu Finanzinfrastruktur, waren es zehn Jahre später den Erhebungen der Weltbank zufolge bereits 55 Prozent. Verantwortlich für diesen Anstieg sind weniger die Banken als vielmehr die Anbieter von Mobile Money. Gleichzeitig sind die Gewinne aus der Zahlungsverkehrssparte in Europa und Afrika eher gering. So stiegen diese zwar in letzten Jahren stetig, jedoch regional sehr ungleich verteilt. Während die Gewinne in Afrika und Europa zwischen 2015 und 2020 nur um etwa 2 Prozent wuchsen, waren es in Nordamerika 4 und in Lateinamerika sogar 5 Prozent. Die hohen Gewinne aus dem privaten Zahlungsverkehr in Nord- und Lateinamerika speisen sich überwiegend aus hohen Gebühren, die überwiegend von den Konsument:innen beglichen werden müssen. Während in der EU basale Finanzdienstleistungen eher als eine Infrastruktur betrachtet werden, zu der alle Zugang haben sollen, wird in den Vereinigten Staaten der Zahlungsverkehr stärker als Markt betrachtet, auf dem Geld verdient werden kann. Das führt dazu, dass in den Vereinigten Staaten die Gebühren wie Überziehungszinsen oder die Gebühren, welche die Bank des Händlers für eine Zahlung erhebt (Interchange-Gebühr), um ein Vielfaches höher sind als in der EU. Allerdings werden die niedrigen Gewinne europäischer Banken im globalen Vergleich als größeres Problem betrachtet, was in Zukunft möglichst »gelöst« werden soll. In diesem Sinne ist die Gestaltung des Umgangs mit digitalen Technologien für Infrastruktur zur Abwicklung von Zahlungen keine technokratische Nebensächlichkeit, sondern ein Feld, auf dem über die Reproduktion von sozialer Ungleichheit verhandelt wird. Das gilt auch dann, und erst recht, wenn die Zahlungsmittel selbst nicht mehr von Zentralbanken ausgegeben werden, sondern kommerziell erzeugte Kryptowährungen sind.

Barbara Brandl ist Professorin für Wirtschafts- und Organisationssoziologie an der Goethe-Universität Frankfurt (Main). Sie forscht dort zu den finanzpolitischen Auswirkungen von Blockchain-Technologien.

Geschrieben von:

Barbara Brandl

Wirtschaftssoziologin

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