Die Digitalisierung macht uns alle arbeitslos! Wirklich? Eine neue Studie und ein Widerspruch
Alarm, Alarm: »Die Digitalisierung« kostet in den kommenden fünf Jahren 3,4 Millionen Stellen. Das ist die jüngste Horrorprognose über die möglichen Folgen der Automatisierung. Sowas bringt zwar Schlagzeilen, hilft aber nicht weiter, wenn man den technologischen Wandel im Sinne des Faktors Arbeit beeinflussen will.
Die Computer nehmen uns die Arbeit weg. Der Ruf macht alle paar Wochen unter Verweis auf allerlei Studien die Runde. Jüngster Anlass: Der Branchenverband Bitkom prognostiziert, es würden bereits in den kommenden fünf Jahren 3,4 Millionen Stellen wegfallen. Wie die »Frankfurter Allgemeine« vorab aus den Ergebnissen einer Umfrage unter 500 Unternehmen zitiert, wäre also jede zehnte sozialversicherungspflichtige Stelle betroffen. Jede vierte Firma mit über 20 Beschäftigten sieht sich »durch die Digitalisierung gar in seiner Existenz bedroht«.
Soweit, so Horrorszenario. Man fühlt sich etwas erinnert an die vergangene Woche, als praktisch zeitgleich die Warnmeldung lief, laut einer Studie des Weltwirtschaftsforums würden vor allem Jobs von Frauen durch die Digitalisierung gefährdet – und praktisch zeitgleich vermeldet wurde, dass vor allem Männer mit mittlerem Ausbildungsniveau besonders unter Druck geraten würden. Was denn nun?
Wie eine Art Naturkatastrophe
Die Debatte über die arbeitsmarktpolitischen Folgen der Digitalisierung krankt an zwei Fehlern. Der erste ist ein politischer: Dabei wird der aktuelle Schub von Automatisierung und Computerisierung wie eine Art Naturkatastrophe betrachtet, alle reden dann davon, wie man sich ob der möglichen Konsequenzen wappnet wie gegen einen Sturm – statt darüber zu reden, was man tun könnte.
Denn die neuen Technologien fielen nicht vom Himmel, sie wurden zum Einsatz gebracht – durch planvolles, absichtliches, überlegtes Vorgehen, also Gestalten. Dass das bisher oft nicht im Interesse derer passiert, die nun tatsächlich darüber nachdenken müssen, ob ihre Ausbildung, ihre Fertigkeiten noch am Arbeitsmarkt gefragt sind, ob ihre Stellen wegrationalisiert werden, ist natürlich wahr – aber kein Argument, es dabei zu belassen.
Der zweite Fehler ist ein empirischer. In der Regel wird der Blick auf die Frage beschränkt, was mit Stellen passiert, die technologisch überrollt werden könnten. Die gibt es in der Tat, man muss sich nur einmal anschauen, was digitale Technologie und Automatisierung heute alles können – klar, dass dabei auch menschliche Arbeit, sofern es sich für die lohnt, die sie sich zwecks Mehrwertproduktion aneignen, ins Hintertreffen gerät.
Allerdings klingt es schön dramatisch, wenn gesagt wird, 3,4 Millionen Jobs fallen binnen fünf Jahren weg – und noch dramatischer, wenn weggelassen wird, dass zugleich natürlich sogar durch diesen Ersetzungsprozess wiederum neue Jobs entstehen. Die Frage hat die »Frankfurter Allgemeine« nicht weggelassen, sie ist aber von Bitkom nicht beantwortet: »Wie viele neue Arbeitsplätze an anderer Stelle entstehen, weil vernetzte Maschinen und Softwareprogramme entwickelt und beaufsichtigt werden müssen, lässt sich nach Angaben des Verbands noch nicht beziffern.« Und so klingen die Schlagzeilen dann nur zu einer Seite hin.
Worüber man reden müsste: »Deutliche Verteilungsverschiebungen«
Der Ökonom Jens Südekum, der sich viel mit den Folgen von technologischem Wandel auf Arbeitsmärkte befasst hat, reagierte bereits auf die neuerliche Studie. »Wenn Tätigkeitsfelder oder Stellen wegfallen, heißt das nicht, das Menschen automatisch arbeitslos werden«, twitterte Südekum unter Verweis auf die Entwicklung, die in den vergangenen 20 Jahren hierzulande abgelaufen ist. Denn das muss jeder zur Kenntnis nehmen: Viele deutsche Unternehmen sind keine Handarbeitsfirmen, sondern hochtechnologisch gerüstete Weltmarktakteure – und trotzdem wird, bei allen sozialen Schattenseiten wie der wachsenden Leiharbeit, seit Jahren jeden Monat eine saisonbereinigt sinkende Zahl von Erwerbslosen vermeldet.
