Wirtschaft
anders denken.

Dobrindt, die Union und eine »konservative Revolution«

04.01.2018

Alexander Dobrindt trommelt »für eine bürgerliche Wende«, mehr noch: für eine »konservative Revolution« gegen die behauptete Meinungsführerschaft »linker Eliten«. Anmerkungen von Horst Kahrs und Tom Strohschneider.

Alexander Dobrindt trommelt in der Welt »für eine bürgerliche Wende«, mehr noch: für eine »konservative Revolution der Bürger« gegen die behauptete linke Meinungsführerschaft »der Eliten«. Der CSU-Mann verknüpft dabei zu Beginn eines für die gesellschaftliche Verfassung bedeutsamen Jubiläumsjahres mehrere rechte Denkfäden – das geht bei der Darstellung von 1968 als »Ursprung« aller Ärgernisse los und hört bei der Anrufung eines ethnisch-kulturellen Volksbegriffes nicht auf. Dobrindts Vorstoß aber lediglich als Übernahme von AfD-Positionen zu kritisieren oder die (gedankenlose?) Beanspruchung des Begriffs »konservative Revolution« für eine Rechtswende der Union zu beklagen, wird nicht ausreichen. Dazu einige Anmerkungen.

I.

Die Platzierung des Textes zum Start der CSU-Klausur ist nicht überraschend, könnte aber einen Wesenszug des Vorstoßes verdecken – die kleine bayerische Schwester schwingt sich hier zur programmatischen Vorhut der Union auf, und das in Zeiten, in denen der politisch-mediale Betrieb lauter denn je über die Zeit nach Angela Merkel mutmaßt bzw. sie herbeizuschreiben versucht. Man darf annehmen, dass der Text mit anderen CSU-Größen wenn nicht abgestimmt wurde, so doch jedenfalls nicht bei ihnen auf Widerworte stößt.

Was konservative Kreise in der CDU nicht vermochten, schafft Dobrindt: eine »Erzählung« zu entwerfen, die nicht nur den Nach-2005er Teil der Merkel-Ära »aufhebt«, also Schluss macht mit der kulturellen Sozialdemokratisierung, sondern die außerdem die in AfD-Wahlerfolgen kondensierten reaktionären Denkweisen und politischen Haltungen zum Treibstoff einer Art Volksbewegung erklärt. In der Dobrindtschen Version geht es nicht mehr »nur« darum, den Platz »rechts von der Union« selbst zu füllen, sondern die rechtsradikalen Ausbeulungen selbst zum neuen programmatischen Fundament zu erklären. Der Text markiert denn auch die bisher weitestgehende Übernahme von AfD-Positionen im »etablierten« Parteienspektrum.

II.

Eine zweite Platzierungsfrage des Textes führt direkt in seine politische Substanz: der Veröffentlichungstermin zu Beginn des Jubiläums »50 Jahre 1968«. Amalgamiert sind hier nicht nur Elemente des alten Antikommunismus, der seinen Gegner zu einer unheimlichen, von Intellektuellen geführten Macht erhöhte und mit Eigenschaften auflud, die allesamt das gute, ethnisch-kulturell gefasste »Wir« bedrohen – Vaterlandsverrat, Unterminierung »natürlicher« Ordnungen wie Familie, Religion usw.

Dobrindt nimmt auch eine neuere Anti-68-Haltung auf, derer sich bisher Rechtsradikale bedienten – und die auf eine gewisse Weise auch deren zentrale Weltanschauung umreißt: Schluss zu machen mit einer gesellschaftlichen Modernisierung, die alte Ordnungen in Familie, Staat usw. durcheinander gewirbelt hat. Vor einigen Jahren konnte man die AfD und was sich in ihrem Umfeld an Neuzusammensetzung des rechtsradikalen Spektrums mehr und mehr vollzog als letztes Gefecht der »Verlierer« dieses bundesrepublikanischen Aufbruchs verstehen, eines Aufbruchs auch aus den nachwirkenden Fesseln des Faschismus. Bei Dobrindt wird das letze Gefecht zur Strategie für die Zukunft.

