Wirtschaft
anders denken.

Kürzungsorgie in Athen – ein Oxi in neuer Lage

27.04.2016

Die EU-Gläubiger verschärfen den Austeritätskurs gegenüber Griechenland. Es ist ein neuer Versuch, die SYRIZA-Regierung zu Fall zu bringen. Jetzt hat Alexis Tsipras die Notbremse gezogen.

»Brauchen mehr Zeit«, mit diesen Worten hat Eurogruppen-Chef Jeroen Dijsselbloem am Dienstagabend das Scheitern der Gespräche über die Forderungen der Gläubiger an die griechische Regierung kommentiert. Freundlich gesprochen handelt es sich um eine Ausrede. Man könnte es aber auch eine interessengeleitete Ablenkung nennen, die einmal mehr der SYRIZA-Administration die Schuld für etwas zuweisen soll, das in Wahrheit von den Gläubigern verursacht wurde. Es geht nicht um »fehlende Fortschritte« bei der Umsetzung, wie es nun überall wieder heißt. Sondern um die Substanz der Krisenpolitik, um das Gebaren der Gläubiger – und um Demokratie. Denn nicht zuletzt wird hier von Berlin und Brüssel abermals ein politischer Hebel betätigt, der die linksgeführte Regierung zu Fall bringen soll.

Die Regierung Tsipras hat sich im vergangenen Sommer nach massivem Druck einem Machwerk unterworfen, bei dessen Umsetzung sie nun nicht einmal ein paar wenige Spielräume zugestanden bekommt. Mehr noch: Die Gläubiger, allen voran die Bundesregierung, verlangen nun sogar noch ein neues milliardenschweres Kürzungspaket – auf Vorrat. Das ist nicht nur eine Abkehr von jenen Vereinbarungen, auf deren Einhaltung die Gläubiger gegenüber Athen sonst gern in belehrender Pose pochen. Es ist auch ökonomisch ein nächster Schritt in jene falsche Richtung, die Griechenland durch Kürzungen immer noch weiter zugrunde richtet – ohne dass sich an der Schuldensituation etwas ändert.

Das Ziel in Brüssel und Berlin: der Sturz von SYRIZA

Es handelt sich zudem um einen weiteren Versuch, SYRIZA mit den Mitteln verschärfter Austeritätspolitik abzusetzen: Athen braucht Geld, um Verpflichtungen zu begleichen – schon grüßt eine Wiederholung der Krisensituation des vergangenen Frühsommers, in der dann auch finanzpolitisch Druck gemacht wurde. Und: Die linksgeführte Regierung würde für die neuen, die Lage verschärfenden Gläubiger-Forderungen keine Mehrheit im Parlament mehr zustande bringen. Neuwahlen wären wohl die Folge – und die konservative Nea Dimokratia steht in den meisten Umfragen vorn. Dass sie sich als Vollstrecker der im deutschen Finanzministerium ersonnenen Krisenpolitik »besser« eignen würde, weiß man in Brüssel wie in Berlin.

Es handelt sich um einen weiteren Versuch, SYRIZA mit den Mitteln verschärfter Austeritätspolitik abzusetzen.

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Ein Grund für das noch weitergehende Kürzungspaket, das sozialpolitisch und ökonomisch verheerend wirken würde, ohne an der Schuldenlage Griechenlands etwas zu ändern, ist der Dauerzoff zwischen der Bundesregierung und dem Internationalen Währungsfonds. Der will sich an dem laufenden Kreditprogramm nur beteiligen, wenn es Schuldenerleichterungen für Athen gibt. Die lehnt man in Berlin aber ab – riskiert so jedoch, dass der IWF nicht wie von Kanzlerin Merkel ihrer Fraktion zugesichert, in das Programm mit einsteigt. Aus diesem (auch innenpolitischen) Dilemma will man sich nun zu Lasten der griechischen Bevölkerung befreien.

Tsipras zieht die Notbremse

Wenn SYRIZA-Chef Tsipras jetzt den Notaus-Schalter betätigt, ist das nicht nur eine völlig richtige Reaktion auf das inakzeptable Vorgehen eines Teils der Gläubiger. Es vermag auch die europäische Krisenpolitik wieder stärker in das Zentrum der Aufmerksamkeit zurückzuholen – der Kladderadatsch war nie vorbei, es hatte nur nicht mehr so viele Schlagzeilen gegeben. Mit den anstehenden Neuwahlen in Spanien besteht ohnehin bester Anlass, den von Berlin orchestrierten Austeritätskurs wieder zum Thema der Kritik zu machen.

Das neuerliche »Oxi« aus Athen kommt freilich in einer gänzlich neuen Lage. Erstens, weil mit der als »Flüchtlingskrise« bezeichneten politischen Krise im Umgang mit Menschen in Not, des Asylrechts und der Europäischen Union (EU) ein im vergangenen Jahr beim Ringen gegen die SYRIZA-geführte Regierung noch nicht so stark wirkender Faktor mit auf der Rechnung steht. Ob das Griechenland hilft, ist eine andere Frage.

Sicher scheint, dass SYRIZA aufgrund der Rechtsverschiebung innerhalb der EU auf noch weniger Unterstützung hoffen darf. Die Anhänger eines ebenso harten wie ökonomisch falschen Kurses werden von starken rechtspopulistischen Kräften in ihren jeweiligen Ländern zusätzlich unter Druck gesetzt. Zunehmende Anti-EU-Ressentiments, die immer stärker werdenden Fliehkräfte der Union und die Schwäche der Linken in Ländern wie Deutschland, die eine zentrale Rolle für die Kräfteverhältnisse in Europa spielen, machen eine Lösung unwahrscheinlicher, die SYRIZA zumindest als Kompromiss mittragen könnte.

Der Beitrag erschien auch auf neues-deutschland.de.

Geschrieben von:

Tom Strohschneider

Journalist

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