Er »verstehe ja, dass solche Horrorszenarien wie die aus der IT-Branche für die Medien irgendwie attraktiv sind, weil sie Aufmerksamkeit erregen«, so Südekum im Kurzmeldungsdienst. »Aber sie entsprechen eben nicht der Faktenlage.« Er verweist auf eigene Forschungsarbeiten, die unter anderem eine ganze andere Frage aufwerfen: Roboter waren in Deutschland »bisher keine großen Jobkiller«, haben aber »deutliche Verteilungsverschiebungen« zur Folge, weil die Bereitschaft wächst, »Lohnkürzungen zu schlucken, um angesichts der Bedrohung durch Roboter Arbeitsplätze zu stabilisieren«. Dies vor allem in den mittleren Qualifikationsniveaus.
Schaufensterreden einer ahnungslosen Politik
Südekum will keineswegs behaupten, »dass alles easy ist und wir uns wegen Robotern und Digitalisierung keine Sorgen zu machen brauchen. Wir stellen aber fest, dass jeder wegfallende Arbeitsplatz in der Industrie durch einen neuen Job in den Dienstleistungen aufgefangen wurde.« Darüber hinaus seien direkte Entlassungen vermieden worden, indem »Beschäftigte weitergebildet und im Betrieb umgesetzt wurden. Dabei hat das deutsche Geflecht an Institutionen mit Betriebsräten und Gewerkschaften einen großen Anteil.« Die Frage wäre ja, ist das Geflecht ausreichend, wie sieht es an der Front der Weiterbildung aus und so fort.
Unter dem Strich bleibe als ein wichtiger negativer Effekt hierzulande der Einfluss der Automatisierung »auf die Einkommensverteilung«. Roboter »steigern nämlich die Produktivität, aber nicht die Durchschnittslöhne. Es profitieren nur Hochqualifizierte, aber nicht das Gros der Facharbeiter.« Der Ökonom weiter: »Bislang waren die Größenordnungen noch gering. Aber das könnte durch weitere Digitalisierung tatsächlich schlimmer werden. Von daher sollte man in der Tat jetzt über mögliche wirtschaftspolitische Strategien nachdenken, z.B. Mitarbeiterbeteiligung.« Motto: »Nicht die Leute wuschig machen, sondern mal ernsthaft diskutieren.«
Dazu müsste aber auch die Politik bereit sein. Abseits von Schaufensterreden über »die Digitalisierung«, von der man dann meist nicht weiß, was eigentlich genau gemeint ist und ob die, die da Reden auch nur annäherungsweise eine Vorstellung haben von den ökonomischen, verteilungspolitischen und gesellschaftlichen Implikationen des verstärkten Einsatzes von Technologien statt lebendiger Arbeit, scheint diese Bereitschaft aber immer noch eher gering. Wir haben stattdessen wöchentlich unsere Horror-Schlagzeilen. (Das ganze ist keine Geheimwissenschaft. Hier beim Bundestag gibt es eine Übersicht über Studien zu den Folgen der Automatisierung, Digitalisierung. Und hier eine Studie, die die berühmte Frey-Osborne-Prognose auf die Bundesrepublik überträgt.)
Und positiv denken: an den Zuwachs an »disposable time«
Abgesehen davon wäre noch ein Gedanke in Betracht zu ziehen: Wenn mehr Menschen das weggenommen wird, was derzeit als Arbeit gilt, zum Beispiel weil die von Maschinen oder Algorithmen übernommen wird, eröffnet sich ein Raum der Freiheit. Nichts anderes als einen Zuwachs an »disposable time« hat einmal ein kluger Mann zum obersten Ziel gesellschaftlicher Emanzipation erhoben. Zeit, die für gesellschaftlich nützliche Dinge, für individuelle Zwecke, kollektive Solidarität mehr übrig wäre.
In dieser Zeit könnte man übrigens neue Technologien erfinden, die das Reich der Freiheit noch vergrößern und das Reich der Notwendigkeit schrumpfen lassen. Eine Schlagzeile wie »Die Digitalisierung macht uns alle arbeitslos!« wäre dann keine Drohung mehr, sondern eine Verheißung. Es ginge ja bloß um die Lohnarbeit, nicht um das, was wir mit Zeit alles anstellen könnten.
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