Wirtschaft
anders denken.

Dramatisch unterschätzt: Studie über Digitalisierung in der Landwirtschaft

10.10.2018
Ausriss aus dem Cover der Studie

Die Digitalisierung des Agrarsektors soll viele Probleme lösen. Ohne eine Änderung des Ernährungsregimes wird die »Landwirtschaft 4.0« aber selbst zum Problem – für Beschäftigte, Ernährung, Demokratie.

Digital Farming und die so genannte Präzisionslandwirtschaft sind »das Gebot der Stunde«, mahnte vor nicht allzu langer Zeit eine Fachzeitschrift. »Die Betriebe haben die Chance, die landwirtschaftliche Wertschöpfungskette im Detail zu gestalten. Ein Teil der Arbeit kann an die Agrarzulieferer ausgelagert werden.«

Was da sehr optimistisch beschrieben wird, gilt manchen zudem als Beitrag zur Lösung drängender Menschheitsprobleme. Die Europäische Union zum Beispiel »hat sich sehr darum bemüht, Techniken der Präzisionslandwirtschaft zu fördern«, und in Brüssel wird das damit begründet, dass »die wahre landwirtschaftliche Revolution des 21. Jahrhunderts« sowohl die Produktion erhöhen als auch mehr Nachhaltigkeit ermöglichen könne. 

Und damit nicht genug: Die Digitalisierung der Agrarbrache schreitet schneller voran als die öffentliche Debatte darüber. Neue Sensortechniken und miteinander kommunizierende Maschinen setzen sich rasch vor allem in den Landwirtschaften des globalen Nordens durch und bringen somit neue Wettbewerbsvorteile auf dem globalen Markt. 

In der EU wird darüber nachgedacht, Daten über Bestände und Ernten auf den Äckern künftig per Satellit zu erheben und Vor-Ort-Kontrollen überflüssig zu machen. Schon heute arbeiten viele Landmaschinen GPS-gestützt und sensorgesteuert. Mehr als jeder Zweite in der Branche (53 Prozent) bediente sich bereits 2016 digitaler Lösungen, wie eine Umfrage des Digitalverbands Bitkom zeigte. 

Suche nach Vorteilen im globalen Standortwettbewerb

Und es geht weiter, nicht zuletzt auf Druck von Lobbyverbänden. Nach einem Treffen mit Verbänden der Land- und Ernährungswirtschaft im Sommer 2018 kündigte Bundeslandwirtschaftsministerin Julia Klöckner an, die Digitalisierung der Agrarbranche zum Schwerpunkt zu machen. Schon seit Anfang 2017 gibt es einen Digitalisierungsbeauftragten in dem Ressort der CDU-Politikerin, ein »Zwölf-Punkte-Plan Digitalpolitik Landwirtschaft« liegt vor.

Ziel sind nicht zuletzt Vorteile im globalen Standortwettbewerb. Die Politik sagt unumwunden mit Blick auf deutsche Hersteller von Landtechnik, man wolle, »dass wir diese Spitzenposition künftig beibehalten«. Denn auch anderswo läuft längst das Rennen um neue Technologien im Agrarbereich. Es ist auch ein Rennen um die Kontrolle über das globale Ernährungssystem.

»In der aktuellen Diskussion zur Digitalisierung wird vor allem über Wetterdaten und Hightech-Traktoren diskutiert«, beklagt denn auch Pat Mooney eine auf Technikfragen und die ökonomischen Potenziale verengten Sichtweise. Der Experte von der Ection Group on Erosion, Technology and Concentration ETC, glaubt nicht, dass eine Digitalisierung von Landwirtschaft und Ernährung tatsächlich ein neues Wundermittel sein kann, um Hungerkrisen zu beenden, den Verlust an Biodiversität zu stoppen oder den Klimawandel aufzuhalten.

