Wirtschaft
anders denken.

Enteignung ist die beste Altersvorsorge

24.09.2021
Die Fassade eines PlattenbausBild von 11333328 auf PixabayEs werden nicht zwangsläufig Plattenbauten gegen die Wohnungsnot benötigt

Mit dem Berliner Volksentscheid zur Vergesellschaftung von Wohnbeständen könnte auch Altersarmut bekämpft werden.

Mit über 70 immer noch arbeiten müssen, weil das Geld am Ende des Monats nicht reicht – keine Seltenheit in Deutschland. Denn seitdem die Regierungen der letzten 20 Jahre das gesetzliche Rentensystem auseinandergenommen haben, steigt die Altersarmut und wird es wohl auch in Zukunft. Wer später nicht in Armut leben will, soll selbst vorsorgen. Die schöne Welt des Eigenheims wird dabei oft als Mittel der Wahl verkauft: »Das eigene Haus und die eigene Wohnung sind Zuhause, Zukunftsinvestition und Altersvorsorge« – propagiert die CDU auf Facebook und wirbt für Eigentumförderung. Auch wer Vertreter:innen der Bau- und Immobilienbranche zuhört, könnte meinen der Hauptgrund für Altersarmut sei, dass alte Menschen nicht oft genug in Eigentumswohnungen leben. Was stimmt: ein großer Teil der Rente geht für Wohnkosten drauf. Deshalb müssen wir nicht nur auf die Renten schauen, sondern auch darauf, wie wir im Alter wohnen. Was auch stimmt: Mieter:innen im Rentenalter müssen einen fast doppelt so hohen Teil ihres Gehalts für das Wohnen aufwenden wie Eigentümer:innen –  eine Wohnkostenbelastung von 40 % ist eher die Norm als die Ausnahme. Außerdem haben Mieter:innen im Laufe ihres Lebens deutlich weniger Vermögen aufgebaut – sie verfügen ja auch über kein Haus, das sie im Zweifel verkaufen könnten. Mieter:innen sind deshalb besonders stark von Altersarmut gefährdet. Daraus können wir allerdings nicht schließen, dass Eigentumsförderung besonders hilfreich im Kampf gegen Altersarmut wäre. Denn der Traum vom Eigenheim bleibt gerade für diejenigen unerreichbar, die Gefahr laufen im Alter in Armut zu leben. Also Menschen mit niedrigem oder mittlerem Einkommen, zum Beispiel Pfleger:innen, Erzieher:innen oder Paketbot:innen. Das gilt besonders in Großstädten mit hohen Wohnungspreisen: Wie soll sich beispielweise die ärmere Hälfte der Berliner:innen eine Wohnung leisten, wenn eine Wohnung durschnittlicher Größe 350.000 € kostet und sie pro Monat keine 300 € zur Seite legen können? Die Lücke ist zu groß, daran ändern auch noch so hohe Förderungen und Steuererleichterungen nichts. Stattdessen brauchen wir eine Wohnungspolitik, die diejenigen in den Fokus nimmt, die tatsächlich von Altersarmut betroffen sind. Diejenigen, die sich nie ein Eigenheim leisten können. Also eine Wohnungspolitik für und mit Mieter:innen.

