Wirtschaft
anders denken.

»Wir« helfen »den Griechen«: drei Lügen in einem Satz

04.05.2016

Rettungspakete? Von wegen: Eine neue Studie zeigt, dass »den Griechen« nicht »geholfen wird« und schon gar nicht »von uns«. Ein Kommentar von Tom Strohschneider.

Wie man es schafft, drei Lügen in einem Satz mit acht Wörtern unterzubringen? Man redet so, wie es seit Jahren zahlreiche PolitikerInnen und andere VertreterInnen jener Interessen tun, die nicht diejenigen einer Mehrheit sind: »Wir haben den Griechen schon so viel geholfen.«

Die erste Lüge besteht in der Konstruktion eines nationalen Kollektivs, das keine klassenpolitischen Unterschiede mehr kennt, sondern nur noch »Deutsche« – und das auch noch in diesem typisch paternalistisch-chauvinistischen Ton, der dem hiesigen Selbstbild so oft anhaftet. »Wir«, ohne die der Rest der Welt angeblich nicht genesen würde.

Die Lüge von der »großzügigen Hilfe«

Die zweite Lüge besteht darin, dass hier überhaupt von »Hilfe« die Rede ist, eine rhetorische Verschleierung der real existierenden Zustände, die sich tief in die Alltagssprache eingegraben hat und dort den Humus für ein Denken bildet, das den Betrug auch noch glaubt. Die von Berlin maßgeblich konstruierte Krisenpolitik ist ja nicht die Lösung, sondern das Problem selbst.

Angefangen bei der Startsünde – Merkels wahlkampftaktisch begründetes Taktieren zu Beginn der Krise –, fortgesetzt mit einer auf dem ökonomischen Irrsinn der knallharten Austerität basierenden »Rettungs«-Politik, bei der die privat angehäuften Spekulationsrisiken in soziale und öffentliche Kosten verwandelt wurden. Mit dem Ergebnis, dass Griechenland heute noch ärmer und ökonomisch am Boden ist – bei noch mehr Schulden!

Ergebnis der Rettungspolitik: Griechenland ist heute ärmer und ökonomisch am Boden – bei noch mehr Schulden.

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Eine Politik, die im Wesentlichen darin besteht, alte Schulden durch neue zu begleichen, und dies auf Kosten des Öffentlichen, damit private Ansprüche gesichert werden, wurde als großzügige Hilfe für leidgeprüfte Menschen dargestellt, denen man dann auch noch – eine Frechheit sondergleichen – vorschreiben wollte, wen sie im Gegenzug zu wählen haben.

Das ganze Drama, demokratiepolitisch, sozial, ökonomisch, europäisch, steckt in diesem Satz mit den drei Lügen. Die dritte besteht in der Behauptung, irgendetwas sei »den Griechen« zugute gekommen. Einmal abgesehen davon, dass die hellenische Gesellschaft so wenig homogen und »klassenlos« ist wie die deutsche, es also unterschiedliche Interessen auch in der Frage gibt, wem hier Kreditprogramme zugute kommen und zu wessen Lasten die ganze angebliche »Hilfspolitik« betrieben wird, stimmt daran fast nichts. Oder um genau zu sein: Es stimmt zu nicht einmal fünf Prozent.

Wohin flossen die »Hilfskredite«?

Eine angesehene Privatuniversität ist jetzt in einer kleinen Studie zu einem Ergebnis gekommen, das man auch vorher schon lesen konnte: Der übergroße Teil der »Hilfskredite« floss in den Finanzsektor, rettete nicht zuletzt europäische Kreditinstitute, bediente die Ansprüche privater Gläubiger. Genau das war von Anfang an gewollt, man kann also nicht davon sprechen, dass hier eine Fehlkonstruktion vorliegt. Nein, genau das war gewollt: (Deutsche) Banken zu retten auf Kosten der sozialen Ansprüche der griechischen Bevölkerung.

Als das vor Jahren schon ein griechischer Ökonom vorrechnete, oder die Organisation Attac in Österreich, ging das weitgehend unter. Ändert sich das jetzt? Die Gelegenheit wäre günstig, da einmal mehr über die Krisenpolitik verhandelt wird – inklusive der bekannten Konflikte um die umstrittenen Kürzungsauflagen und die Frage der Schuldenerleichterungen. Die Studie der European School of Management könnte Anlass sein, die Notbremse zu ziehen und endlich den Ausstieg aus einem Kreislauf zu suchen, in dem »den Griechen« nicht »geholfen wird« und schon gar nicht »von uns«. Wer den Satz mit den acht Wörtern und den drei Lügen dennoch weitererzählt, hat seine Gründe – und seine Interessen. Es sind nicht die der Mehrheit.

Geschrieben von:

Tom Strohschneider

Journalist

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