Wirtschaft
anders denken.

Ein Deal mit der Türkei und seine Folgen

17.10.2017
Foto: adamansel52 / flickr , Lizenz: CC BY-SA 2.0

Die Kolumnistin Margarita Tsomou berichtet für OXI regelmäßig über Griechenland. Hier schreibt sie über die desaströse Lage auf den griechischen Inseln und einen Deal, dessen Bilanz dürftig ausfällt.

Die Bedingungen für die Aufnahme Geflüchteter in Griechenland galten lange als untragbar. Heute, zwei Jahre nach dem »Sommer der Migration«, scheint die Lage Dauerzustand geworden zu sein. Auch wenn sich vieles in den letzten Jahren geändert hat, bleibt die Sicherstellung der an nachhaltigen und nach humanitären Kriterien ausgerichteten Lösungen nach wie vor eine große Herausforderung. Zehntausende Geflüchtete sitzen in griechischen Aufnahmelagern fest und schauen in eine ungewisse Zukunft.

Mit dem Ende des Sommers sind die Zahlen der in Griechenland ankommenden Geflüchteten wieder angestiegen. Lesbos empfängt nach wie vor die meisten. Dort strandeten seit Anfang September rund 1.500 Menschen, während auf Samos 700 und auf Chios 400 Menschen zusätzlich beherbergt werden müssen.

Die Zahlen scheinen – etwa im Vergleich mit dem Jahr 2015 – erstmal niedrig. Doch da die Aufnahmestellen auf den Inseln schon längst überfüllt sind, bereiten auch sie Sorgen. Die griechischen Behörden kommen weder mit den Asylverfahren noch mit der Umquartierung von Menschen auf das griechische Festland nach.

Laut Koordinationszentrum der Migrationskontrolle des Innenministeriums sitzen auf Lesbos gerade 6.102 Geflüchtete fest. Nach Ansicht des Bürgermeisters Spiros Galinos übersteigt die Zahl die Kapazität der Insel um ein Vielfaches. Mitte September beschrieb er in einem Hilfeschreiben an den Minister für Migrationspolitik, Giannis Mouzalas, dass die Situation wieder außer Kontrolle zu geraten drohe. Er weigerte sich, noch mehr Aufnahmelager auf der Insel einzurichten.

Vergleichbar ist auch die Lage auf Chios. Dort drängte die Gemeinde auf die Schließung des Camps Souda, die neuen Geflüchteten kommen in improvisierten Zelten der UNHCR unter. In Samos beherbergt ein Lager, das für 700 Menschen eingerichtet worden ist, rund 2.000 Menschen.

Entsprechend sehen die Unterbringungs- und Versorgungsbedingungen aus. Der UNHCR beschrieb in einer öffentlichen Erklärung von Anfang September, dass die Lebensbedingungen in den Camps die physische und psychische Situation der Menschen auf Dauer sehr strapaziert haben. Im Ergebnis ist das Gewaltpotenzial innerhalb der Camps gestiegen. Tatsächlich häuften sich im Laufe des Sommers Nachrichten über Brände, Konflikte innerhalb der Lager, ausländerfeindliche Attacken und Aufstände der BewohnerInnen – insbesondere betraf dies das Moria-Camp auf Lesbos.

Dazu kommt, dass nun, wie es der Türkei-EU-Deal vorschreibt, regelmäßig Polizeirazzien in den Camps stattfinden, um diejenigen, deren Asylanträge abgelehnt worden sind, in die Türkei zu transportieren. Drei solcher Razzien haben in Moria bereits stattgefunden, während nach Recherchen der Redakteure der Zeitung »Efsyn« rund 100 Polizisten vier Menschen zur Abschiebung festnahmen. So gehen die Kalkulationen des Deals kaum auf: Bis Anfang August wurden erst rund 1.300 Menschen in die Türkei »rückgeführt«, also abgeschoben.

Überhaupt fällt die Bilanz des Türkei-EU-Deals dürftig aus. Die Vorsitzende der Ärzte ohne Grenzen in Griechenland, Marietta Provopoulou, bemängelt, dass mit dem umstrittenen Abkommen das Problem nur aus der EU ausgelagert – nicht aber nachhaltig gelöst wird. Zudem würden, aufgrund des politischen Drucks, die Asylbewerber schnell abzufertigen, Verfahren ohne Einzelfallprüfung, stattdessen nur noch anhand des Herkunftslandes bewilligt werden. Gefährdete, die vom afrikanischen Kontinent kommen, hätten somit keine Chance mehr. Amnesty International in Griechenland wiederum kritisiert die Anerkennung der Türkei als »sicheres Land«.

Seit Mitte des Sommers 2017 haben die griechischen Behörden Unterbringung, Versorgung und Asylverfahren bei sich zentralisiert, wodurch die Aktivitäten internationaler NGOs an den Küsten eingedämmt bzw. kontrolliert werden sollten. Diese Entscheidung wird jedoch zum Verhängnis, weil der Staat nun sämtliche Aufgaben übernehmen muss, die früher die Hilfsorganisationen verantworteten – während die EU-Gelder immer noch bei den NGOs und nur zu einem geringen Teil bei der griechischen Regierung landen, wie Mouzalas bereits Anfang des Jahres einräumte. Dennoch ist seine Vision, die Geflüchteten so schnell als möglich in die Gesellschaft zu integrieren: Apartments in den Stadtzentren sollen die Camps, Bargeld soll die Suppenküchen ersetzen.

Doch all die Anstrengungen nutzen wenig, wenn die anderen EU-Länder nicht ihrerseits Geflüchtete aufnehmen. Nach Angaben des Berichts der Europäischen Kommission von Ende Juli haben sie im Durchschnitt ihre Verpflichtungen nur zu einem Drittel erfüllt. Auf Kosten der Geflüchteten und auf Kosten Griechenlands.

Geschrieben von:

Margarita Tsomou

Autorin

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