Dobrindt trommelt indes nicht allein. Zeitgleich erschien in der Neue Zürcher Zeitung ein Interview mit dem Historiker und CDU-Mitglied Andreas Rödder. Darin beklagt er, dass sich die CDU unter Merkel nach der Fast-Niederlage mit dem neoliberalen Wirtschaftsprogramm 2005 »der Kultur des Regenbogens angepasst (habe), die in den letzten Jahren zur hegemonialen politischen Richtung in Deutschland geworden ist, von den Grünen bis weit in die Union hinein«. Merkels Regierungsstil, »die Moderation des Regenbogens«, habe mit der Krise der Migrationspolitik im Herbst 2015 seinen »Umschlagpunkt« erreicht: »Danach wurden die Risse im Gefüge immer sichtbarer.« Denn die Mehrheit der Parteimitglieder, so eine aktuelle Studie der Konrad-Adenauer-Stiftung, ordne sich »selbst rechts von ihrer eigenen Partei und deren heutiger Führung ein«.

Der Erbfolge-Streit in der Union tritt als ideologischer Richtungskampf ins Rampenlicht. Der politische Druck in der Union äußert sich auch in der Verwendung von Begriffen wie »Revolution«. Etwas Großes muss geschehen, um das konservative Unbehagen an den Zeitläuften zu besänftigen. Hierbei handelt es sich nicht (nur) um eine bayerische Gemütserregung und Angelegenheit. Verhandelt wird zudem auch über die Frage, ob das Geschäftsmodell der zwei Schwesterparteien, die sich keine Konkurrenz machen, noch trägt.

III.

Ein Pfeiler von Dobrindts Argumentation ist eine reaktionäre Elitenkritik. Die ist kein rechtes Alleinstellungsmerkmal, kommt hier aber in einer besonderen Weise daher: Die CSU regiert den Freistaat seit fast 60 Jahren. An den einzigen sozialdemokratischen Ministerpräsidenten, der nicht Dobrindts Partei angehörte, werden sich allenfalls Historiker erinnern: Wilhelm Hoegner. In Bayern haben Kaderpolitik, Abhängigkeiten und politische Landschaftspflege wie kaum woanders eine CSU-Elite hervorgebracht, die – von einigen Ausnahmen abgesehen – praktisch alles kontrolliert. Wie viele Leute mit linken Parteibüchern, Einstellungen sind dabei denn wirklich »durchgerutscht«, als es um die Besetzung wichtiger Posten im Land ging?

Man könnte das als große Schwachstelle des Textes von Dobrindt ansehen – oder man erkennt darin jene »Elitenkritik«, bei der die eigentlichen Eliten sich andere Gruppen auswählen, ihnen Eigenschaften zuschreiben, sie zu Sündenböcken erklären und so nicht zuletzt ihren eigenen Charakter und die eigene Strategie de-thematisieren.

IV.

Wie lässt sich Dobrindts Text in einen größeren politisch-ökonomischen Rahmen einordnen? Nach dem Höhepunkt der großen Krise ab 2007 standen dem »herrschenden Block« eine Reihe von »strategischen Ansätzen« zur Auswahl, wobei nicht etwa gemeint ist, dass hier Hinterzimmerkreise aus dem Menü wählen könnten. Was sich widersprüchlich, teils sprunghaft, immer in Reaktion auf andere politische Akteure, auf Gelegenheiten und so fort tatsächlich ergibt, muss nicht einmal als konkretes Ziel im Kopf der handelnden Personen zuvor gedacht worden sein.

Auch Dobrindt mag über das, was hier kritisiert wird, gar nicht viel nachgedacht haben. Sein Text steht allerdings für eine Richtungsvariante, die sich von derjenigen, die in Merkels Politik zum Ausdruck kommt, unterscheidet. Könnte man der Kanzlerin eine »Strategie des gebremsten Neoliberalismus« zuordnen, passt Dobrindts Vorstoß zu einer »Richtungskonstanz auf verengter Grundlage« – das Bündnis mit der neuen Rechten.