Ein wichtiger Baustein einer solchen Wohnungspolitik könnte bald in Berlin realisiert werden: Dort wird am 26. September parallel zu Bundestagswahl darüber abgestimmt, ob Deutsche Wohnen und andere große Immobilienunternehmen vergesellschaftet werden sollen. Für Rentner:innen wäre die Vergesellschaftung eine gute Idee. Denn die großen Immobilienkonzerne sind ein zentraler Treiber des Mietenwachstums der letzten Jahre. Endlose Mieterhöhungen sind das Geschäftsmodell der Deutsche Wohnen oder um es in ihren eigenen Worten auszudrücken: »Der Fokus der Bewirtschaftung liegt auf der Optimierung der Mieterlöse. « Die Deutsche Wohnen hat ihre Bestandsmieten in Berlin zwischen 2014 und 2019 um 25,7 % erhöht, während gleichzeitig die Neurenten sinken. Diese wachsende Kluft zwischen Renten und Mieten befeuert die Altersarmut – mit einer niedrigen Rente im Nacken wird jede Mieterhöhung zur Existenzfrage. Wenn Rentner:innen beispielsweiese nach einer Modernisierung die Miete nicht mehr bezahlen können, bedeutet das oft nicht nur die Wohnung zu verlassen, die jahrzehntelang das Zuhause war, sondern auch aus ihrem gewohnten Umfeld gerissen zu werden. Das ist für alte Menschen besonders schlimm, denn sie sind nicht mehr so mobil und finden schlechter in neuer Umgebung Anschluss. Die Vergesellschaftung wäre eine Chance demokratische Kontrolle über die Mieten zu erlangen. Die Berliner:innen könnten für die gemeinsame Zukunft vorsorgen, indem sie zukünftiges Mietenwachstum verhindern, zumindest in den 240.000 betroffenen Wohnungen. In diesen Wohnungen über die Miethöhe mitentscheiden zu können, ist besonders wichtig, denn auch wenn Deutsche Wohnen und Co keine genauen Daten über die soziale Zusammensetzung ihrer Mieter:innen rausgeben: Hier wohnen vermutlich überdurchschnittlich viele Menschen, die von Altersarmut betroffen sind, weil die Bestände der Immobilienkonzerne zu großen Teilen aus privatisierten Betriebs- und Sozialwohnungen entstanden sind. Oft sind das Großwohnsiedlungen, wo die Altersarmut überdurchschnittlich hoch ist – zum Beispiel in der Dammwegsiedlung im Besitz der Adler Group, wo fast jede:r fünfte Rentner:in Grundsicherung erhält. Es ist allerdings nicht nur wichtig, zu welchem Preis Rentner:innen wohnen, sondern auch wie altersgerecht die Wohnung ausgestattet ist – ob die Wohnung etwa barrierefrei ist oder das Bad breit genug. Gerade ältere Menschen mit wenig Geld können oft nicht leisten in eine andere, altersgerechtere Wohnung umziehen, weil sie einen alten und günstigen Mietvertrag haben und sich im Falle eines Umzugs die aktuellen Mieten nicht mehr leisten können. Auch hier könnte Deutsche Wohnen & Co enteignen eine Chance sein. Die nach der Enteignung zu gründende Anstalt öffentlichen Rechts wäre auf einen Schlag größte Vermieterin Berlins. Weil sie unter demokratischer Kontrolle wäre, könnte sie im großen Maßstab Wohnungen altersgerecht umbauen und niedrigschwellige Angebote für Rentner:innen schaffen, in eine solche Wohnung umzuziehen. Das gelingt nur, wenn die neue Anstalt öffentlichen Rechts nach einer Vergesellschaftung auch wirklich nach den Bedürfnissen der Stadt und der Mieter:innen ausgerichtet ist und nicht wie viele kommunale Wohnungsunternehmen Profite erwirtschaften soll. Dann könnten sinnvolle, aber im Vergleich nicht-lohnenswerte, Vorhaben realisiert werden, wie der altersgerechte Umbau von Wohnungen und deren günstige Vermietung an Senior:innen mit niedriger Rente. Auch die Mieten niedrig zu halten gelingt nur, wenn unter Markwert vergesellschaftet wird. Denn in den letzten zwei Jahrzehnten sind die Boden- und Wohnungspreise in die Höhe geschossen, auch ohne dass investiert wurde. Ein Großteil der Wohnungen, die der Berliner Senat vergangene Woche für 2.400 € pro qm von Deutsche Wohnen und Vonovia zurückgekauft hat, wurden 2004 für 493 € pro qm privatisiert. Wenn zu den aktuellen Marktpreisen abgekauft wird, muss der überzogene Kaufpreis wieder durch die Mieten reingeholt werden und es wären keine sozialen Mietpreise mehr zu erreichen. Die Renten gingen über Umwege immer noch an Vonovia und Deutsche Wohnen, die mit einem Verkauf zu Spekulationspreisen große Gewinne erwirtschaften würden. Das Grundgesetz erlaubt eine solche Vergesellschaftung unter Marktwert, aber die zu enteignenden Wohnungskonzerne und ihre Verbündeten werden sich natürlich wehren. Es wird deshalb noch eine lange Auseinandersetzung notwendig sein, auch wenn Berlin nächste Woche für die Vergesellschaftung stimmt.

Geschrieben von:

Timo Weißer

Stadtgeograph

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