Die Dimension der Umwälzung

Jedenfalls nicht, solange sich grundlegend etwas ändert, so der Träger des Alternativen Nobelpreises. Einerseits werde »die Dimension der Umwälzung durch Drohnen, synthetische Biologie oder Blockchaintechnologien« laut Mooney »dramatisch unterschätzt«. Damit zusammen hängt zweitens die Frage der Daten, die eine immer wichtigere Rolle spielen. Nicht nur, weil künftig eine immer größere Rolle spielen wird, wer über die weltweit und in Echtzeit erhobenen Informationen die Kontrolle hat – und damit die Macht, darüber in seinem Interesse zu verfügen. Sondern weil es auch ökonomische Implikationen gibt. 

Mooney hat diese im Herbst 2018 in einer unter anderem von der Rosa-Luxemburg-Stiftung geförderten Studie skizziert. »Big Data legt Konzernfusionen nicht nur nahe, sondern erzwingt sie förmlich, weil kein Unternehmen an irgendeinem Punkt entlang der Kette riskieren kann, dass andere die Kontrolle über mehr Informationen erlangen.« Damit nehme der Trend »zu vertikaler Integration entlang der gesamten Agrarlieferkette« zu – das heißt, immer öfter kaufen Konzerne vor- oder nachgelagerte Fertigungs- und Handelsstufen auf. 

Neben die klassischen Fusionen, die den Konzentrationsprozess des Kapitals illustrieren, also etwa Zusammenschlüsse wie die der Firmen Dow und DuPont , die ihre agrochemischen und saatgutbezogenen Anteile zusammenlegten, treten neue Megazusammenschlüsse. Dann erwirbt etwa ein Getreidehandelsunternehmen wie Cargill auch Fischfarmen und steigt in die Produktion synthetischer Geschmacksstoffe ein. 

Digitale Barrieren für andere Anbieter oder alternative Ansätze

Das lässt auch den Einfluss von Datenplattformen wachsen, um die auch in anderen Sektoren gerungen wird. In der Landwirtschaft sind Informationen über historische Ernteerträge oder das Wetter, aktuelle Marktindikatoren und Daten für Saatgut, Pestizide und Düngemittel wichtig. Werden sie gesammelt, gespeichert und analysiert, lassen sich damit landwirtschaftliche Prozesse global und zentral steuern – bei größtmöglicher lokaler und an ökonomischen Bedarfen ausgerichteten Präzision.

Das hießt freilich auch: Wer hier Standards durchsetzen kann, wer als Großkonzern am besten sowohl die Landmaschinen produziert als auch das dazu passende Saatgut und die Agrarchemikalien kontrolliert, baut auf diese Weise praktisch digitale Barrieren, welche andere Anbieter oder gar alternative Ansätze der Landwirtschaft kaum noch überwinden können. Mooney kritisiert deshalb unter anderem die Regulierungsbehörden, die vor allem auf horizontale Integrationen blicken, die vertikal ablaufenden Konzentrationsprozesse aber vernachlässigen würden. 

»Es entsteht zunehmend der Eindruck, für alle bestehenden Probleme im Agrarsektor gibt es vor allem eine Antwort: Digitalisierung«, zeigt sich auch Stig Tanzmann von der evangelischen Organisation Brot für die Welt gegenüber einer viel zu optimistischen Debatte über »Landwirtschaft 4.0« skeptisch. »Im gesamten Agrar- und Ernährungssektor ist ein von den Staaten und der Zivilgesellschaft noch viel zu wenig beachtetes Wettrennen ausgebrochen, um die digitalen Informationsschlüsselpunkte zu besetzen und über Patente oder geistige Eigentumsrechte im Sinne der Konzerne zu schützen«, heißt es in einer aktuellen Analyse von Tanzmann.

Dominieren bald die Landmaschinenkonzerne?

Als Beispiel wird auf die Landmaschinenhersteller verwiesen, die wie der Konzern John Deere die Erfassung und exklusive Vermarktung von Daten vorantreiben, »die früher bäuerliches Wissen waren«. Tanzmann sieht diese sogar im Vorteil gegenüber Konzernen wie Bayer-Monsanto, weil es die Maschinen sind, die die kostbaren »Daten während der Aussaat, dem Ausbringen von Dünger und Pestiziden und bei der Ernte über Sensoren präzise erfassen«. 