Ob es dabei tatsächlich zu politischer Kooperation mit existierenden Organisationen kommt, wie etwa der AfD, oder ob die Kooperation im Besetzen der Räume besteht, die diese zuvor ausgefüllt hatte, spielt hierbei keine so große Rolle. Das Institut für Gesellschaftsanalyse der Rosa-Luxemburg-Stiftung hatte zu dieser Strategie vor einigen Jahren prognostiziert: »In den USA und vielen Ländern der Europäischen Union entsteht eine Neue Rechte, die die Interessen und die Wertvorstellungen insbesondere der bedrohten Mittelschichten von Lohnabhängigen und Selbständigen mit den Werten von Leistung, Ordnung, Anerkennung aufgreift und in das Projekt einer Verteidigung der eigenen Privilegien, des eigenen Standorts, der eigenen Kultur auf der Grundlage des Neoliberalismus einfügt. Den subalternen Gruppen wird Teilhabe an einem solchen Projekt angeboten. Zugleich werden Bürger- und Menschenrechte eingeschränkt, Teilen der Gesellschaft ganz verwehrt …, wird die Entzivilisierung vorangetrieben. Es kommt zum Aufbau von ›Festungs-Gesellschaften‹ mit totalitären Elementen. Ab- und Ausgrenzung in der Gesellschaft und nach außen, Konzentration auf kurzfristige ›nationale Interessen‹, eine selektive Verbindung von Protektionismus und offenem Kapitalverkehr sind Elemente dieses Projekts.«

In dem Maße, wie diese Strategie von den herrschenden Eliten in immer mehr auch ökonomisch wichtigen Staaten verfolgt wird, lässt sie sich auch selbstverständlicher verfolgen, da sie als ökonomisch rational erscheint – der rechte Flügel der Union begründet, um ein Beispiel zu nennen, mit der Trumpschen Politik des »Amercia First« und seiner Steuersenkungen für Unternehmen die eigenen Forderungen nach praktisch demselben Kurs: Man müsse es dann eben auch so machen, das gebiete die Standortlogik.

V.

Dobrindts programmatischer Vorstoß gibt Anlass, den Begriff des »Bürgers« und des »Bürgerlichen« zu verteidigen. Erstens: Dem Citoyen als Verfassungsbürger stellt Dobrindt die Religion und ein Verständnis von Familie entgegen, das dem des 19. Jahrhunderts entspricht; mehr noch: das ein vor-aufgeklärtes ist. Er macht die Familie zur »Wiege der Gemeinschaft« Gleichgläubiger, denen der moderne Staat ein Äußeres ist, etwas, das diese Gemeinschaft mit seinen »Interventionen« bedroht. Das hat nichts mehr mit einem Freiheitsbegriff zu tun, in dem die Freiheit der anderen Sinn und Grenze der eigenen Freiheit bildet, die wiederum eine weitere Voraussetzung in der Gleichheit aller findet, die jedoch eine materielle Entsprechung haben muss, für die öffentlich-solidarisch gesorgt wird. Hieran schließt zweitens an: Dem Sozialbürger, der steuerliche Umverteilung, öffentliche Fürsorge und die Idee der Solidarität im Sinn hat, stellt Dobrindt den eigenverantwortlichen, am Leistungskriterium gemessenen Solitär entgegen – alles, was diesem Menschenbild widerspricht, wird als »Kollektivierung« diffamiert.

VI.

Vielleicht hat Dobrindt bei der Begriffswahl »konservative Revolution der Bürger« ja doch einiges bedacht. Immerhin werden die Bürger, nicht die Arbeiter zur Revolution aufgerufen. Und es soll auch unbedingt eine konservative und keine demokratische Revolution der Bürger sein. Immerhin jährt sich heuer zum 170. Mal die bürgerlich-demokratische Revolution von 1848. Bürgerinnen und Bürger, die sich als die Keimzelle einer demokratischen Republik verstehen, könnten angesichts der Verwerfungen einer »marktkonformen Demokratie«, zu besichtigen nicht zuletzt im Dobrindt’schen Verkehrsministerium, auf ganz andere Revolutionsgedanken kommen.

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