Wer also die Produktion von solchen Daten-Maschinen kontrolliert, sitzt auch gegenüber den Saatgut- und Düngemittel-Riesen »am längeren Hebel«. Es sei zudem möglich, dass sich Landmaschinenkonzerne  in den Saatgut-, Pestizidsektor und Düngemittelsektor einkaufen. »Sollte die Fusionswelle also weitergehen«, so Tanzmann, »werden global operierende Konzerne entstehen, die von der Aussaat bis zur Ernte die ganze Kette kontrollieren und vor allem die Schlüsseldaten zunehmend monopolisieren«.

Über Datenplattformen würde es Konzernen also ermöglicht, enorme Kontrolle über den gesamten Wertschöpfungsprozess zu erlangen – vom Vertrieb patentierten und genmanipulierten Saatgutes über der Verkauf von extra darauf spezialisierten Düngern und Pflanzenschutzmitteln bis zu den Ernte- und Bearbeitungsmaschinen, die selbst wiederum Daten erheben, welche zum Rohstoff einer digitalisierten Agrarproduktion werden. 

Drohnen zur Überwachung von Landarbeitern

Jan Urhahn vom entwicklungspolitischen Inkota-Netzwerk sieht hier nicht nur den schwindenden Entscheidungsspielraum von Bauern sehr kritisch, sondern er warnt auch vor »Fehlentscheidungen durch den Algorithmus«. Diese seien bei immer stärkerer Durchdringung der Produktionskette mit digitalisierten Abläufen »sehr wahrscheinlich und können ganze Ernten vernichten«. Für lohnabhängig Beschäftigte in der Landwirtschaft und der Nahrungsmittelindustrie bedeute die Digitalisierung zudem das Risiko von Jobverlusten sowie von mehr Überwachung und Kontrolle. Urhahn verwies darauf, dass in Indonesien bereits Drohnen zur Überwachung von Landarbeitern im Einsatz sind.

»Solange die neuen Big-Data-Plattformen in den Händen einiger weniger Konzerne liegen, werden sie nicht zum Wohle der Allgemeinheit wirken«, sagt Urhahn. Tanzmann wiederum warnt aber auch davor, »die positive und wichtige Bedeutung der Digitalisierung in Frage stellen«. Es gehe vielmehr darum, »eine Grundlage für eine realistischere Auseinandersetzung« mit dem Thema zu schaffen. So sollten Staaten »dringend die Hoheit über zentrale Daten der Welternährung zurückgewinnen und diese von den Konzernen einfordern«. Auch die UNO sei gefordert, hier wurden »die Herausforderungen der Digitalisierung zu großen Teilen bewusst oder unbewusst verschlafen oder eine Auseinandersetzung mit der Thematik von den Industriestaaten aus wirtschaftspolitischen Interessen verhindert«.

Die UN sollten internationale Verträge zu Wettbewerbsrecht und Technologiefolgenabschätzung aushandeln, fordert auch Mooney. Hinzu müssten verstärkte öffentliche Kontrolle als Grundlage für Ernährungssouveränität und ein Kurswechsel auf der nationalstaatlichen Politikebene kommen. Eine gestärkte gemeinschaftsbasierte Landwirtschaft sowie ein strengeres Wettbewerbsrecht könnten dann Bausteine sein, »die Technologie im Dienste der Gesellschaft« anzuwenden. »Wenn wir nicht gegensteuern und der Konzernkontrolle über die Digitalisierung enge politische Grenzen setzen«, warnt er, »dann bedrohen die neuen Technologien die bäuerliche Landwirtschaft insgesamt.«

Part Mooney: Breaking the Chain – Konzernmacht und Big-Data-Plattformen im globalen Ernährungssystem, hrsg. v. von der Rosa-Luxemburg-Stiftung, der ETC Group, Glocon und Inkota, 2018. Download unter rosalux.de.

Stig Tanzmann und Bernd Voß: Digitalisierung der Landwirtschaft. Entwicklungspolitische und bäuerliche Perspektiven auf die Zukunft der Landwirtschaft im globalen Süden und Norden, 2018. Downloadd unter kritischer-agrarbericht.de.

Geschrieben von:

Svenja Glaser

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